Süddeutsche Zeitung

BGH-Entscheidung zu Heimkosten:Verstoßen, aber vielleicht zahlungspflichtig

40 Jahre lang hatten sie praktisch keinen Kontakt mehr, nun soll der Sohn für einen Teil der Heimkosten des Vaters aufkommen. Ob das gerecht ist, darüber hat der BGH verhandelt - und tut sich schwer mit der Entscheidung: Ein Urteil wird erst am 12. Februar verkündet.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seinen Vater hatte der heute 60-jährige Sohn seit 1971 kaum noch gesehen, weswegen er sich gewundert haben wird über den Brief vom bremischen Sozialamt: Der Vater sei jetzt im Heim, die Behörde behalte sich vor, den Sohn für die Kosten haftbar zu machen. Das war vor fünf Jahren. 2012 starb der Vater, fast 90 Jahre alt. Jetzt soll der Sohn rund 9000 Euro nachzahlen, also fast ein Drittel der gesamten Heimkosten: als Unterhalt für den Vater, der ihn - wie er es sieht - 1971 verstoßen hat.

In der Verhandlung an diesem Mittwoch ist deutlich geworden, wie schwierig die Abwägung ist. Immerhin, so sagte der BGH-Senatsvorsitzende Hans-Joachim Dose, habe der Vater - ein selbständiger Friseurmeister - bis zum 17. Lebensjahr des Sohnes bei der Familie gelebt und auch für deren Unterhalt gesorgt. Und nachdem er Frau und Sohn verlassen hatte, schrieb er gelegentlich Postkarten.

Im Grundsatz jedenfalls ist unumstritten, dass erwachsene Kinder für die Heimkosten ihrer mittellosen Eltern herangezogen werden können; die Sozialbehörden klagen diesen Anspruch stellvertretend für die Eltern ein.

Freilich hat der BGH die Haftung in vielen Urteilen reduziert. Auch wer Eltern im Heim hat, darf zunächst für seine angemessene Altersvorsorge sparen - und er muss zuerst für die eigenen Kinder aufkommen. Außerdem gewährt der BGH einen großzügigen "Selbstbehalt", damit man seinen Lebensstandard halten kann. Der Normalverdiener wird nach all diesen Abzügen kaum noch nennenswerte Beträge für den "Elternunterhalt" übrig haben. Es sei denn, er verfügt über genügend Vermögen.

Eine moralische Frage im rechtlichen Gewand

Doch diesmal ging es beim BGH um eine moralische Frage im rechtlichen Gewand: Kann der Vater, der sein Leben lang von seinem Sohn nichts wissen wollte, am Ende auf die finanzielle Solidarität der Familie pochen? Oder hat den Anspruch verwirkt, wer den Begriff Familie nie selbst mit Inhalt gefüllt hat; also mit Zuwendung und Anteilnahme?

Die Familie war 1971 auseinandergebrochen, der Sohn suchte noch etwa ein Jahr lang den Kontakt zum Vater, aber der zeigte kein Interesse. Sein Kommentar zum bestandenen Abitur: Achselzucken. Zur Verlobung: "Du bist ja verrückt." 1998 erinnerte sich der Vater noch einmal an den Sohn - als er ihn enterbte: Ihm solle nur der "strengste Pflichtteil" zustehen, schrieb er ins Testament. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg, dessen Urteil nun vom BGH geprüft wird, hielt den Anspruch für verwirkt.

Allerdings entfällt nach Paragraf 1611 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Unterhaltsanspruch nur bei "schweren Verfehlungen". Oder, wie es die Gerichte altertümlich formulieren: bei einem "groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung". Bloße Vernachlässigung genügt nicht, um die Familiensolidarität einzubüßen.

Aber was heißt hier Verfehlung? "Hier wurde das Kind ins Leben entlassen - kurz vor dem Abitur", sagte Siegfried Mennemeyer, Anwalt der Stadt Bremen. Dass nach einer Scheidung der Kontakt des Vaters zur Familie abgerissen sei, das sei in den 70er Jahren in fast der Hälfte der Fälle so gewesen - Alltag also. Und sei denn wirklich immer nur der Vater Schuld am Zerwürfnis gewesen? Etwa bei der Beerdigung des Großvaters, fünf Jahre nach dem Auszug - Vater und Sohn wechselten damals kein Wort: Der Vater habe einen Kranz niedergelegt, auf der Schleife stand auch der Name seines Sohnes - was diesen gegen den Vater aufgebracht habe.

"Dass der Kontakt eingeschlafen ist, reicht für einen Ausschluss des Anspruchs nicht aus", sagte Mennemeyer. Und erntete der der Anwältin Brunhilde Ackermann, seiner Widersacherin im Gerichtssaal. Bei 40 Jahren Kontaktlosigkeit könne man nicht von einer eingeschlafenen Beziehung sprechen. Das sei eine tiefe Kränkung gewesen, die der damals fast erwachsene Sohn womöglich schmerzlicher empfunden habe als ein Kleinkind.

Der Senatsvorsitzende Dose hatte schon zu Beginn der Verhandlung angedeutet, dass auch in Mittelweg denkbar sei: eine reduzierte Regressforderung. Was auch dem Umstand Rechnung trüge, dass in Familienstreitigkeiten die Wahrheit darüber, wer Schuld hat, oft in der Mitte liegt.

Das illustriert ein ähnlicher Fall, über den vor einigen Jahren das OLG Celle zu entscheiden hatte. Der Beklagte, inzwischen Rentner, lehnte einen Regress für die Heimkosten der Mutter ab. Weil es für ihn in der Nachkriegszeit immer nur Tafelmargarine gab. Weil er - anders als sein Bruder - kein richtiges Bett gehabt habe. Und weil man ihm einmal fünf Mark vom Taschengeld abgezogen habe - er hatte beim Füttern versehentlich ein Küken getötet. Das OLG indes billigte ihm lediglich eine Kürzung des Anspruchs zu: Nicht wegen der frühen Kränkungen. Sondern weil der Kontakt zwischen Mutter und Sohn seit Jahrzehnten abgerissen war.

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