Der Champagner perlt in den Gläsern, Häppchen werden rumgereicht, die Damen auf hohen Absätzen sehen aus wie Gäste, die mit Spannung den Höhepunkt eines Events erwarten. Doch niemand hat Geburtstag, es steht kein Charity-Event an. Diese Frauen warten auf den Doktor, der ihnen die Falten aus dem Gesicht spritzen soll. Der Renner für die gepflegte Damen-Runde ist ein Trend aus den USA: die Botox-Party.
Der Arzt mit dem Koffer voller Spritzen lässt die Frauenherzen höher schlagen, erfüllt er doch den Wunsch nach jugendlich-frischer Glätte im Gesicht. Das Nervengift Botulinumtoxin schwächt gezielt Gesichtsmuskeln - und lässt auf diese Weise Mimikfalten verschwinden. Der Effekt hält sechs bis neun Monate. Wenn die Patientin auch weiterhin mit makellosen Gesichtszügen durchs Leben schreiten will, wird nachgespritzt.
Die Behandlung mit dem Nervengift ist Mitte der 90er Jahre zum Lifestyle-Produkt aufgestiegen, die Anti-Falten-Feten zum hippen Treffen von Schönheits-Junkies. In den USA helfen derzeit am liebsten Bräute vor der Hochzeit mit Botox-Spritzen nach. Die Verschönerungs-Partywelle habe im vergangenen Jahr begonnen, als eine prominente Kundin ihre Brautjungfern zu einer Beautybehandlung einlud, berichtete Camille Meyer, die Eigentümerin des "TriBeCa"-Spa in New York der Sendung "Entertainment Tonight". Seitdem habe sie über 30 Braut- Partys veranstaltet. Manche Bräute würden sich die Gruppenbehandlung bis zu 15.000 Dollar (rund 10.000 Euro) kosten lassen. Ein Schönheitschirurg in Beverly Hills rechnete der New York Times vor, sein Umsatz habe sich fast verdoppelt, seitdem er "Bridal Beauty Buffets" speziell für Bräute und deren Freundinnen anbietet.
Auch in Deutschland erfreuen sich die Spritzen-Feten mittlerweile steigender Beliebtheit. Musste die zahlungswillige Patientin für eine optische Verjüngung zunächst noch eine Praxis aufsuchen, kann sie sich inzwischen auf Event-Parties aller Art schön spritzen lassen - ob im Wohnzimmer in netter Tupperwaren-Atmosphäre oder beim Friseur als Kombi-Angebot inklusive wasserstoffblonder Strähnchen. Und das von jedem Arzt, der sich darauf einlässt, Botox zwischen Snacks und Sekt zu servieren.
Für die Schönheitschirurgen in ihren Praxen und Kliniken bedeuten solche Privat-Veranstaltungen den Verlust einer potenziellen Klientel. Doch was spricht neben diesem finanziellen Aspekt noch gegen Botox "to go"? Der Chirurg Günter Germann, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, steht Botox skeptisch gegenüber, wenn es nicht im richtigen Rahmen verabreicht wird.
sueddeutsche.de: In den USA sind private Events, auf denen Botox gespritzt wird, der Renner - besonders vor Hochzeiten. Sehen Sie einen ähnlichen Trend in Deutschland?
Günter Germann: Diese so genannten Botox-Partys gibt es in Deutschland, wenn auch nicht in dem Ausmaß und der öffentlichen Präsenz wie in den USA. Mit Freunden ein Gläschen Champagner trinken und sich dabei Botox spritzen lassen, ist für viele Frauen und auch einige Männer ein attraktives Angebot. Der Trend für Deutschland ist schwer abschätzbar, da auch viel läuft, ohne dass wir in unserem Verband davon wissen.
sueddeutsche.de: Woran liegt das?
Germann: In den meisten Fällen sind die behandelnden Ärzte keine Mitglieder unseres Verbandes, sondern Dermatologen, Hausärzte, Gynäkologen - auf solchen Veranstaltungen tummelt sich alles, was mal ein Staatsexamen in Medizin gemacht hat. Diese Partys kommen dadurch zustande, dass ein Kunde oder eine Kundin sich an den Arzt seines oder ihres Vertrauens wendet und ein paar Freunde und Bekannte einlädt.
sueddeutsche.de: Müssen keine medizinischen Rahmenbedingungen eingehalten werden?
Germann: Medizinisch gesehen muss der Raum nicht steril sein, daher ist ein Wohnzimmer oder ein Friseursalon zulässig. Auch rechtlich spricht nichts dagegen.
Lesen Sie weiter, welche Risiken Botox-Party-Gäste in Kauf nehmen...
sueddeutsche.de: Wie stehen Sie persönlich zu Botox-Partys?
Germann: Ich stehe dem nicht positiv gegenüber. Zu der Anwendung von Botox gehört eine sorgfältige Beratung im Vorfeld, genaue Absprachen des Einsatzfeldes und eine Aufklärung über mögliche Risiken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese intensive Vorbereitung gegeben ist, wenn zehn Damen in einem Wohnzimmer sitzen und der Reihe nach vom Arzt Botox verabreicht bekommen. Solche Partys bieten meiner Meinung nach nicht das Niveau, auf dem man mit Patienten umgehen sollte.
sueddeutsche.de: Hatten Sie schon Patientinnen oder Patienten, die sich nach einer missglückten Botox-Party-Spritze von Ihnen behandeln lassen wollten?
Germann: Das kam schon vor. In solchen Fällen kann ich leider nur raten, abzuwarten. Botox ist ein Nervengift, das die Signalübertragung von Nerven zu Muskeln blockiert. Dadurch werden die Muskelbewegungen, die Falten verursachen, verhindert. Diese Wirkung hält etwa sechs bis neun Monate an - da kann ich auch nichts beschleunigen.
sueddeutsche.de: Wer profitiert von solchen Botox-Partys?
Germann: In erster Linie der Arzt, da er an diesem Tag mehr Umsatz macht, als er das während seiner normalen Praxistätigkeit in derselben Beratungszeit geschafft hätte. Für den Patienten hingegen kommt die Behanlung auf solchen Partys in der Regel nicht billiger.
sueddeutsche.de: Werden die Patienten, die sich mit Botox behandeln lassen, immer mehr und auch immer jünger?
Germann: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Die Entscheidung für eine Botox-Behandlung hänt ab von der sozialen Schicht und auch der Stadt, in der man lebt. Botox ist und bleibt keine Massenware, die sich jede Hausfrau leistet. Was das Alter betrifft: Natürlich gibt es auch 30-Jährige, die sich schon mit Botox behandeln lassen. Aber das ist nicht so klug, denn neue Studien belegen, dass die Wirkung von Botox nach wiederholten Anwendungen nachlässt.
sueddeutsche.de: Sind Botox-Partys ein weiterer Schritt in Richtung einer Gesellschaft, die sich ewiges Jungsein zum Ideal gemacht hat?
Germann: Die Verbindung der Begriffe Botox und Jugendwahn finde ich zu leichtfertig. Was bedeutet schon Jugendwahn? Seit die Menschheit Dokumente aufzeichnet, findet man darin Hinweise auf Mittel und Verfahren zur Verschönerung. Als Beweis für die Dekadenz unserer Gesellschaft wird gerne angeführt, dass Äußerlichkeiten eine große Rolle spielen. Die Kulturgeschichte der Ästhetik zeigt allerdings, dass es zu Goethes Zeiten nicht anders war als heute.
sueddeutsche.de: Aber zu Goethes Zeiten gab es noch kein Botox ...
Germann: Natürlich nicht. Aber auch damals haben die Menschen schon sehr viel dafür getan, um länger jung auszusehen. Dieser Wunsch ist kein Phänomen unserer modernen Gesellschaft. Bereits vor 500 Jahren waren die Menschen auf der Suche nach dem Jungbrunnen.
sueddeutsche.de: Würden Sie bei einem verlockenden Angebot nicht doch vielleicht selbst eine solche Botox-Party betreuen?
Germann: Nein, sicher nicht. Ich will und muss meinem Prinzip treu bleiben, dass der Patient ein Recht darauf hat, individuell betreut zu werden. Ich kann jederzeit eine ausführliche Beratung während meiner Sprechstunde anbieten, aber auf keinen Fall eine Botox-Party. Ich würde mich als Arzt wie ein Barbier aus dem Mittelalter fühlen. Und als Patient würde ich mich auf einer Botox-Party schon zweimal nicht behandeln lassen!