Marie hat feine braune Locken und ein weiches Gesicht, mit dem sie für Naturkosmetik werben könnte. Später werden sie und ihr Freund mit Michaela, 20, anbandeln, die ins Arkanum kommt, seit sie 17 ist. "Ich brauche das, mit anderen Pärchen und Männern zu schlafen", sagt Michaela, die Steuerfachgehilfin ist. Einmal hat sie einen Mandanten hier getroffen. Erkannt hat sie ihn aber erst nach dem Sex. Sie muss kichern, so wohlig peinlich ist die Anekdote. Dann küsst sie Marie.
Dass 20-Jährige zur Zielgruppe für Veranstalter von Erotikpartys werden konnten, hat nach Meinung von Experten eine ganze Reihe von Gründen. Bei vielen sei ein neues Verständnis von Treue zu beobachten, sagt der Münchner Paar- und Sexualtherapeut Abbas Schirmohammadi. Paare wie Marie und Thomas trennen heute zwischen Sex und Liebe, glaubt er. Und Sex werde immer mehr als Konsumgut gesehen, das man haben könne, ohne irgendwelche Verpflichtungen einzugehen. Der Therapeut berät in seiner Praxis immer mehr junge Menschen, die mindestens so viele Partner wie Lebensjahre hinter sich haben. Und er behandelt 12- oder 13-Jährige, deren Vorstellung von Körperlichkeit und Intimität sich durch Pornos im Internet oder explizite Musikvideos völlig verschoben habe.
Vorbilder wie Britney Spears, Lady Gaga oder Rihanna mit Lederpeitsche und Lackcorsage inszenierten Sex als bisweilen sogar gewalttätige Pose. "Diese Vorbilder haben die Generation Porno erst salonfähig gemacht , sagt Schirmohammadi. Pastor Bernd Siggelkow, Leiter des Berliner Kinder- und Jugendwerks "Arche", der mit seinem Buch "Deutschlands sexuelle Tragödie" vor vier Jahren eine Diskussion auslöste, drückte es noch drastischer aus. Er warnte vor der Beziehungsunfähigkeit und "sexuellen Verwahrlosung" einer ganzen Generation.
Ganz so weit würde Miriam Venn nicht gehen. "Generation Porno" sei eher ein griffiges Label und eine Provokation zugleich, glaubt die Soziologin, die vor allem "eine aufgeklärte Neugier" und Abenteuerlust für den Boom der Erotikpartys verantwortlich macht. "Sich auszuprobieren" sei den Jugendlichen wichtig, erklärt sie. Venn hat allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass viele ältere Swinger angesichts der Verjüngung ihrer Szene irritiert seien. "Leute", sagten die, "jetzt macht doch mal halblang".
Marktführer mit einer Million Mitglieder
Doch Zurückhaltung ist nicht die Botschaft in einer Zeit, in der das Angebot im Netz keine Grenzen kennt. Einsteiger kommen über Foren wie "Joyclub", "Augenweide", "Venuszeit" oder "Poppen.de". Dort verbreiten sich Swinger-Events nicht mehr als Geheimtipp, sondern als Großveranstaltung. Der Marktführer Joyclub zählt heute mehr als eine Million Mitglieder. Von den Besuchern im Arkanum hat dort jeder ein eigenes Profil - Voraussetzung für den Zutritt zur Party.
Auf der Tanzfläche im Lustschloss ist es mittlerweile eng geworden. Aus den Boxen röhrt eine Männerstimme: "The night is young and dirty, the night is young and sexy." Der Song verschwimmt zum Bass-Crescendo, Nebel wabert über den Boden. Chefin Natascha steht an der Bar mit einer schwarzen Perücke, wie Uma Thurman in "Pulp Fiction".
Die Männer vor ihr haben nackte Oberkörper, einige tragen passend zur Leinenhose einen weißen Schal über brauner Haut. Frauen in engen Korsagen und schimmernden Stofffetzen wagen erste Poledance-Nummern. Mittlerweile bieten Mitarbeiterinnen des Clubs sogar erotische Tanzkurse an. "Arkanum Dance Akademy" sagt Natascha. Noch ist der Name ein Scherz.