Bioprodukte:Das Fünf-Milliarden-Wunder

Die Gretchenfrage der Ernährung: Welcher Apfel ist gesünder? Derjenige, der in der richtigen Lage am richtigen Baum wuchs, oder jener, der ein Biosiegel trägt?

Silvia Liebrich und Daniela Kuhr

Die Bioäpfel von Ökobauer Mike Prevost sind gefragter denn je. Auf der Lorraine Farm in der Nähe von Kapstadt baut der Südafrikaner vor allem die Sorte Elstar an. Gegessen wird sein Obst am anderen Ende der Welt, vor allem in Deutschland. Für die meisten Menschen in dem afrikanischen Land wäre die teurere Ökoware unerschwinglich. Prevost gehört damit zu einer weltweit wachsenden Zahl von Landwirten, die vom Bioboom in den wohlhabenden Industrieländern profitieren.

Bioprodukte

Welcher Apfel ist gesünder? Derjenige, der in der richtigen Lage am richtigen Baum wuchs, oder jener, der ein Biosiegel trägt?

(Foto: Foto: dpa)

Ein großer Teil der hierzulande verkauften Bioware hat einen weiten Weg hinter sich, bevor sie auf dem Teller landet. Bioäpfel kommen aus Neuseeland oder Südafrika, Erdbeeren aus Chile, Nüsse aus China. Ohne Nachschub aus dem Ausland wäre der deutsche Handel längst nicht mehr in der Lage, die wachsende Nachfrage nach Ökoprodukten zu bedienen. Die Begeisterung für Möhren, Kartoffeln oder Orangen, die ohne Pestizide oder künstliche Düngemittel gezogen werden, wächst unaufhaltsam. Nach Auskunft von Statistikern greifen inzwischen 90 Prozent der Bundesbürger zumindest hin und wieder zu Bioware.

Nach einem Umsatzplus von 15 Prozent im vergangenen Jahr rechnet die Branche 2008 mit einem weiteren Rekordumsatz. "Wir werden in diesem Jahr deutlich über die Fünf-Milliarden-Grenze kommen", sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, am Donnerstag kurz vor Beginn der Grünen Woche (18. bis 27. Januar) in Berlin, der weltweit größten Verbrauchermesse dieser Art. Er warnte zugleich vor möglichen Engpässen bei der Versorgung. "Die Knappheit der Ware wird zunehmen, weil Bio inzwischen auch zum Standard in den Supermärkten gehört."

Die Auswirkungen des Nachfrageschubs bekamen die Verbraucher bereits im vergangenen Jahr zu spüren. So zogen etwa die Preise für Biokartoffeln zeitweise so stark an, dass viele Konsumenten wieder zu konventioneller Ware griffen. Erheblich verteuert haben sich auch Getreideprodukte. "Hier konnten die Lücken mit höheren Importen geschlossen werden", sagte Löwenstein.

Experten gehen davon aus, dass in Zukunft noch mehr Bioware aus dem Ausland kommen wird. Derzeit liegt der Anteil bei etwa einem Drittel - Tendenz stark steigend, schätzt Agrarprofessor Ulrich Hamm von der Universität Kassel. Genaue Zahlen liegen nicht vor, weil die offizielle Statistik bei Nahrungsmittelimporten nicht zwischen Bio- und konventioneller Ware unterscheidet.

Das Fünf-Milliarden-Wunder

Trotz der großen Nachfrage sind aber nur wenige Erzeuger in Deutschland bereit, auf Ökolandbau umzustellen. Die Anbaufläche nahm im vergangenen Jahr nur um magere zwei Prozent zu. Ökoverbände und auch die Bauernverbände machen dafür staatliche Eingriffe verantwortlich. "Hier setzt die Politik die falschen Signale", sagt Bioland-Präsident Thomas Dosch. So seien im vergangenen Jahr die Ökoprämien in allen Bundesländern gekürzt worden. Damit fehle für viele Landwirte der finanzielle Anreiz.

Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer sprach sich am Donnerstag vor Beginn der Grünen Woche jedoch ausdrücklich für den Biolandbau aus. "Wir wollen ihn, wir brauchen ihn, und wir unterstützen ihn", sagte der CSU-Politiker und betonte, dass er nur für die Bundesregierung, nicht aber für die Länder sprechen könne. Er wolle den Biolandbau aber nicht gegen den konventionellen ausspielen. Ziel müsse sein, den Bauern insgesamt zu ermöglichen, dass sie ihre Produkte zu fairen, kostendeckenden Preisen anbieten können.

"Wir müssen die Bauern absichern, sonst verschwinden sie", sagte Seehofer. Das aber könne verheerende Folgen haben. "Wir dürfen in einem so wichtigen Bereich wie der Lebensmittelversorgung nicht die gleichen Abhängigkeiten vom Ausland schaffen wie in der Energieversorgung." Die Frage, ob Verbraucher künftig auch Fleisch von geklonten Tieren erhalten sollten, verneinte er jedoch. "Unter ethischen Gesichtspunkten habe ich da äußerste Vorbehalte." Schließlich werde dabei ein Lebewesen reproduziert. "Eine Gesellschaft darf nicht alles, was technisch möglich ist, auch tatsächlich machen." Die EU-Kommission prüft derzeit, ob Klon-Fleisch zugelassen werden darf.

Im Handel befürchtet man unterdessen, dass sich aufgrund der starken Nachfrage nach Bioprodukten die Betrugsfälle häufen werden. "Soviel Bio, wie im Moment angefordert wird, kann gar nicht erzeugt werden", sagt Hans Jürgen Bönsch vom Landesverband des Bayerischen Einzelhandels. Er befürchtet große Imageschäden für die Branche, sollte sich herausstellen, dass nicht Bio drin ist, wo Bio draufsteht. Diese Sorge ist nicht aus der Luft gegriffen: Erste Betrugsfälle wurden bereits 2007 bekannt, als die Behörden in Baden-Württemberg angebliche Biomöhren aus Italien aus dem Verkehr zogen, die sogar höher mit Pestiziden belastet waren als herkömmliche Ware.

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