Dem Geheimnis auf der Spur:Nützliche Falten

Lesezeit: 3 min

Die Briefschlösser wurden durch geschicktes Falten, Schneiden und Fädeln des Papiers erzeugt. (Foto: Courtesy of the Unlocking History Research Group Archive)

Maria Stuart verwendete im letzten Brief vor ihrer Hinrichtung eine raffinierte Versiegelungstechnik, die erst jetzt geknackt wurde.

Von Sofia Glasl

Das Briefgeheimnis ist ein Segen, das wussten Königinnen und Politiker schon vor Jahrhunderten, aber es allein bietet keinen ausreichenden Schutz. Heute würden die damaligen Briefeschreiber wohl auf Verschlüsselungstechniken, Codes und Passwörter schwören, denn ihnen war nur zu bewusst, wie man Nachrichten unbemerkt abfängt: Bis ins 19. Jahrhundert sind sogenannte Schwarze Kammern in den Postämtern Europas nachweisbar. Dort wurden die Korrespondenzen geöffnet, geprüft, unbemerkt abgeschrieben, wenn sie von Interesse waren - und wieder in Umlauf gebracht. Kein Wunder also, dass einiges an Aufwand betrieben wurde, nicht nur den Text zu verschlüsseln, sondern auch das unbemerkte Öffnen und Wiederversiegeln des Briefes zu erschweren.

Die Restauratorin Jana Dambrogio vom Massachusetts Institute of Technology hat für Siegel wie diese den sprechenden Begriff "Letterlocking" geprägt. Mit ihrer interdisziplinären Forschergruppe "Unlocking History Research Group" hat sie sich auf die Rekonstruktion historischer Briefsiegel spezialisiert. Der Begriff "Letterlocking" beschreibt die Technik treffend, denn den Briefen werden hierbei tatsächlich Schlösser angelegt. Natürlich sind das keine metallenen Vorhängeschlösser, sondern die Briefschlösser werden durch geschicktes Falten, Schneiden und Fädeln des Briefpapiers erzeugt und mit Siegelwachs befestigt.

SZ PlusAkteneinsicht
:Die Geschichte einer Stalkerin

Sie führen eine harmonische Ehe. Bis Franco eines Tages merkt, dass etwas nicht stimmt mit seiner Frau. Dann folgt der Albtraum.

Von Annette Ramelsberger

Viele dieser Konstruktionen lassen sich am ehesten als eine komplexe Mischung aus Origami, Scherenschnitt und Klebearbeiten beschreiben. Dambrogio und ihr Team haben einige der gängigsten Letterlocking-Methoden nicht nur rekonstruiert, sondern auch ein Raster an Schwierigkeitsstufen entwickelt, das sich nach der Komplexität der Faltungen wie auch der Schnitt- und Fädeltechnik richten. Auf dem Youtube-Kanal "Letterlocking Videos" sind Anleitungsvideos versammelt - eine Mischung aus kunsthandwerklicher Bastelanleitung und historischer Rekonstruktion. Hier sind geschichtlich bedeutsame Einzelbriefe berücksichtigt - etwa von Marie Antoinette und Caterina de' Medici. Andere Videos erklären alltagstaugliche Techniken wie das "Triangle Lock", aber auch besonders komplizierte Methoden mit bis zu 30 Einzelschritten. Die "dagger trap" etwa, die einen unsichtbaren Selbstzerstörungsmechanismus enthält. Sie lässt sich nachträglich nicht mehr reparieren und ist somit spionagesicher.

Wer den Brief öffnen wollte, musste das Schloss zerreißen

So manch einer mag sich wundern, wie viel Aufwand für eine Nachricht betrieben wird, die man auch in einen Umschlag stecken könnte. Doch das heute noch gängige Kuvert fand erst im 19. Jahrhundert Verbreitung. Bis dahin mussten sich Briefschreiber anderweitig behelfen. Die schottische Königin Maria Stuart etwa wusste nur zu gut, was es heißt, wenn ein Brief in die falschen Hände gerät. Ihre Verwicklung in ein Mordkomplott an ihrer Cousine, Englands Königin Elizabeth I., kostete sie letztlich das Leben. In der Nacht vor der Hinrichtung am 8. Februar 1587 schrieb sie noch einen letzten Brief. Ihrem Schwager Heinrich III. von Frankreich wünschte sie ein gesundes und langes Leben - und inszenierte sich als Märtyrerin, die als Katholikin im bereits protestantischen Empire unterdrückt und deshalb des englischen Throns beraubt worden war.

Diesen Brief versah sie mit einem besonders ausgeklügelten Briefschloss: Dambrogio nennt es das "Spiral Lock". Dafür wird aus dem Briefbogen ein dolchförmiges Eck aus-, jedoch nicht abgeschnitten und mehrfach durch Schlitze im fertig gefalteten Briefpaket gefädelt. Die offene Seite ist somit "vernäht" und der letzte Zipfel wird anschließend mit Siegelwachs auf der Vorderseite befestigt. Wer den Brief öffnen will, muss das Schloss zerreißen.

Gerade deshalb bereitete die Rekonstruktion dieses Spiralschlosses Dambrogio und ihrem Team Mühe - geöffnete Briefe waren unwiederbringlich zerstört, und geschlossene sehen beinahe so unscheinbar aus wie ein Tagebuch mit seitlichem Zierschloss. Als richtige Schatztruhe für die Forscher entpuppte sich deshalb eine Postkiste aus Den Haag, die im 17. Jahrhundert einem Postmeister namens de Brienne gehört hatte. Darin hatte er Briefe gesammelt, die von ihren Empfängern niemals abgeholt worden waren: rund 2600 Schreiben, einige von ihnen auch mit ebenjenem "Spiral Lock" versehen. Den Wissenschaftlern gelang es im März 2021 mithilfe einer Röntgen-Mikrotomografie, sowohl den Inhalt eines verschlossenen Briefes als auch die Funktionsweise des Schlosses zu rekonstruieren - ein methodischer Durchbruch. Die Brienne-Sammlung ist zudem ein wichtiges Artefakt, da die Korrespondenzen einen Querschnitt der damaligen Gesellschaft abbilden - vom Liebesbrief bis zum Spionagebrief ist alles dabei. Das Projekt "Signed, Sealed, Undelivered" arbeitet diesen Schatz archivarisch auf.

Manche Schreiben sahen aus wie kleine Hemden

Insgesamt hat Dambrogio bereits rund 250 000 Briefe untersucht und kann mittlerweile eine Evolution des Letterlockings ablesen. Die Technik sei bereits mit der Verbreitung von faltbarem Papier im 13. Jahrhundert entstanden und wurde bis zur Erfindung des Briefumschlags immer ausgefeilter. Dambrogio geht sogar davon aus, dass die Wahl der Letterlocking-Methode auch Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sein konnte. Der Dramatiker John Donne etwa hatte eine individuelle Technik, die außer ihm niemand verwendete. Seine Briefe waren also jenseits der Handschrift auch an der Form erkennbar. Was die Verwendung von Letterlocking-Typen wie der Dolchfalle, diamantenförmigen Briefpaketen oder auch wie kleine Hemden gefalteten Bögen über die Person aussagt, die sie anwendet, wäre wohl ein weiteres Forschungsfeld.

Für die Wissenschaftler ergeben sich daraus weiterführende Fragen, etwa wie die Techniken erlernt und weitergegeben wurden. Aufzeichnungen darüber gibt es bisher keine. Zudem ist denkbar, dass einzelne Briefschlösser für bestimmte Inhalte vorgesehen waren als zusätzliche Codierung, die eine Sicherheitsstufe oder andere Informationen andeutete. Es gibt also noch einige Geheimnisse um das Briefgeheimnis zu lüften.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLuxusimmobilien
:Der Traum vom eigenen Schloss

Große Säle, teure Skulpturen, alte Herrlichkeit: Burgen und Schlösser sind während der Pandemie begehrt wie selten zuvor. Aber wer kann sich das leisten? Und wie lebt es sich da?

Von Christine Mattauch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: