Bücherregale:Bretter, die die Welt enthalten

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Von schöner Ordnung, Bildungsbluffern und Alltagsmessies: Ein Streifzug durch die Welt der Bücherregale.

Alex Rühle

Ist das heute noch so wie damals, in den frühen Neunzigern? Bauen sich Studenten die ersten Bücherschränke noch selber? Damals waren Obstkisten sehr beliebt. Das zweite Modell bestand dann aus Ostberliner Ziegeln, die eigentlich zur Errichtung einer Kaisers-Filiale in der Greifswalder Straße hätten dienen sollen. Dazu Bretter aus dem Baumarkt. Die Kaisersfiliale gibt es noch immer, die Baumarktbretter hingegen sind mittlerweile vier wuchtigen Billyregalen gewichen. Geblieben ist nur die Unzufriedenheit darüber, dass das irgendwie keine wirklich schöne Bibliothek ist. Und die Ratlosigkeit darüber, ob das am eigenen Ordnungssystem liegt oder an Billy.

Der argentinische Literaturwissenschaftler, Verlagslektor, Autor und Bibliomane Alberto Manguel schwärmte einmal davon, er stelle seine Bücher immer neu nach inhaltlichen Spannungsverhältnissen zusammen. Als Gewährsmann für seine idiosynkratischen Ordnungssysteme führte er Jorge Semprun an, der Thomas Manns "Lotte in Weimar" neben seine eigenen Bücher über Buchenwald stellte, weil Manns Roman im Weimarer Hotel Elephant beginnt, in dem Semprun nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager untergebracht wurde.

Manguel schreibt, er selbst mische seine Schränke immer neu wie ein Kartenspiel, mal stelle er Chesterton, Lewis Carroll und Johannes vom Kreuz zusammen (seine Lieblingsautoren), mal ordne er sie nach Gattungen, erst Romane, dann Dramen, am Ende Lyrik.

Alltagsalphabetische Ordnung

Klingt beeindruckend. Aber hat der Mann einen eigenen Bibliothekar oder das Zeitportfolio eines Rentners? Als normal Bibliophilem bleibt einem über die Jahre doch kaum etwas Anderes als die öde alphabetische Reihung, ansonsten findet man die Sachen nie wieder. Andererseits hat das natürlich das schnöde Flair einer Stadtbibliothek. Zum Antiauratischen einer alphabetischen Billybibliothek kommt hinzu, dass man alles Großformatige, die späten Materialbände von Rolf Dieter Brinkmann genauso wie Robert Gernhardts "Gesammelte Gedichte" kippen muss, so dass man die Bücher von unten sieht, wie dreckige Schuhsohlen. Wie machen das Andere bloß?

Natürlich, es gibt die ostentativen Nichtleser, ohne jeden Bücherschrank. Es gibt aber auch heute noch überraschend viele Menschen, denen es peinlich ist, dass sie sich nicht für Bücher interessieren und die sich deshalb Tarnschränke anschaffen. Man erkennt diese Schränke sofort daran, dass in ihnen keine Taschenbücher stehen. Kleinbürgerliche Nichtleser delegieren ihren Geschmack und die Buchauswahl an Institutionen wie die Büchergilde Gutenberg, die ihnen betongraue Hardcoverbände mit Goldprägung ins Haus schicken. Das betongraue Leinen passt gut zu den Zinntellern, die daneben stehen. Betuchtere Nichtleser stellen Prunkbände hinein und nehmen als Bücherstützen riesige Muscheln aus dem Indischen Ozean.

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