Kolumne: Vor Gericht:Ein unübersehbarer Widerspruch

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(Foto: Steffen Mackert)

Pamela Pabst ist die erste Strafverteidigerin Deutschlands, die von Geburt an blind ist. Ihre Geschichte ist die einer großen Ungerechtigkeit.

Von Verena Mayer

Manchmal hört man auf den Treppen eines Berliner Gerichtsgebäudes ein leises Klackern. Es ist das Geräusch eines Stocks, der über den Steinboden geschoben wird, genauer gesagt: eines Blindenstocks. Er gehört einer kleinen Frau mit langem Zopf und schwarzer Robe, der Rechtsanwältin Pamela Pabst.

Pabst, 44, ist über Berlin hinaus bekannt. Sie war die erste Strafverteidigerin Deutschlands, die von Geburt an blind ist, seit 2018 gibt es eine ARD-Serie, die von ihrem Alltag inspiriert ist. "Die Heiland - Wir sind Anwalt" erzählt, wie eine blinde Anwältin mit ihrer Assistentin in Gerichtssälen sitzt und sich beschreiben oder vorlesen lässt, was in den Akten steht. Wie sie Zeugen befragt und an der Stimme merkt, wenn einer lügt.

Es ist ja auch ein filmreifes Leben, Pabst hat oft davon erzählt. Als Schülerin wurde sie wegen ihrer Behinderung gemobbt, einmal haben Jugendliche ihre Haare angezündet. Nach der Schule ging sie ans Moabiter Kriminalgericht, um die großen Prozesse ihrer Zeit zu verfolgen, gegen Egon Krenz oder den Kaufhauserpresser Dagobert. Vor allem aber wollte sie an einem Ort sein, an dem es um Gerechtigkeit geht.

Irgendwann wollte Pamela Pabst selbst dafür sorgen, dass Recht geschieht. Sie studierte Jura, mit Vorleseassistenten oder Kassetten, auf die sie Gesetzestexte aufgesprochen hatte. Ihre erste Bewerbung in einer Anwaltskanzlei wurde noch mit den Worten "Wir sind hier nicht am Sozialamt" abgelehnt, später reichte man im Gefängnis ihre Visitenkarte herum. Unter Kriminellen hieß es: Eine Blinde, die das Jurastudium schafft, ist genau die Richtige, um jemanden rauszuhauen.

Wenn Pamela Pabst heute mit ihrem Stock bei Gericht unterwegs ist, ist sie ein Vorbild für viele Menschen mit Behinderung. Doch ihre Geschichte ist auch die einer großen Ungerechtigkeit. Denn eigentlich war es ihr Traum, selbst Recht zu sprechen, als Strafrichterin. Doch das darf sie nicht. In einem Strafprozess geht es um den sogenannten Augenschein. Ein Richter oder eine Richterin muss das, was im Gerichtssaal passiert, mit allen Sinnen erleben. Und dafür muss man sehen können, das hat der Bundesgerichtshof in den Achtzigerjahren entschieden.

Sie selbst habe sich damit inzwischen abgefunden, sagte Pamela Pabst bei einer Begegnung neulich. Aber für andere hofft sie, dass ein Gerichtspräsident einmal eine blinde Person in eine Strafkammer setzt und schaut, ob das Höchstgericht heute anders entscheiden würde. Der Widerspruch ist ja offensichtlich. Wenn Pamela Pabst das Berliner Kriminalgericht betritt, muss sie an der riesigen Skulptur am Portal vorbei - Göttin Justitia mit ihrer Augenbinde. Die Justiz ist blind, eine Strafrichterin aber darf es nicht sein.

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