Süddeutsche Zeitung

Bio, regional, klimafreundlich:Wie man mit gutem Gewissen einkauft

Lesezeit: 6 min

Bio oder regional? Tierschutz oder Klimaschutz? Beim Lebensmittelkauf geht es um weit mehr als darum, was schmeckt. Tipps von Expertinnen für einen Einkauf ohne Gewissensbisse.

Von Sabrina Ebitsch

Gesund soll unser Essen sein und gut schmecken, klar. Aber ganz so einfach ist Ernährung heute nicht mehr. Vor dem Obst- und Gemüseregal oder an der Fleischtheke stellen sich auch Fragen nach der Haltung der Tiere, der Klimabilanz von Lebensmitteln, nach ihrer Herkunft und danach, wie sie produziert wurden. Unsere Autorin Violetta Simon hat sich den Dilemmata des Einkaufens gestellt und sie in diesem Text geschildert - stellvertretend für zahlreiche Leser, die uns geschrieben haben. Hilfe kommt von den Expertinnen Ina Bockholt von der Stiftung Warentest und Britta Klein vom aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e. V.

SZ.de: Beim Einkaufen und Essen sind wir starken Widersprüchen ausgesetzt. Gibt es Leitlinien, an denen sich der Durchschnittsbürger orientieren kann?

Ina Bockholt: Jeder Verbraucher sollte genau hinschauen, wenn er einkaufen geht. Sieht das Fleisch, der Fisch, das Obst und Gemüse frisch aus? Riecht es gut? Was steht auf der Verpackung von verpackten Lebensmitteln? Jeder hat seine Kriterien, die ihm wichtig sind. Der eine lehnt Zusatzstoffe ab, der andere ist allergisch gegen bestimmte Inhaltsstoffe. Manche versuchen auch zu viel Fett und Zucker zu vermeiden. Einigen ist es wichtig, dass die Lebensmittel aus ökologischem Anbau stammen. Viele Menschen achten beim Einkauf auch auf ihr Portemonnaie.

Welchen Ausweg kann man Verbrauchern empfehlen, wenn sie auch noch mit gutem Gewissen zur Kasse gehen wollen?

Britta Klein: Am besten wählt man sich zunächst einen Leitstern aus - also einen Aspekt, der am wichtigsten ist. Vielen zum Beispiel ist Bio sympathisch, sie haben aber Bedenken, wenn die Produkte in Plastik verpackt sind oder von weit her kommen. Aber man darf da auch mal gnädig mit sich sein. Natürlich ist es ideal, wenn ich beim Bio-Bauern um die Ecke kaufe, was gerade Saison hat - aber das ist nicht für alle machbar. Der Mittelweg ist besser, als wenn die Verbraucher es vor lauter Überforderung ganz lassen. Jeder kleine Schritt zählt.

Gibt es Lebensmittel, von denen man angesichts all dieser Aspekte besser die Finger lassen sollte - zum Beispiel Convenience Food?

Klein: Das kommt auf die Lebenssituation des Einzelnen an. Wenn jemand abends um 19 Uhr nach Hause kommt und ein ordentlich produziertes Fertigprodukt essen will, dann ist dagegen erst mal nichts einzuwenden. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu bevormunden. Vielleicht wäre es in solchen Fällen eine Alternative, bei Gelegenheit mehr zu kochen und die Reste einzufrieren und aufzuwärmen, wenn die Zeit mal wieder knapp ist.

Wie sinnvoll kann der Kauf von ökologischen Wurst- und Käseprodukten noch sein, wenn sie nur in Verbindung mit Verpackungsmüll zu haben sind?

Bockholt: Ideal wäre es, wenn alle Lebensmittel nur mit so viel Material verpackt wären, wie es für ihre Sicherheit notwendig ist. Das gilt auch für Bio-Lebensmittel. Wenn Verbraucher die Möglichkeit haben, sollten sie Verpackungen links liegen lassen und zum Beispiel an der Theke kaufen. Dort werden Wurst, Käse, Fleisch und Fisch meist weniger aufwändig eingepackt. Allerdings kann Thekenware teurer sein. Frisches Fleisch von dort hält sich aber oft so lange wie das abgepackte aus der Kühltheke, das sich in einer Schutzatmosphäre befindet.

Oft sind Produkte, die ein gutes Gewissen versprechen, teurer - wie bleibt das bezahlbar?

Bockholt: Bei bestimmten Grundnahrungsmitteln bestehen eher geringe Preisunterschiede zwischen konventionellen und Bio-Produkten - etwa bei Nudeln, Kartoffeln, Karotten oder Milch. Wir haben vor einiger Zeit die Preise von Lebensmitteln aus 85 Tests ausgewertet und dabei festgestellt, dass Bio-Lebensmittel im Schnitt 30 bis 50 Prozent teurer waren als die konventionelle Konkurrenz. Vor allem Bio-Fleisch kostete deutlich mehr. Der höhere Preis ist die Folge einer aufwändigeren Produktion. Die Bio-Hersteller verzichten etwa in der Landwirtschaft auf chemisch-synthetisch hergestellte Pestizide und mineralischen Kunststoffdünger. Gentechnik ist tabu und bei der Verarbeitung von Lebensmittel müssen die Produzenten von Bio-Lebensmitteln mit weniger Zusatzstoffen auskommen. Es gibt aber auch Preisunterschiede zwischen Bio-Produkten, die nur das EU-Bio-Siegel tragen, und solchen, auf denen zusätzlich noch das Siegel eines Anbauverbandes wie Demeter oder Bioland ist. Die Hersteller unterliegen dann strengeren Maßstäben, was die Produktion zum Teil teurer macht.

Selbst mit Bio und Fair Trade ist man nicht unbedingt auf der sicheren Seite: Häufig haben diese Produkte einen weiten Weg hinter sich - und damit eine schlechte Klimabilanz.

Klein: Wenn einem Verbraucher das besonders wichtig ist, wage ich zu behaupten, dass er mit der konventionellen Paprika aus Holland tatsächlich besser dran ist als mit der Bio-Paprika aus Israel, die in der Plastikschale nach Deutschland transportiert wird. Zumal die holländischen Gewächshäuser mittlerweile häufig sehr gut sind: keine Pflanzenschutzmittel, geheizt wird mit Abwärme - da steht dann nur nicht bio drauf, weil die Pflanzen in Substraten wachsen. Aber wir importieren mehr und mehr Bio-Produkte, weil der Bedarf da ist und es in Deutschland zu wenig Anbauflächen gibt. Und weil wir nun mal Paprika haben wollen, wenn wir ein tolles Rezept für das Abendessen mit Freunden gefunden haben - da machen wir ja nicht was mit Grünkohl, nur weil es den auch im Winter gibt.

Bockholt: In der Tat muss der Verbraucher sich da die Sinnfrage stellen: Müssen wir wirklich Frühkartoffeln aus Ägypten oder Israel beziehen, wo Wasser rar ist? Kartoffeln wachsen schließlich auch in Deutschland und lassen sich gut und mit wenig Energieaufwand über den Winter lagern. Diese regionalen Produkte stellen aus ökologischer Sicht eine gute Alternative dar, auch wenn sie konventionell angebaut worden sind. Wer als Bio-Käufer auch im Winter Tomaten will statt Kohl, muss sich bewusst machen, dass sie nicht aus der Gegend stammen und einen langen Transport hinter sich haben. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, warum es in Deutschland nicht mehr Bioanbaufläche für stark nachgefragte Produkte wie Kartoffeln oder Möhren gibt. Die klassischen Fairtrade-Produkte sind Kaffee, Schokolade und Orangensaft. Weil die Rohstoffe dafür nicht bei uns wachsen, müssen immer weite Transportwege in Kauf genommen werden.

Wie fällt die Bilanz konkret aus, wenn ich regional gegen bio abwäge - etwa bei einem Apfel?

Klein: Es gibt zahlreiche Studien, die untersucht haben, wann der Bio-Apfel aus Neuseeland wegen Lagerung und Kühlung dann doch wieder klimafreundlicher ist als der vom Bodensee. Der Punkt wäre demnach etwa im April erreicht. Aber das ist von so vielen Faktoren abhängig, so dass man es kaum genau sagen kann. Das Wichtigste ist ohnehin das eigene Einkaufsverhalten: Wenn man mit dem Auto zum Supermarkt fährt, ist die Klimabilanz dahin, auch wenn das Lebensmittel noch so klimafreundlich und ökologisch erzeugt wurde.

Kann ich mich denn darauf verlassen, dass regionale Lebensmittel auch aus meiner Region stammen?

Bockholt: Wir haben im vergangenen Jahr regionale Lebensmittel unter die Lupe genommen. Mit einer bestimmten Untersuchungsmethode, der Isotopenanalyse, haben wir überprüft, ob die Kartoffeln, Äpfel und Eier im Test wirklich aus der jeweils angegebenen Region stammen. Wir konnten keine Schummeleien nachweisen. Allerdings ist Regionalität ein dehnbarer Begriff: Der Verbraucher muss auf der Verpackung nachschauen, ob das Produkt aus seinem Landkreis kommt oder nur aus dem entsprechenden Bundesland.

Wenn ich mich im Winter nur von regionalen Produkten ernähren will, wird das nicht ein bisschen eintönig und vitaminarm?

Bockholt: Nein, das lässt sich auf jeden Fall machen, ohne eine Mangelernährung zu riskieren. Es gibt zum Beispiel kaum ein Gemüse, das so vitamin- und mineralstoffreich ist wie Kohl, da braucht es keine Südfrüchte. Es gibt auch allerhand Wurzeln wie Pastinaken, Karotten oder Hülsenfrüchte, die sich köstlich zubereiten lassen. Äpfel und Kartoffeln aus der Region schmecken, gut gelagert, auch im Winter. Vieles lässt sich lecker und auf moderne Weise zubereiten, wenn man sich ein bisschen damit vertraut macht.

Klein: Man muss ja nicht so radikal sein, sich nur von Grünkohl und Kartoffeln zu ernähren, völlige Einschränkung ist kaum vermittelbar. Aber man kann auf bestimmte Lebensmittel verzichten und sich darauf freuen, wenn sie Saison haben. Nachschauen lässt sich das beispielsweise in Kalendern.

Ist es sinnvoller, Fleisch beim Metzger anstatt im Supermarkt zu kaufen?

Bockholt: Das Fleisch beim Metzger ist nicht automatisch gesünder oder aus artgerechterer Haltung, der Einkauf ist Vertrauenssache: Man muss sich mit dem Metzger unterhalten und ein Gespür dafür entwickeln, wie glaubwürdig seine Aussagen sind. Viele werben mit Markenfleischprogrammen und dokumentieren dann, woher das Fleisch stammt, oder sie haben sich regionalen Initiativen angeschlossen. Aber wie die Tiere dort gehalten werden, lässt sich nur nachvollziehen, wenn man selbst hinfährt.

Wie kann ich schon beim Einkauf erkennen, ob die Tiere artgerecht gehalten wurden?

Bockholt: Das EU-Ökosiegel bietet eine gute Orientierung. Die EU-Ökoverordnung stellt vergleichsweise hohe Anforderungen an den Tierschutz. Die Tiere auf Bio-Bauernhöfen haben mehr Platz und Auslauf als konventionell gehaltenene Artgenossen. Sie sollten möglichst ausschließlich Bio-Futter bekommen und nur wenn notwendig mit Antibiotika behandelt werden. Bio-Tiere leben auch länger, bevor sie geschlachtet werden. Bei unserem Test von Hähnchenbrustfilets zeigte sich, dass es den Tieren in ökologischer Haltung tatsächlich besser geht. Zu den weiteren Siegeln, die eine artgerechte Tierhaltung versprechen, zählt das Markenfleischprogramm "Neuland". Über den Erfolg des Tierschutz-Labels "Für mehr Tierschutz", das seit gut einem Jahr auf einigen Fleischprodukten steht, streiten sich die Experten noch. Bislang gibt es entsprechend gekennzeichnetes Fleisch in 8000 deutschen Supermärkten.

Bin ich mit bestimmten Fleischsorten besser beraten?

Klein: Schweine und Geflügel sind auf den ersten Blick klimatechnisch besser als die Methan freisetzenden Kühe. Andererseits werden deren Futtermittel oft von weit her transportiert, während Rinder Gras von der Weide fressen. Für den Tierschutz muss man auf die Siegel und Labels achten - wem bio zu teuer ist, der kann nach Neuland-Fleisch oder speziellen Tierschutz-Labeln gucken. Natürlich gibt es auch bei Bio-Fleisch Verbesserungsmöglichkeiten, aber in der Regel kümmern sich die Bauern gut um die Tiere. Ansonsten: keine Fertigprodukte mit Fleisch kaufen, da sind - siehe Pferdefleischskandal - die Handelsströme einfach zu unübersichtlich.

Im Zweifel also lieber kein Fleisch?

Klein: Am sinnvollsten ist es tatsächlich - auch aus gesundheitlichen Gründen - wenig Fleisch und wenn, dann gutes aus der Region zu essen. Jeder Deutsche isst 60 Kilo Fleisch im Jahr - statt missionarisch für vegetarische oder vegane Ernährung zu werben, wäre es besser, sich an das alte Prinzip Sonntagsbraten zu halten.

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