Betreuungsgeld statt Krippenplätze:Wenn die Politik die Kinder vergisst

Der Ausbau der Krippen in Deutschland stockt, gleichzeitig schüttet die Bundesregierung Milliarden an Eltern aus, die ihr Kind zu Hause betreuen. Das zeigt, wie schwer es der Regierung in der Familienpolitik fällt, dort Geld auszugeben, wo es nötig und wirksam ist.

Felix Berth

Deutschland ist das Land der familienpolitischen Gießkanne. Seit Jahrzehnten lässt der Staat gleichmäßig sehr viel Geld auf alle Familien herabrieseln. Mehr als vierzig Milliarden Euro jährlich kostet allein das Kindergeld.

Betreuungsgeld statt Krippenplätze: Gut gemeint, aber wirkungslos: Ob reich oder arm, aus Bildungsbürgertum oder Arbeiterfamilie, der Staat lässt allen Kindern dasselbe zukommen - und vertieft damit nur die Gräben.

Gut gemeint, aber wirkungslos: Ob reich oder arm, aus Bildungsbürgertum oder Arbeiterfamilie, der Staat lässt allen Kindern dasselbe zukommen - und vertieft damit nur die Gräben.

(Foto: AP)

Diese Summe mag zwar im Zeitalter der Rettungsschirme schon fast lächerlich wirken. Doch im Kontext von Sozial- und Bildungspolitik ist sie es keineswegs, wie ein Vergleich zeigt: Sämtliche Schulen Deutschlands kosten pro Jahr laut Bildungsfinanzbericht gut fünfzig Milliarden Euro. Damit sind alle Lehrer an allen Schulen bezahlt, alle Direktoren, die Fortbildungen des Personals, der Unterhalt der Gebäude.

Man würde deutsche Eltern gerne einmal abstimmen lassen, was sie für wirksamer im Sinne ihrer Söhne und Töchter halten: das Kindergeld oder die Schulen? Man möchte sie fragen, ob sie lieber mehr direkte Geldtransfers hätten oder mehr Unterstützung für die Pädagogen.

Nun wird die staatliche Gießkanne sogar noch weiter gefüllt. Ein Betreuungsgeld von hundert Euro monatlich soll an beinahe alle Eltern von einjährigen Kindern gezahlt werden. Gleichzeitig wird bekannt, dass der Ausbau der Kinderkrippen nicht läuft wie erhofft. Im Westen fehlen noch immer 250.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Der Ausbau der Krippen, im Jahr 2007 von Bund und Ländern versprochen, verfehlt die Zielmarke bei weitem.

Für die CSU: die Kita-Verzichtsprämie

Auf den ersten Blick sieht das nach politischer Planung aus, denn es scheint ja zusammenzupassen: Eine konservativ-liberale Regierung findet es unpassend, dass Kinder vor dem dritten Geburtstag außerhalb ihrer Familien betreut werden. Deshalb gewährt sie den Eltern einen finanziellen Anreiz, auf frühe Betreuung zu verzichten; gleichzeitig bremst sie den Ausbau der Kitas. Diese Deutung liegt zumindest nahe.

Doch so koordiniert arbeitet diese Regierung nicht. Der langsame Ausbau der Krippen hat nichts mit Planung zu tun, sondern mit Stümperei der Beteiligten in vielen Ländern und etlichen Kommunen. Das Betreuungsgeld andererseits ist das Resultat eines politischen Kuhhandels in der Bundesregierung: Die FDP darf Steuersenkungen vermelden, dafür kriegt die CSU ihre Kita-Verzichtsprämie.

Die Kinder der Unterschicht verlieren

Dennoch ist es nicht bloß Zufall, dass die beiden Nachrichten im gleichen Moment publik werden. Darin zeigt sich - wieder einmal -, wie schwer es der deutschen Familienpolitik fällt, dort Geld auszugeben, wo es nötig und wirksam ist. Die Brennpunkte sind ja bekannt: Knapp zwanzig Prozent der Kinder leben in Armut; knapp zwanzig Prozent der Schüler schneiden bei den Pisa-Tests unterirdisch schlecht ab; zwanzig Prozent der Kinder ernähren sich höchst ungesund. Solche Daten umreißen das Problem: In Deutschlands Unterschicht hat der Nachwuchs sehr oft sehr schlechte Startchancen.

Diese Kinder, die oft, aber nicht ausschließlich aus Familien von Einwanderern stammen, brauchen mehr Hilfe von außen. Der politische Merksatz müsste sein: Je problematischer die Lebensverhältnisse eines kleinen Kindes sind, umso besser sind die Angebote des Staates an die Familie. Denn gerade diese Kinder profitieren enorm, wenn sie im Alter von zwei oder drei Jahren in einer exzellenten Kita unterstützt werden. Sie sind, wie US-Experimente zeigen, seltener kriminell, erreichen höhere Schulabschlüsse und brauchen weniger Sozialhilfe. Davon profitiert die gesamte Gesellschaft. Doch was beschließt die Bundesregierung? Hundert Euro Betreuungsgeld für alle.

Darin spiegelt sich ein seltsames Verständnis von Gleichheit. Der Staat will Menschen gleich behandeln, obwohl ihre Lebenswirklichkeiten höchst ungleich sind. In Deutschland wird das gerne mit Gerechtigkeit verwechselt, aber es ist das Gegenteil davon. Gerecht ist es, wenn der Staat Ungleiches auch ungleich behandelt.

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