Süddeutsche Zeitung

Braunkohleabbau:Das Dorf am Abgrund

Keyenberg im Rheinland wird abgebaggert, wegen der Braunkohle. Was bleibt, sind Bilder und Erinnerungen.

Hans-Josef Pisters vor seinem Haus in Keyenberg. Er hat es gebaut und lebt hier seit Jahrzehnten mit seiner Frau Anita. Bald muss er gehen. Sein Dorf wird abgebaggert. Sterben wird dann auch die mit Efeu bewachsene Birke (im Hintergrund). Pisters hat sie 1964 als kleinen Setzling von seiner Hochzeitsreise mitgebracht und vor dem Haus eingepflanzt.

Ein Blick in den Abgrund. Von Keyenberg aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Tagebau Garzweiler II, wo das Energieunternehmen RWE Braunkohle fördert. Der Konzern hat ein gigantisches Loch in die Landschaft gerissen. Irgendwann soll daraus ein See werden.

Die Bewohner von Keyenberg haben bis 2023 Zeit, das Dorf zu verlassen. Sie sollen umgesiedelt werden nach Keyenberg (neu). Der Ort muss aber noch aus dem Boden gestampft werden. Im alten Dorf wird alles abgerissen.

Zum Beispiel die Heilig-Kreuz-Kirche, an der Hans-Josef Pisters besonders hängt.

Viele der Gegenstände aus der alten Kirche können wahrscheinlich nicht mitgenommen werden an den neuen Standort. Dort soll es nur eine kleine Kapelle geben. Hans-Josef Pisters hat ein Buch über die Kirche und ihre Einrichtung geschrieben. "Damit etwas bleibt", sagt er.

Verschwinden wird auch der Keyenberger Hof, die Dorfgaststätte. Für viele ist sie der Mittelpunkt des Dorfs. Hier treffen sich alle: die Mitglieder der Sankt-Sebastianus-Schützenbruderschaft, die Kegelclubs, die Sportler vom TuS Keyenberg.

Bert Hansen, der Wirt, will am neuen Standort keine Kneipe mehr aufmachen. Es wäre wohl zu teuer. Die Preise für Grundstücke und Baustoffe sind gestiegen, von RWE aber bekommt er nur das für seine alte Kneipe, was sie jetzt noch wert ist. Das Haus ist fast ein Jahrhundert alt. Und ein Kredit? "Ich bin Mitte 50. Zu alt für so was", sagt Hansen.

An manchen Ecken des Dorfs sind die Spuren des Verfalls schon zu sehen. Einige Keyenberger sind schon weggezogen. Sie wollen nicht dabei zusehen, wie ihr Dorf langsam stirbt.

Auch die Sparkasse hat schon zugemacht. In der Filiale gibt es nur noch einen Geldautomaten, aber keinen Schalter mehr.

Einer der beiden Bäcker im Ort, Gillraths Brotkorb, hat im Dezember geschlossen.

Ihre Wegekreuze wollen die Keyenberger an den neuen Standort mitnehmen. Auch die Straßennamen sollen erhalten bleiben.

Die Keyenberger haben jahrzehntelang gegen den Braunkohleabbau und ihre Umsiedlung protestiert. Schon damals, als das zuständige Unternehmen noch "Rheinbraun" hieß. Für Pisters ist die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Schuld am Sterben von Keyenberg. "Die haben uns im Stich gelassen", sagt er.

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