Süddeutsche Zeitung

Bettina Wulff:First Tattoo

Bettina Wulff ist nicht nur die jüngste, sondern vermutlich auch die erste tätowierte Präsidentengattin Deutschlands - und das ist gut so.

Violetta Simon

Wirken Tattoos an Frauen stylish oder prollig? In jedem Fall sind sie zu verbreitet, um sich darüber noch Gedanken zu machen, möchte man meinen. Doch als Bettina Wulff, Gattin des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten, während der Verleihung des Steiger Awards 2009 ein sogenanntes Tribal auf ihrem rechten Oberarm präsentierte, war die Verunsicherung groß: eine tätowierte Politikergattin, geht das denn?

Nun ja, sagten sich die Wähler, nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, warum nicht. Eingefleischte Tattoo-Träger gaben indes in einschlägigen Foren ihrer Freude über Niedersachsens Landesmutter Ausdruck, die durch ihren Auftritt das Image tätowierter Menschen aufpolierte.

Die Zeiten, in denen Tattoos als Symbol sozialer Randgruppen galten, sind lange vorbei. Doch jetzt, wo die Politikergattin zur jüngsten Präsidenten-Gattin Deutschlands aufgestiegen ist, und sie einige Tage zuvor bei einem CDU-Empfang den verzierten Oberarm durchschimmern ließ, wird ihr Hautbild erneut beleuchtet. Das WAZ-Portal Der Westen fragte rhetorisch-scheinheilig: "Die erste First Lady mit Tattoo?", die Kölner Nachrichten-Website Express wagte das Wortspiel "Die Lady mit dem First Tattoo". Und das Volk fragt sich: Eine tätowierte First Lady, geht das denn nicht zu weit?

Der neue Bundespräsident selbst gab sich hingegen demonstrativ unaufgeregt und bemerkte im Gespräch mit der WAZ lediglich: "Ich habe eben eine coole Frau."

Und sie ist nicht die einzige Dame im politischen Rampenlicht, die die Öffentlichkeit mit einer Tätowierung überrascht hat. Die Ferse der britischen Premiersgattin Samantha Cameron ziert ein Delphin-Tattoo, das aus ihrer Jugendzeit stammt. Im Gegensatz zu Bettina Wulffs Oberarm ist die Stelle äußerst unauffällig und gibt das Motiv nur frei, wenn "Sexy Sam" bei einem gewagten Manöver auf dem öffentlichen Parkett ihren Pumps verlöre. Auch Anne Wills Lebensgefährtin Miriam Meckel besitzt seit ihrer frühen Jugend ein zwölf Zentimeter großes Tattoo, das die Professorin selbst als "Phantasiegebilde" bezeichnet. Es sitzt - wie bei Bettina Wulff - am rechten Oberarm.

Lange Zeit wusste übrigens bis auf ihren Leibarzt niemand, dass Kaiserin Elisabeth von Österreich tätowiert war. Ein Anker zierte Sisis Schulter, als Zeichen der Verbundenheit zu ihrer geliebten Heimat. Selbst Kaiser Franz hatte das Geheimnis nie gelüftet, da seine Gattin den Eingriff erst vornehmen ließ, als sie sich den ehelichen Pflichten längst entzogen hatte.

Ein Massenphänomen

Tätowierte Frauen gab es aber schon viel früher: Bereits vor 4000 Jahren war die Mumie der ägyptischen Priesterin Amunet tätowiert worden, um der Verstorbenen über den Tod hinaus Fruchtbarkeit und Stärke zu sichern. Eine wichtige Rolle spielt bis heute die japanische Kunst der Tätowierung "Irezumi". Bis weit ins 19. Jahrhundert galt sie als Stigma für Straftäter, bis sie sich schließlich bei der Bevölkerung etablierte. Inzwischen sind klassische Motive wie Tiger, Drachen und Kirschblüten auch auf europäischen Rücken und Schultern in jedem Urlaubsort zu sehen - an Männern wie Frauen. Um wirklich zu schockieren, bedarf es da schon anderer Dimensionen: Die US-Amerikanerin Julia Gnuse schaffte es nur dank ihrer Ganzkörper-Tätowierung ins Guinnesbuch der Rekorde.

Dass Tätowierungen immer gesellschaftsfähiger wurden, liegt vor allem an der Verbreitung durch Stars, die kleinere oder größere Motive auf Schultern, Nacken und Oberarmen im Blitzlicht zur Schau stellen. Prominente Beispiele: David Beckham und seine Frau Victoria, Megan Fox, Rihanna, Heidi Klum und Angeline Jolie - auch wenn man bei manchen Runen, Symbolen und chinesischen Schriftzeichen nicht so genau weiß, ob die Hautpartien wirklich eine tiefgründige Botschaft vermitteln; oder nur den Auszug aus einer Speisekarte.

Ein Nachmittag im Freibad bringt es an den Tag: Mittlerweile sind Tätowierungen derart verbreitet, dass man bestenfalls damit auffällt, keine zu besitzen. Wer einst den Stich in die Haut als Ausdruck individueller Emotion und einer höchst persönlichen Einstellung wagte, sieht sich heute mit der Erkenntnis konfrontiert, Teil einer Massenbewegung zu sein. Ob man die Tätowierung vor, während oder nach dem Boom anfertigen ließ - danach kräht heute kein Hahn mehr .

Keine Frage des Stils

Als Ausdruck von Individualität taugt das Symbol auf dem Oberarm der künftigen First Lady sicher nicht. Seine persönliche Botschaft indes wird für sie weiter bestehen - ob sie es zur Schau stellt oder nicht. Die Frage, ob Bettina Wulff sich künftig bei offiziellen Anlässen bedeckt halten sollte, kann also kein Stilbeauftragter oder Knigge-Experte, sondern nur sie selbst beantworten. Und das hat sie in dem Moment getan, als sie es öffentlich zeigte.

Sich selbst treu bleiben - Klaus Wowereit hat es 2001 auf dem SPD-Sonderparteitag mit seinem geflügelten Satz "Ich bin schwul - und das ist auch gut so!" bewiesen - ist der beste Weg, anerkannt zu werden. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat es vorgemacht und war damit gut beraten. Auch Christian Wulff und seine Frau sind ihrem Weg bisher treu geblieben. Wer, bitteschön, mag sich bei so viel Größe noch über ein kleines Tattoo echauffieren?

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