Mexiko:Das gepanzerte Land

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Im vom Drogenkrieg geschüttelten Mexiko blüht das Geschäft mit der Angst: Mode muss hier nicht nur schön, sondern auch noch kugelsicher sein.

Peter Burghardt

Mexiko-Stadt - Das Viertel Polanco von Mexiko-Stadt ist ein idealer Platz für den kolumbianischen Panzerschneider. Gute Restaurants, teure Läden - wer hier wohnt oder einkauft oder isst, der hat in der Regel Ansprüche und Geld. Und manchmal Angst, dass ihm jemand das Geld wegnehmen will. Oder das Leben. Deshalb stehen vor vielen Türen bewaffnete Aufpasser.

In Mexiko ist kugelsichere Mode ein erfolgreicher Trend. (Foto: AFP)

Eine besonders interessante Boutique liegt um die Ecke der Boss-Filiale in der Aristoteles-Straße. Kunden müssen am Eingang durch eine Scannerschleuse, drinnen wird die angebotene Mode manchmal einem eigenwilligen Härtetest ausgesetzt: Zum Beweis, dass seine Produkte etwas taugen, lässt Besitzer Miguel Caballero gerne Angestellte eine Jacke überziehen, zielt mit einem Revolver auf den Oberkörper und drückt ab. Nach dem Knall zieht er triumphierend ein zerquetschtes Projektil aus dem Stoff der Versuchsperson. Nichts passiert.

Caballero verkauft kugelsichere Kleidung. Und das so erfolgreich, dass er außer daheim in Bogotá inzwischen im Kaufhaus Harrods in London vertreten ist, bald in Guatemala und eben mit dieser mexikanischen Filiale. In dem zweistöckigen Haus hängen schussfeste Lederblazer, Hemden, Polo-Shirts, Hosen, Mäntel, Petticoats, sogar Unterwäsche. An den Bügeln baumeln auch arabische Gewänder, für die Kunden aus dem Mittleren Osten. Die Stücke werden maßgeschneidert, sie sind vergleichsweise leicht und kosten zwischen 500 und 5000 Dollar. Die teuersten halten einer Magnum 44 stand.

Zu den Kunden gehören Politiker, Unternehmer, Richter, Schauspieler, Journalisten. Namen sind geheim, von Venezuelas Präsident Hugo Chávez und Kolumbiens Ex-Staatschef Álvaro Uribe ist die Rede. Zu den Klienten gehören außerdem "normale Leute, die sich bedroht fühlen", sagt Geschäftsführer Javier di Carlos. Also immer mehr Mexikaner.

Begonnen hatte der Gründer Caballero in Kolumbien, wo sich seit 40 Jahren Armee, Guerilla, Paramilitärs und gewöhnliche Kriminelle bekriegen. Dem damaligen Studenten Caballero fiel auf, dass Schutzwesten so schwer und unbequem sind, dass viele Träger sie nicht anziehen wollten. Der Erfinder begann, für Militär und Polizei bequemeren und schickeren Oberkörperschutz zu entwerfen und schließlich auch möglichst widerstandsfähige und trotzdem unauffällige Mode für Zivilisten.

Seine Zentrale und eine Fabrik stehen nach wie vor in der Heimat, doch inzwischen beliefert der Kolumbianer die halbe Welt und ist auf Laufstegen vertreten. Die größte Nachfrage hat der Armani der gepanzerten Mode in Lateinamerika, vorneweg in Mexiko, denn in diesem Teil des Planeten blüht das Geschäft mit dem Leben und mit dem Tod.

Viele Länder der Region leiden unter einer wuchernden Kriminalität mit einem Wust an Waffen. Städte wie Ciudad Juárez im mexikanischen Norden, Tegucigalpa in Honduras, San Salvador in El Salvador und Caracas in Venezuela gehören zu den mordreichsten des Globus. Auch Rio de Janeiro, Sao Paulo, Medellín und Bogotá sind mit Vorsicht zu genießen, was in den meisten Fällen mit einer teilweise abstrus reichen Minderheit und einer bitterarmen Mehrheit zu tun hat.

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Hinzu kommt der Krieg um die Drogen, der in Mexiko und Zentralamerika mehr Menschen umbringt als die Schlachten in Irak und Afghanistan. Für lateinamerikanische Jugendliche ist die Gefahr, ermordet zu werden, 30 Mal so groß wie für junge Europäer. Entführungen haben mancherorts ebenfalls zugenommen. Wer glaubt, dass ihn der Staat nicht ausreichend bewacht, kümmert sich selbst darum. Angebot und Nachfrage nähren einen gewaltigen Markt.

Die meisten Konfliktzonen liegen zwar in Stadtteilen, die Mitglieder der Oberschicht kaum betreten. Welcher Bewohner von Ipanema oder Leblon in Rios Süden verirrt sich in die Favelas in Rios Norden? Wer aus Recoleta in Buenos Aires war schon mal in der Villa 31 gegenüber? Was hat Mexikos Edelviertel Lomas de Chapultepec mit Tepito zu tun? Aber vor allem Elite und Risikogruppen mauern sich nach Kräften ein, wobei die Paranoia oft noch größer ist als die Gefahr.

Wer sich für besonders bedroht hält, der fährt in gepanzerten Autos mit Satellitenüberwachung, lebt hinter elektronisch gesicherten Mauern und wird von Leibwächtern begleitet. Manche Mexikaner lassen sich obendrein Chips einpflanzen, um nach einem Kidnapping via GPS geortet werden zu können. Wer sich noch mehr fürchtet, der lässt sich des weiteren ein bunkerähnliches Fluchtzimmer mit Panikknopf einbauen.

Längst herrscht Wildwuchs in der Security-Szene. Allein in Mexiko boten im Jahr 2010 mehr als 8000 Firmen Sicherheitsdienste aller Art an, die meisten ohne Zertifikat. Der Fachverband der mexikanischen Bodyguards geht von 15000 bis 30000 bewaffneten Aufpassern aus.

Nicht wenige davon sind Delinquenten und Ex-Polizisten oder Soldaten, die sich auch gerne Rauschgiftkartellen und anderen Banden anschließen. Laut dem Nationalen Rat für private Sicherheit setzte die mexikanische Szene im vergangenen Jahr 625 Millionen Dollar um. Auch Venezuela meldet in der Sparte Selbstverteidigung gewaltiges Interesse, weil sich Morde und Verschleppungen vervielfacht haben.

Inzwischen lassen sich oft auch Autofahrer aus der Mittelklasse das Fahrzeug mit Kevlar oder anderen Schussbremsen verstärken. "Das Wachstum war brutal", berichtete Mauricio Natale vom Mexikanischen Verband der Autopanzerungen der Zeitung El Universal. In Vorführräumen von Mexiko-Stadt stehen Geländewagen, deren Panzerglas und Spezialbleche einer Maschinengewehrsalve standgehalten haben. Niveau 5, so heißt es, schütze gegen Sturmgewehre vom Typ AK-47.

Bloß das Fenster aufmachen darf man nicht. Und wenn, dann nur in Stoffen von Miguel Caballero.

© SZ vom 17.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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