Süddeutsche Zeitung

Blutspenden:Vom Gefühl zum Kalkül

Jährlich spenden etwa zwei Millionen Menschen selbstlos Blut. Mediziner warnen nun vor einem ethischen Problem: Mit Blutprodukten werden inzwischen nicht mehr nur Menschenleben gerettet, sondern auch Geschäfte gemacht.

Nicola Siegmund-Schultze

Die Vorstellung schreckt die meisten Menschen: dass sie eines Tages auf dem Operationstisch liegen und trotz massiven Blutverlusts keine Transfusion erhalten, weil Blutkonserven Mangelware sind.

Die Identifikation mit den Kranken motiviert die Mehrzahl der jährlich etwa zwei Millionen Blutspender in Deutschland, sich den Lebenssaft ohne unmittelbaren Nutzen für sich selbst abzapfen zu lassen.

Aber da gibt es ein ethisches Problem: Mit Blutprodukten werden nicht nur Menschenleben gerettet, sondern auch Geschäfte gemacht, wie Anfang der Woche auf der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin in Mannheim diskutiert wurde.

Das pharmazeutische Unternehmen Haema aus Leipzig zum Beispiel möchte in diesem Jahr mindestens 600.000 Blutspenden sammeln und einen Umsatz von 60 Millionen Euro erzielen, heißt es in einer Pressemitteilung.

Dagegen muss das Deutsche Rote Kreuz (DRK), welches mit einem Anteil von 80 Prozent an den Blutspenden gewissermaßen eine Monopolstellung innehat, seine Gewinne reinvestieren, um gemeinnützig zu bleiben.

Ihre Gewinne einstreichen aber dürfen Firmen wie Chiron und Roche: Sie nehmen nicht am Blutspendewesen teil, besitzen aber die Patente für jene Bluttests, mit denen sich Hepatitis-C-Viren und HIV anhand ihres Erbguts nachweisen lassen (PCR-Methode). Mit den Erbguttests lässt sich am sichersten ausschließen, dass das Blut virenverseucht ist.

Mit Halbwahrheiten abgespeist

Trotz der möglichen Gewinne mit Blutkonserven gehen die Blutspender meist leer aus. Vom DRK bekommen sie keinen Cent für die Prozedur, die sie oft einen halben Tag Zeit kostet. Haema zahlt 15 Euro pro Spende und staatlich-kommunale Blutspendedienste, an Universitäten zum Beispiel, geben 25 Euro.

"Den Blutspendern müsste deutlich gemacht werden, dass mit Blutspenden Arzneimittel hergestellt und Gewinne erwirtschaftet werden", sagte Jan Steinmetzer vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Aachen. Die Kommerzialisierung der Blutdienste nehme zu, die Spender würden oft mit "Halbwahrheiten" abgespeist. Eine Aufwandsentschädigung sei unverzichtbar.

Forderung nach einer "maßvollen Vergütung"

Etwas weiter geht noch Georg Marckmann vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen. Er fordert eine "maßvolle Vergütung", die auch über der reinen Aufwandsentschädigung liegen könne, wenn das in Zeiten knapper Blutkonserven mehr Menschen zur Spende motiviere.

Manche fürchten zwar, so Blut von Hochrisikospendern in den Umlauf zu bringen, die Erkrankungen verschweigen um weiterhin das Geld zu kassieren.

Dieses Risiko lässt sich aber offenbar zumindest teilweise begrenzen. Bei Plasmaderivaten aus dem Blut bezahlter Spender, also Präparaten ohne Blutzellen, bestehe der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zufolge kein erhöhtes Risiko für Infektionen bei den Empfängern, sagte Marckmann.

Solche Bezahlungen könnten die Blutkonserven allerdings verteuern. Zur Zeit sind sie in Deutschland noch vergleichsweise preiswert: Konzentrate von roten Blutkörperchen kosten im Durchschnitt 75 Euro pro Konserve, halb so viel wie etwa in Schweden (140 Euro) oder den Niederlanden (170 Euro) und auch weniger als in Belgien (105 Euro).

Angst vor dem Ruin

Dabei verzichten die Belgier bereits darauf, die Konserven mit Hilfe der PCR-Methode auf Virenerbgut zu testen; stattdessen suchen sie nach Antikörpern gegen Viren im Blut - ein weniger sicherer Test. "Die belgischen Blutspendedienste fürchten, dass die Lizenzforderungen der Patentinhaber auf die PCR-Tests sie in den Ruin treiben", sagte Steinmetzer.

Dem deutschen Blutspendewesen droht Ungemach aus derselben Richtung. Zwar hatte sich das DRK im Jahr 2003 mit Chiron darauf geeinigt, den seit 1999 vorgeschriebenen PCR-Bluttest auf Hepatitis C zu relativ geringen Gebühren machen zu dürfen.

"Dieser Vertrag läuft aber nächstes Jahr aus", sagte Steinmetzer, und das Ergebnis der Neuverhandlungen sei ungewiss. "Chiron hat angekündigt, seine Lizenzerlöse aus Virentests würden weiter steigen und ein Ankauf von Aktien sei zu empfehlen."

Schon 2001, als das Paul-Ehrlich-Institut die Einführung von HIV-PCR-Tests für Blutprodukte beschlossen hatte, wurde deutlich, dass Lizenzgebühren auch hierzulande zum Problem werden. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) outete sich als Blutspenderin und äußerte sich sorgenvoll: "Ich möchte nicht, dass wir künftig aus Kostengründen Blutprodukte verschiedener Klassen haben, eine Klasse mit mehr, die andere mit weniger Sicherheit."

Obwohl auch sie diese Sorge hegen, sprachen sich die Konferenzteilnehmer in Mannheim gegen eine vollständige Kommerzialisierung der Blutspende aus. Wie die Politik das Gewerbe aber regulieren solle, ließen die Medizinethiker offen. Sie plädierten dafür, Blutspender nicht weiter mit öffentlichen Appellen an die Nächstenliebe über die kommerzielle Nutzung ihrer Spende zu täuschen.

Firmen, die direkt oder indirekt an Blutprodukten verdienten, sollten Geld an eine gemeinnützige Stiftung zahlen, empfahl der Theologe Udo Schlaudraff aus Göttingen und schloss sich damit einem Votum des Nationalen Ethikrats an.

Kant"sche Selbstentleibung

Ob Blut, Knochenmark, Ei- oder Samenzellen von Gesunden, ob Knochen, Knorpel, Herzklappen oder innere Organe von Toten: Es gibt kaum etwas am Körper des Menschen, das sich nicht verwerten lässt.

Der Bedarf von Seiten der Kranken und die Begehrlichkeiten, an diesem Bedarf Geld zu verdienen, nehmen ständig zu, wie auf der Tagung deutlich wurde.

Große Probleme sehen Medizinethiker und Juristen bei der Spende von Geweben oder genetischem Material, wenn es um die Aufklärung über die Zweckbestimmung der Spenden geht.

Zugleich sei aber die "Tauschgerechtigkeit" nicht mehr gegeben. Dies gelte auch, wenn Lebende einem Verwandten eine Niere oder einen Teil ihrer Leber spenden.

Alle - der Empfänger ebenso wie die Ärzte - hätten einen Nutzen davon, nur der Spender gehe leer aus, monierte der Gesundheitsökonom und Philosoph Hartmut Kliemt von der Universität Duisburg-Essen.

Das Transplantationsgesetz verbietet allerdings jeglichen materiellen Vorteil bei der Organspende. Lebende sollen nicht zum Ausverkauf ihres Körpers motiviert werden und Angehörige von Hirntoten nicht dazu verführt, gegen den Willen des Verstorbenen einer Organspende zuzustimmen.

Das Gesetz ist, wie viele andere deutsche Gesetze, an die Tugendlehre von Immanuel Kant angelehnt. Der Philosoph nannte einen Gebrauch des menschlichen Körpers, der nicht dazu dient, die eigene Gesundheit zu erhalten, "Selbstentleibung", die die Menschheit herabwürdige.

In diesem Sinne schränkt auch das Transplantationsgesetz durch das Verbot des Organhandels das Verfügungsrecht des Menschen über seinen Körper ein. Es relativiert aber Kants "Verstümmelungsverbot", indem es die Lebendorganspende prinzipiell zulässt.

Obwohl einer Umfrage aus dem Jahr 2002 zufolge 78 Prozent der Deutschen den Kauf und Verkauf von Organen ablehnen, finden Ethiker offenbar immer weniger Argumente, eine Vergütung, die zur Organspende motiviert, kategorisch abzulehnen.

"Sind wir nicht sogar verpflichtet, den Altruismus aufzugeben, wenn dadurch mehr Organe gespendet würden, weil es ein höherer Wert ist, Menschenleben zu retten?", fragte der Berliner Philosoph und Jurist Wolfgang van den Daele.

Dass vermutlich nur die weniger wohlhabenden Menschen eine Niere gegen Geld hergeben würden, akzeptiert Daele nicht als Gegenargument. Diese soziale Ungerechtigkeit sei in der Gesellschaft üblich: "Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer kann ebenso ein ethisches Problem sein wie die Kommerzialisierung der Organspende."

Allerdings ist fraglich, ob bezahlte Lebendorganspender gut genug versorgt würden. Schon heute fühlen sich viele Spender vor der Entnahme ihres Organs von den Ärzten umworben, aber vernachlässigt, wenn ihre Operationswunden verheilt sind.

So gibt es in Deutschland keine Standards für die Nachsorge von Lebendorganspendern und noch dazu Defizite bei der finanziellen Absicherung gegen Berufsunfähigkeit und gesundheitliche Schäden. Diese Diskrepanz könnte sich noch verstärken, wenn bezahlte Lebendorganspender helfen, den Mangel an Organen zu mildern. Ganz wie in der Marktwirtschaft:

Nur wenn Arbeitskräfte knapp sind, sind Firmen gezwungen, sich um ihre Mitarbeiter zu kümmern.

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Quelle:
SZ vom 6.10.2006
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