Barfußlaufen soll ja gut für die Gesundheit sein. So gut, dass es vielen nicht mehr genügt, daheim die Hausschuhe wegzulassen oder durch den feuchten Gartenrasen zu staksen. Sie laufen schuhlos durch die Stadt und posten ihre schwarzen Fußsohlen, um für einen natürlichen Lebensstil zu werben. Eine besonders hartgesottene Community lässt die Schuhe selbst im Winter weg. In Hippie-Foren erklären sich dann @Ringelblume und @Globetrotter gegenseitig, wie man vermeidet, dass die Fußsohlen im Schnee festfrieren.
Barfußlaufen soll aber auch gut fürs Image sein. Wer ohne Schuhe auftritt, strahlt Naturverbundenheit und Bodenhaftung aus. Zudem hinterlässt er bleibenden Eindruck. Unvergessen die barfüßige Sandie Shaw, die 1967 mit "Puppet on a string" den Grand Prix gewann. Oder die weltbekannte Violinistin Patricia Kopatchinskaja, die den schuhlosen Auftritt ebenso zu ihrem Markenzeichen gemacht hat wie die Bayerische Band La Brass Banda.
Neu ist hingegen, dass Barfußlaufen offenbar gut fürs Literaturgeschäft ist. Anders ist nicht zu erklären, dass Barfuß-Titel neuerdings in immer kürzeren Abständen den Buchmarkt fluten. Angefangen bei Mira Morton, die "Barfuß in Miami" herumspaziert, um dem grauen Alltag zu entfliehen, über Corina Lendfers, die "Barfuß im Schnee" steht, um ein traumatisches Ereignis zu überwinden, bis hin zu Katja Just, die "Barfuß auf dem Sommerdeich" flaniert, was entweder genau das bedeutet - oder aber die Stadtflucht auf eine Insel irgendwo im Wattenmeer beschreibt.
"Barfuß-Titel scheinen in den Augen der Verlegerinnen wohl gute Auflagen zu garantieren", sagt die Münchner Literaturagentin Christine Proske. Merkwürdig ist jedoch, dass Erfahrungsberichte tapferer Menschen wie Martl Jung ("O Sohle mio") oder Sabrina Fox ("Auf freiem Fuß"), die tatsächlich auf blanken Sohlen Alpen überqueren oder ein Jahr auf städtischem Asphalt laufen, sich nicht annähernd so gut verkaufen. Liegt es am "barfuß"-freien Titel? Die Verlage scheinen zu wissen, dass ihre Leser Autorinnen bevorzugen, die eher symbolisch barfuß durch ihre Geschichten laufen, statt auf Wiesen und Rindenmulch herumzustapfen.
So hat sich in der Frauenliteratur, deren Protagonistinnen bislang lieber in Louboutins durch die Story stöckelten, eine regelrechte Pilcherisierung nackter Füße entwickelt. Der nackte Fuß - das neue, subtile Dekolleté. Literaturagentin Proske sieht im Barfuß-Titel vor allem eine Metapher für die Eigenschaften unkonventioneller Frauen: "Erdverbundenheit, gepaart mit Sinnlichkeit und Verletzlichkeit - "alles Attribute, die sie als Protagonistinnen attraktiv machen. Reale schmutzige Füße will niemand sehen. Am Anfang sei sicher ein Barfuß-Titel gestanden, der sehr gut funktioniert habe, vermutet die Geschäftsführerin der Agentur Ariadne-Buch. "Von da an sind alle auf denselben Zug aufgesprungen - und alle ohne Schuhe, unfassbar."
Til Schweiger und der Skorpion
Die Autorin Hannah Siebern hat aus dem Barfuß-Motiv gleich eine ganze Serie gemacht. In ihren bisherigen Büchern lief sie nicht nur barfuß im Regen, im Sand und im Schnee, sondern auch durchs Leben, um die Welt, auf Federn und auf Wolken. Ideen zu ihren ätherisch klingenden Buchtiteln holt sich Siebern mitunter ganz konkret aus dem Alltag: Die Inspiration zu "Barfuß auf Scherben" sei ihr auf dem Festival Rock am Ring gekommen, schreibt die Autorin auf ihrer Homepage.
Sieberns siebter und jüngster Titel lautet "Barfuß im Herzen". Ein Titel, der offenbar auch dem Edel Verlag gefiel: Nur wenige Monate später, im November, erschien Dana Schweigers Buch mit einem fast identischen Titel: "Im Herzen barfuß", ein Rückblick auf ihre Ehe mit Til Schweiger, das Muttersein und Patchwork-Familienleben. Dass 2018 bereits ein Gedichtband des Lyrikers Jan Skacel unter dem Titel "Für alle, die im Herzen barfuß sind", bei Wallenstein herauskam, ist für den Edel Verlag kein Grund, auf den Barfuß-Titel zu verzichten: "Eine Verwechslungsgefahr besteht hier aufgrund der unterschiedlichen Genre nicht", erklärt Lektorin Svetlana Romantschuk.
Romantschuk zufolge geht Dana Schweigers Buchtitel auf die Hochzeitsreise der Schweigers in Mexiko zurück, bei der Til von einem Skorpion in den Fuß gebissen wurde, das Tier daraufhin mit dem Manuskript zu seinem neuen Film "Barfuß" erschlug, das er zufällig in der Hand hielt, und daraufhin beschloss, seine Produktionsfirma "Barefoot Films" zu nennen. Dass der Film, vor allem aber die Firma mit dem Barfuß-Namen, unfassbar erfolgreich wurde, versteht sich von selbst.