Der Reifen ist hin, so viel ist klar. Jasmin Wagner steht auf der Straße vor ihrer Wohnung in der Hamburger Innenstadt und telefoniert mit dem ADAC. Das Timing könnte kaum schlechter sein, das Interview soll jetzt losgehen, in zwei Stunden muss sie ihr Kind von der Kita holen. Abgesehen davon ist es der zweite Plattfuß in zwei Tagen! Erst gestern, erzählt sie, sei sie mit ihrer Familie von einem Auftritt in Nordrhein-Westfalen heimgefahren - bumm, platzte auf der Autobahn ein Reifen. Mit ihrem Partner, dem Kleinkind und ihrer Managerin sei sie dann über die Leitplanke auf einen Acker geklettert. Ich bin ein Popstar, holt mich hier raus!
Für die meisten Menschen (und ganz sicher für die meisten Popstars) wäre das Grund genug, um ordentlich genervt zu sein. Aber Jasmin Wagner wird offenbar nicht umsonst seit ihrer Kindheit "Blümchen" genannt. Ihr blumiges Gemüt hat sie sich auch noch mit Mitte 40 bewahrt.
In der gemütlichen Küche ist dann alles vergessen. Die Schränke sind türkisfarben, die Backofentür hat ihre Tochter mit Fensterfarben bemalt, am Kühlschrank hängen Familienfotos. Konzentriert schlägt Wagner Eier auf, bugsiert das Eiklar in eine Schüssel, die Dotter in eine andere, jeder Handgriff sitzt. Weil es noch später Vormittag ist, hat sie sich für ein paar Pancakes entschieden. Denn das Backen ist seit der Jahrtausendwende ihre große Leidenschaft.
In Kalifornien verliebte sie sich in das Leben mit Sonne und Strand - und in Pancakes
Damals war sie - nach fünf aufreibenden Jahren als Teenie-Superstar - in die USA ausgewandert, man könnte auch sagen: geflohen. Der Ruhm in Deutschland hatte extreme Formen angenommen, und Wagner hatte mal wieder Lust auf ein Leben ohne Leibwächter. Also studierte sie in Los Angeles Schauspiel. Sie verliebte sich in Kalifornien, liebte das Leben mit Sonne und Strand, aber auch: Pancakes! Und Cheesecakes! "Ich kannte die vorher noch nicht wirklich, damals gab es das auch noch nicht überall in Deutschland." Es war die Zeit, bevor Starbucks und die Kochbuchautorin Cynthia Barcomi Deutschland mit der amerikanischen Kaffee- und Backwarenkultur vertraut machten. Und so blieb Jasmin Wagner nach ihrer Rückkehr nichts anderes übrig, als ihre geliebten Pancakes und New York Cheesecakes selbst zu backen.
Jasmin Wagner stammt aus Hamburg, sie ist das Kind einer kroatischen Mutter und eines deutschen Vaters. 1980 geboren wächst sie in die noch uneingeschränkte kulturelle Vorherrschaft der USA hinein: TV-Serien, Musik, Mode, Sport - alles, was cool ist, ist made in the USA! In Hamburg füllen damals die Blue Devils, ein deutsches American-Football-Team, regelmäßig das Volksparkstadion. Und sie suchen Cheerleader. Die zwölfjährige Jasmin hört im Radio davon, kann sich nichts Cooleres vorstellen und geht mit einer Freundin zum Auswahltraining. Von da an ist Cheerleading ihr Leben, das Team bringt es in der Sportart bis zur Vize-Europameisterschaft.
Über den Sport geht es direkt in die Musik: Ihre Teamleiterin kennt zwei Produzenten, die Talente suchen. Die charismatische 15-Jährige überzeugt sofort. Weil einer der beiden Kroate ist, lässt sich Wagners Mutter zu einem Plattenvertrag für ihre Tochter überreden. Die nächsten Monate tingelt Blümchen nach der Schule mit ihrer Managerin im Fiat Panda durch die Republik, mit zwei Tänzern und jeder Menge Deko-Blumen im Gepäck. Es sind die wilden Neunziger, die Leute ballern sich zu Techno alle möglichen Substanzen ins Hirn, aber als Minderjährige bekommt Wagner das alles nur am Rande mit.
Der Riecher der Produzenten entpuppt sich als goldrichtig: Sie wird über Nacht zum Star. Die Musik ist unverkennbar, dank hämmernder 180 Beats pro Minute, zu denen Wagner Textzeilen singt wie: "Piep piep, kleiner Satellit, sag ihm, dass es mich noch gibt." Ihre Musik eignet sich nicht nur für Teeniepartys, sondern aufgrund der penetranten Simplizität auch hervorragend, um Babyboomer-Eltern zu schocken. Nebenbei wird Wagner mit Plateaustiefeln, Rattenschwänzen und Lackminiröcken eine Mode-Ikone der damals um sich greifenden "Girlie"-Kultur.
Weniger bekannt ist, dass Wagner bald mindestens ebenso berühmt ist für ihre Backkünste - jedenfalls in ihrem Freundeskreis. "Ohne meinen Schokokuchen lassen mich meine Freunde bei Geburtstagen gar nicht mehr zur Tür rein", sagt sie in ihrer Küche, während sie die Rührmaschine Eischnee schlagen lässt. Logisch, dass sie vor fünf Jahren beim "großen Promibacken" auf Sat.1 mitmachte. Während der Pandemie postete sie Back-Tutorials auf Social Media und steckte sich mit dem um sich greifenden Bananenbrot-Virus an, verteilte es bei Corona-Spaziergängen an Freunde. Kochen möge sie auch gerne, aber Backen sei ihr lieber, weil man es nebenbei erledigen könne: "Das richtige Mischverhältnis, die richtige Ofentemperatur, und schon wird das was."
Sie legt viel Wert auf gesunde Ernährung und Sport, "rote Beeren sind voller Antioxidantien"
Dabei legt Wagner eine angenehme Ungezwungenheit an den Tag. Das Pancake-Rezept, das sie an diesem Tag ausgesucht hat, ist nicht etwa ihr eigenes. Es stammt von Chefkoch.de und liegt ausgedruckt auf dem Küchentisch. Eigene Backtricks? Hat sie nicht wirklich. Na gut, die Pancakes macht sie mit Eischnee, der Fluffigkeit zuliebe. Und sie empfiehlt, die Teigfladen immer einen Tick länger in der Pfanne zu lassen, bis sie stabil genug zum Wenden sind. Sie verwendet selbst mitgebrachte Vanille aus Mauritius, was natürlich kein Muss ist. Außerdem würzt sie mit einer ayurvedischen Mischung aus Kurkuma und Ingwer, die sie selbst über eine kürzlich mit einer Freundin gegründete Firma vertreibt.
Während nun die ersten Pancakes in der Pfanne rösten, rührt sie in einer Schüssel schnell eine Skyr-Zimt-Mischung mit Ahornsirup an. Der Pancake-Turm, den sie später den Gästen servieren wird, ist beeindruckend hoch und wird von Heidel- und Erdbeeren gekrönt: "Rote Beeren sind voller Antioxidantien, eine Wohltat für den Körper!"
Sie legt viel Wert auf gesunde Ernährung und Sport, "seit ich älter werde". Ihr Erweckungserlebnis: Vor vielen Jahren war sie mit einem Freund im Gebirge Tasmaniens bergsteigen, als an einer steilen, gefährlichen Stelle die beiden plötzlich ein weißhaariges Rentnerpaar zügigen Schrittes überholte. Das hat Wagner nachhaltig beeindruckt. Seither ist ihr Ziel: Dem Altern begegnen, indem sie gesund und fit bleibt. Also hebt sie täglich Gewichte, läuft um die Alster, kocht gesundes Essen. "Nichts ist so schädlich für unseren Körper wie Stillstand."
Sie hüpft wie ein Flummi über die Bühnen, aber privat geht sie genauso gerne tanzen
Nachdem sie in den Nullerjahren einige Jahre als Schauspielerin an verschiedenen Theatern arbeitete und Fernsehshows moderierte, tritt Wagner seit ein paar Jahren wieder als Blümchen auf. Mitte Juli erscheint ihre neue Single "Party All The Time", außerdem nimmt sie alte Songs wie "Herz an Herz" mit jungen Künstlern neu auf, die Musik von damals ist bei Teenagern wieder beliebt. Und sie tourt wieder, mit Loona, Captain Jack, Culture Beat ... Die Helden der 90er sind auch auf Festivals wieder gefragt. Inzwischen reist Blümchen allerdings nicht mehr im Fiat Panda von Auftritt zu Auftritt, sondern altersgemäß im Kombi, samt Partner und Kind. Zwischen den Konzerten macht die Familie Spaziergänge im Grünen, guckt Tiere an, genießt gutes Essen. Das Tournee-Leben lässt sich durchaus auch familienfreundlich gestalten.
Was in dieser Ballung vielleicht etwas tantig klingen könnte, ist freilich nur ein Teil von Jasmin Wagners Persönlichkeit. Denn die Techno-Künstlerin, die über Bühnen hüpft wie ein Flummi, geht privat mindestens genauso gerne tanzen. In der Küche hängt ein gerahmtes Bild, das Frida Kahlo mit einem "Daft Punk"-T-Shirt zeigt. Daneben im Regal steht eine Tasse mit der Aufschrift "Burning Man 2018". Wagner war schon bei vielen "Burns" auf der ganzen Welt, nicht nur auf dem Original in der Wüste Nevadas. "Ich habe ein Herz fürs Feiern."
Nachdem der letzte Auftritt mit Reifenpanne geendet hat, fliegt sie am kommenden Wochenende privat mit Freunden nach Spanien, auf ein Elektro-Festival. Sie ist eben immer noch mehreres zugleich: Popstar, heimeliges Mauerblümchen und Cheerleader.
Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Das benötigt Blümchen zum Backen:
Die Pfanne
"Die war ein Geschenk meiner Mama zum Einzug. Farblich passt sie super zu meiner Küche, ansonsten ist sie total unbesonders. Manche Dinge mag man ja nur, weil sie nun mal da sind und funktionieren. Ach ja: Man kann darin auch sehr gutes Rührei machen!"
Die Küchenmaschine
"Ich mag das Design, so oldschool-newschool. Ich bin ja ein analoges Mädchen in einer digitalen Welt. Die Maschine macht ihre Arbeit, rührt verlässlich und hat verschiedene Rühraufsätze, je nachdem, welchen Teig man macht."
Der Pfannenwender
"Das Wenden von Pancakes kann kompliziert sein. Dieser Wender ist schön groß und schafft das super. Er eignet sich auch hervorragend zum Draufhauen, Zerteilen, Halbieren. Und er liegt gut in der Hand."
Eisbaden mit Henning Baum , Rennauto fahren mit Smudo , Wurst essen mit Linda Zervakis : Weitere Folgen von " Meine Leidenschaft " finden Sie hier .