Dort, wo der Ausschnitt ihrer dunkelblauen Bluse v-förmig nach unten fließt und den Blick in seinen Strom körperabwärts zieht, blitzt ein Stück Haut hervor, ein kleines nur. Gerade so viel, dass diese sanfte, gleichmäßige Wölbung zu erkennen ist, die sich von den Rippen abhebt und in einer geschwungenen Linie unter dem Stoff verschwindet. Ein Stückchen Haut nur, ein Versprechen. Später, im Nebenraum, wird sie es einlösen, die Bluse öffnen und zeigen, wie die Linie weiterläuft, wenn kein Stoff darüber liegt. Man muss dann zugeben: Es sieht schön aus.
Tabu-Thema Brust-OP: "Jeder, egal wie ungepflegt er aussieht, erlaubt sich einen Kommentar, wenn er hört, dass Du was an Dir machen lassen hast."
(Foto: Alessandra Schellnegger)Zugeben? Die Brüste sind, wie man so sagt, nicht echt. Ihre Besitzerin hat sie aufpolstern lassen, 200 Gramm Silikon pro Seite. Sie will an dieser Stelle nur Anna genannt werden, eine gut verdienende Geisteswissenschaftlerin, Anfang 50, vier Kinder. Das muss reichen, sagt Anna, sonst will sie nichts sagen über die OP vor zehn Jahren. Denn für Brüste, die nicht echt sind, bringen in Deutschland die wenigsten echte Achtung auf. Mehr noch: Brüste, die nicht echt sind und trotzdem außerhalb des Dschungelcamps herumgetragen werden, verstören, sie rufen Fantasien hervor, irgendwo zwischen Sexy Cora und Daniela Katzenberger.
Es sind keine schönen Fantasien, kein Wunder also, dass sich das Mitleid selbst mit jenen bis zu 10.000 Frauen, denen schädliche PIP-Implantate eingesetzt wurden, in engen Grenzen hält - genau wie mit jenen, die nun deshalb um Schadenersatz streiten: Am Montag soll die erste Klage am Landgericht Karlsruhe eingereicht werden, weitere sechs werden vorbereitet - wohl auch, weil die Betroffenen von ihren Krankenkassen keinerlei Hilfe beim Explantieren der gefährlichen Polster erwarten dürfen: Laut Sozialgesetzbuch können selbst Verbrecher, die sich vorsätzlich selbst verletzen, auf Hilfe der Kasse zählen - Schönheitsoperierte ausdrücklich nicht. Und mal ehrlich, was sind das auch für Frauen, die sich aufpolstern lassen?
Man muss das Aufpolstern an sich nicht richtig finden, um sich über so viel Anmaßung zu wundern und die Frage mal ernsthaft zu stellen: Was sind das für Frauen, die ohne Not einen chirurgischen Eingriff planen? Was bewegt sie? Was machen sie sich für Gedanken, machen sie sich überhaupt welche?
Brust einer Oma am Körper einer 30-Jährigen
Ein Innenstadtcafé zur Mittagszeit, in der Luft liegen Klaviermusik und Büroklatsch, in einer Ecke sitzt sie schon, in dunkelblauer Bluse: Anna ist eine schöne, sportliche Frau, und als sie ihr Alter sagt, über 50, da forscht man erstmal in ihrem Gesicht, wo sie sonst noch nachgeholfen hat. "Nirgends", sagt sie, "ich habe kein Problem mit meinem Alter". Sie habe nur eins gehabt, als ihr Körper nach dem vierten Kind ungleich alt wirkte: "Die Brust einer Oma am Körper einer 30-Jährigen. Da passte nichts mehr", sagt Anna. Sie wünschte sich damals keine größeren Brüste, keine anderen, keine schöneren. Sie wünschte sich nur die alten zurück. Irgendwann so sehr, dass sie Joachim von Finckenstein in seiner Praxis am Starnberger See aufsuchte.
Joachim von Finckenstein war lange Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie und er hat, sagt er, mehr als 1000 Frauen die Brüste operiert: Patientinnen, die nach einem Krebsleiden keine Brust mehr hatten, Frauen mit zu großen und zu kleinen Brüsten. Manchen waren nie welche gewachsen. "Wie Mückenstiche", sagt er und schlägt einen Ordner auf einer Seite auf, die den Leib eines zwölfjährigen Jungen zu zeigen scheint - er gehört einer 25-jährigen Frau.
Wie verbeulte Skisocken
"Die erste große Patientengruppe", sagt er, "sind Frauen Anfang bis Mitte 20, die anfangen, sich als Frau zu definieren und mit ihren Brüsten Probleme haben." Für viele hätte das psychische und sexuelle Folgen. Von Finckenstein zeigt dann noch das Bild einer 19-Jährigen mit Brüsten wie verbeulte Skisocken. "Ist es verwerflich, wenn die was an sich machen lässt?", fragt er. Ohne die Antwort abzuwarten, blättert er zur zweiten großen Patientengruppe: den Mitte 30-Jährigen mit abgeschlossenem Kinderwunsch.
Seine Klientel bildet damit recht genau die Frauen insgesamt ab, die sich in Deutschland einer Schönheits-OP unterziehen - mit 51 Brustvergrößerungen pro 100.000 Einwohner sind es übrigens weit weniger als in Griechenland oder Brasilien, die mehr als 120 Brust-OPs pro 100.000 Einwohner zählen. Die meisten Deutschen sind 18 bis 30 Jahre alt, dicht darauf folgen die 31- bis 40-Jährigen. "Denen hat das Stillen arg zugesetzt", sagt von Finckenstein und belegt das gleich mit Fotos: von Frauen, die statt Brüsten nur noch Hautlappen haben. Von Dekolletés, über die sich Schwangerschaftsstreifen ziehen wie Sonnenstrahlen, von Brustwarzen, zerfließend wie Aquarelltupfer.