Bundestagswahl:Das Familien-Problem

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Kollateralschaden der Erosion des Mittelstandes: Die Doppelverdienerfamilie als Kern eines wachsenden Lebensstandards. (Foto: picture alliance / dpa)

Männer gegen Frauen? Ehe gegen Patchwork? Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm sorgt sich um die traditionelle Ehe mit Alleinverdiener und fürsorgender Mutter. Doch Familien von heute haben ganz andere Probleme - und im Wahljahr 2013 keinen Anwalt unter den Parteien.

Von Andrian Kreye

Am Sonntag ging der Wahlkampf an der Familienfront in die heiße Phase - mit einem Text des ehemaligen CDU-Bundesarbeitsministers Norbert Blüm in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Familie ist ein gutes Wahlkampfthema. Kaum eine Wählergruppe ist so leicht zu mobilisieren wie Eltern. Wenn es um ihren Nachwuchs geht, sind sie sehr erregbar. Und außer Hartz-IV-Empfängern ist niemand so stark auf staatliche Hilfe angewiesen.

Es war ein raffinierter Text. Die Freiheit der Berufswahl, so Blüm, sei eine Ausgeburt des radikalen Marktdenkens. Die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf sei nichts anderes als die Unterordnung des Familienlebens unter das Arbeitsleben, was letztlich nur im Interesse des Arbeitgebers, nicht der Menschen sein könne. Als progressiv denkender Mensch kann man spontan auf Blüms rhetorische Finte reagieren. Was wagt er es, ein konservatives Familienbild mit den Argumenten des Klassenkampfes zu verteidigen?

Im Kopf folgen Gegenargumente. Dass die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf der größte Sieg der Emanzipation ist. Dass der "neue Mann", über den sich Blüm mokiert, der Frau natürlich nicht "Schwangerschaft und Stillen" abnehmen kann, dass es aber spätestens mit dem Abstillen eine gerechtere Aufteilung der Ernährer- und Fürsorgepflichten geben sollte. Doch mit solchen Empörungsmustern landet man direkt in der eigentlichen rhetorischen Falle.

Zwei gesellschaftliche Konflikte stecken in Blüms Text. Zum einen der Kampf um die traditionelle Familie mit dem allein verdienenden Vater und der fürsorgenden Mutter. Die wird nach den Befürchtungen der Konservativen nicht nur von neuen Rollenmustern, sondern auch von Patchworkstrukturen aller Art bedroht. Zum anderen ist es der Konflikt zwischen Mann und Frau. Dabei geht es längst nicht mehr um Ehe gegen Patchwork, um Mann gegen Frau. Es geht heute mehr denn je um den Kampf der Familie gegen das Geld.

Spätestens mit Ankunft von Kindern beginnt seit einigen Jahren der Kampf, den bürgerlichen Lebensstandard zu halten, den die Vorgängergenerationen aufgebaut haben - ein Heim mit Raum für alle, gesunde Ernährung, solide Bildung, Markenprodukte, ein Fahrzeug, Urlaub, Kultur. Dieser Kampf erfordert unzählige Entscheidungen. Wer arbeitet wie viel und wo, welche Anschaffungen werden gemacht, wie werden die Kinder versorgt?

Diese Entscheidungen werden nicht mehr von einem der beiden Elternteile alleine gefällt. Aber oft genug endet der Kampf mit einer Ungleichheit, die die Familie in alte Rollenmuster zurückwirft. Die Kinderversorgung, die Blüm als Abschieben der Kleinen in eine Rundumversorgung durch Erziehungsexperten geißelt, ist ja gerade in Deutschland reine Utopie.

Vereinnahmung von rechts wie links

Geld verdienen muss dann zumeist der Vater, denn die Ungleichheit der Einkommen beträgt ja nicht nur die statistischen 22 Prozent. Nimmt man das wohl bürgerlichste Bundesland Baden-Württemberg mit dem bürgerlichsten Bevölkerungssegment, den Akademikern, vergrößert sich der Abstand deutlich: Von allen vollzeitbeschäftigten Akademikerinnen kamen im Jahr 2008 nur 28 Prozent auf ein Nettoeinkommen von 2600 Euro oder mehr, aber rund 62 Prozent ihrer männlichen Kollegen.

Dabei war die vermeintlich "traditionelle" Familie mit dem Vater, der zur Arbeit geht, während die Mutter daheim die Kinder und den Haushalt hütet, eigentlich nur das Privileg einer schmalen Oberschicht. In der bäuerlichen Gesellschaft war die Zwei-Generationenfamilie schlichtweg nicht denkbar. In den Industrieräumen des späten 19. Jahrhunderts blieb es noch eine Selbstverständlichkeit, dass der Alltag von mindestens drei Generationen gemeinsam bewältigt wurde.

Die Selbständigkeit eines Elternpaares wurde erst durch die Demokratisierung des Wohlstandes im 20. Jahrhundert möglich (die Rundumversorgung des Sozialismus ist da noch mal ein Sonderfall). Die Doppelverdienerfamilie als Kern eines wachsenden Lebensstandards und die damit einhergehende Gleichberechtigung der Frau wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg zum Massenphänomen. Mit der Erosion des Mittelstandes werden diese Errungenschaften zum Kollateralschaden.

Es gibt viele Gründe für diese Erosion. Mag sein, dass er seine historische Pflicht erfüllt hat. Während des Kalten Krieges war er das Rückgrat der Demokratie und der freien Marktwirtschaft. Jetzt hat sich der Weltmarkt den Schwellenländern zugewandt, in denen man all die Dinge noch einmal verkaufen kann, die der demokratische Mittelstand längst im Überfluss besitzt. Die Innovationskraft der 21. Jahrhunderts befördert unterdessen die Konzentration des Reichtums in immer kleineren Zirkeln. Die Ungleichheit ist dabei kein amerikanisches, sondern ein globales Problem.

Für eine bürgerliche Familie sind solche historischen Bewegungen viel zu groß, um bei Entscheidungen eine Rolle zu spielen. Viel dramatischer ist, dass sie im Wahljahr 2013 keinen Anwalt unter den Parteien hat. Es gibt nur Strategen, die versuchen, ihre Anliegen in die Sackgassen moralischer und kultureller Debatten abzudrängen. Von rechts wie links.

© SZ vom 29.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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