Süddeutsche Zeitung

Politiker beim Sport:Schwitzen fürs Volk

Lesezeit: 3 min

Politiker betätigen sich gerne sportlich in der Öffentlichkeit. Wer körperlich fit ist, will so Führungsstärke demonstrieren. Warum nur macht sich Boris Johnson mit alberner Kleidung zum Hanswurst?

Von Claudia Fromme

Im Englischen gibt es eine altmodische Redensart: "He is all mouth and no trousers", also: Da labert einer nur rum. Manche finden, dass der Spruch gut zum britischen Premierminister Boris Johnson passt. Vielleicht auch, weil er zuletzt mit beidem auffiel: Reden und, nun ja, mehr oder weniger Hosen. Da gab es im November seine wirre Ansprache vor Managern, in der er Moses, Lenin und Peppa Wutz unterbrachte, wobei für ihn das Zeichentrickschwein für die "Kraft der britischen Kreativität" stehe. Und da gibt es Johnsons Sporthosen, die weniger kreativ als so derangiert wirken, wie es nur einer sein kann, der es okay findet, in der Downing Street Partys zu feiern, während der Rest des Landes im Lockdown feststeckt.

Kurz fragt man sich, ob er in Unterhosen joggt, aber dann erinnert man sich an Lloret de Mar in den Achtzigern, wo die Männer zum Baden entweder hautenge Speedos oder bollerige Blumenshorts trugen. Johnson joggt also in Badehosen, was ihm bei dem G-7-Gipfel in Cornwall im Sommer zupasskam, so konnte er nach dem Sport direkt ins Meer hüpfen. Anfang dieser Woche überraschte er dann mit einer kurzen Hawaiihose beim Joggen durch London.

Man muss kognitiv nicht superwendig sein, um die Einschätzung des britischen Promi-Stylisten Lucas Armitage in der Daily Mail zu teilen: "Er ist dafür bekannt, ein Hanswurst zu sein, aber in einer Welt der PR-Profis und Image-Gurus ist er kein zufälliger Hanswurst." Die Wahl seiner Sportkleidung illustriere einmal mehr, wie bewusst Johnson mit seinem Image des exzentrischen Eton-Absolventen spiele.

Sein Vorvorgänger David Cameron erklärte einmal, dass er es liebe, öffentlich zu joggen. Keiner würde ihn erkennen, weil er aussehe wie einer von vielen mittelalten, leicht übergewichtigen Männern. Wie gut, dass immer zufällig ein Fotograf da ist, der diese herzerwärmende Gewöhnlichkeit, diese Volksnähe ablichten kann. Dein Schweiß ist mein Schweiß! Die Times empfiehlt, das Schulfach "Photo Opportunity Jogging" in Eton einzuführen, schließlich ist Johnson der 20. britische Premier, der auf dem Elite-College war. Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich gerne oberkörperfrei beim Schwimmen und Reiten fotografieren lässt, bräuchte solche Nachhilfe nicht, aber für den ist Joggen auch Pipifax. Von joggenden US-Präsidenten gibt es hingegen ganze Fotoserien und sogar offizielle Videos. Fitness als Zeichen für Führungsstärke.

Während Abraham Lincoln ein gefürchteter Ringer war, Theodore Roosevelt Judoka und Ronald Reagan Holzhacker und Schwimmer, ließ sich George W. Bush ein Laufband in die Air Force One einbauen, damit er auch über den Wolken rennen konnte. Von Bill Clinton gibt es Videos in raschelnder Ballonseide oder flappenden Shorts, Barack Obama joggte in Washington in Parks und in New York auf dicht befahrenen Straßen. Zumeist in gedeckten Farben, wie fast alle US-Präsidenten. Das größte Aufsehen erregte Jimmy Carter. Nicht, weil er knappe weiße Shorts anzog, sondern weil er bei einem Sechs-Meilen-Rennen kollabierte. Ist er fit genug fürs Amt? Ärzte bescheinigten dem schlappen Carter umgehend volle Gesundheit, die Hitze habe ihn nur ein wenig erschöpft. Neunzig Minuten später verteilte Carter die Pokale an der Ziellinie.

Solch puritanischen Ehrgeiz sieht man hierzulande nicht. Angela Merkel hat man noch als gelegentliche Wanderin vor Augen, Gerhard Schröder als theoretischen Fußballhelden, Helmut Kohl als passiven Ruderer. Auch dessen Vorgänger taten sich nicht als große Öffentlichkeitssportler hervor, immerhin gab Konrad Adenauer ein gutes Motiv in Italien beim Boccia-Spielen ab.

Dass der Grünen-Politiker Joschka Fischer lange zu sich selbst lief, ist auch schon etwas her, aber er hat eine Weile am konsequentesten die Laufschuhe ausgepackt, als Außenminister auch vor den Pyramiden von Gizeh oder im Central Park in New York. Die neue Ampelkoalition knüpft an diesen Sportsgeist an. Kanzler Olaf Scholz sagte vor einer Weile der Bunten, dass seine Frau ihn zum Joggen gebracht habe. Er laufe ohne Musik, Pulszähler und Fitnesstracker zwei-, dreimal die Woche, "meist etwa acht Kilometer, manchmal mehr". Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist Dauerläufer, Finanzminister Christian Lindner drückt Gewichte, und Außenministerin Annalena Baerbock, die früher Trampolinspringen als Leistungssport betrieben hat, ist auch heute noch extrem fit. Aktuelle Fotos von ihr beim Sport gibt es allerdings keine.

Dass so wenige Politikerinnen öffentlich Sport treiben, fällt auf. Kamala Harris ist da eine Ausnahme. Perfekt inszenierte sie sich als Sportlerin mit einem Video aus dem November 2020, das sie selbst twitterte. Der Clip zeigt, wie sie beim Joggen mit Joe Biden telefoniert, als klar ist, dass er US-Präsident wird und sie seine Vizepräsidentin: "We did it, Joe!" Ein viraler Hit wurde zudem ein Video davon, wie sie frei nach Rocky Balboa die 58 Stufen des Lincoln Memorial in Washington rauf- und runterrennt. Harris ist als erste Frau ins Weiße Haus eingezogen, nicht als Gattin, sondern als Regierende. Auch sonst ist sie ganz vorn dabei: In sportlicher Hinsicht hat sich kaum ein Mann im Amt je so perfekt inszeniert.

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