Besuch beim Chanel-Parfümeur:Die Nase von Paris

Er ist kaum bekannt, obwohl er der Schöpfer von Chanels Düften ist: Jacques Polge. Ein Besuch im Labor des gar nicht hochnäsigen Chefparfümeurs.

Tim Neshitov

An diesem sonnigen Märztag tun die Menschen auf der Avenue Charles de Gaulle das, was sie so gut können in Paris: Sie flanieren. Jacques Polge könnte auch ganz unbekümmert flanieren. Obwohl viele Passanten an diesem Tag eine seiner Kreationen tragen dürften, würde ihn kaum jemand auf der Straße aufhalten. Die wenigsten seiner Kunden kennen Polge.

Besuch beim Chanel-Parfümeur: Erschnüffelt für Chanel neue Düfte: Parfümeur Jacques Polge

Erschnüffelt für Chanel neue Düfte: Parfümeur Jacques Polge

Der Parfümeur arbeitet im achten Stock der Konzernzentrale von Chanel, eines schwarzverglasten Hochhauses, auf dessen Fassade kein Schriftzug prangt. Woher die Düfte kommen, die weltweit auf gewaltigen Plakaten beworben werden, soll im Verborgenen bleiben. Alles im Haus - die Empfangsdame mit den Kajal-Ringen um die Augen, das Design der Fahrstühle - gehorcht der strikten Schwarz-Weiß-Ästhetik, die einst von Coco Chanel etabliert wurde.

Alles, außer Jacques Polge. Als die Pressesprecherin vor seinem Büro ehrerbietig stehen bleibt, um Luft zu holen, erwartet man eine imposante Erscheinung. Aber der Herr der Düfte empfängt in einem schlichten blauen Rollkragenpullover, er blickt durch eine Großvaterbrille und sagt: "Es ist doch schön, wenn deutsche Journalisten Französisch können." Polge sitzt an einem weißen Tisch, vollgestellt mit peniblen Reihen von Gläschen und Testpapierstreifen, und erzählt erst einmal von seiner verstorbenen deutschen Frau. Wie er mit ihr nach Düsseldorf fuhr und wie die Menschen dort nach einem Parfum der Marke Mäurer & Wirtz rochen: "Gibt es das heute noch?"

Polge hat Altersflecken auf der Rückseite seiner Hände, einige Haarsträhnen stehen trotzig durch die Gegend. Seine Zähne hat er nicht bleichen lassen. Er wird bald 68 und sieht genau so aus. Das ist ungewöhnlich in der Glamourwelt, die er seit über dreißig Jahren begeistert. Und er nennt sich ungern Chefparfümeur. Er sagt lieber: "Die Nase."

Seit er 1978 zu Chanel kam, hat sich Polge eine Sonderstellung errochen. Er ist erst der dritte Duftentwickler in der Geschichte des Hauses, ein unverzichtbarer Traditionshüter. Einer, der weiß, wie "Mademoiselle Chanel" es heute wohl gerne hätte. In seinem Gedächtnis sind Tausende Duftbausteine gespeichert, in auserwählten Flecken dieser Erde lässt er Jasmin und Rosen anbauen, Salbei und Ylang-Ylang, in seinem Labor wacht er über die Reinheit der Extrakte.

"Ich wollte nie berühmt werden", sagt er und blickt hinaus in die Sonne, die über dem Bois de Bologne hängt, ohne zu blinzeln. Sein Ehrgeiz sei befriedigt, wenn eine Frau auf der Straße nach Chanel rieche: "Vor allem, wenn die Frau schön ist. Dann denke ich immer, sie ist schön, weil sie mein Parfüm trägt." Polge selbst trägt kein Parfüm. Er sagt, es würde ihn bei der Arbeit stören.

"Meine Düfte sollen berühmt sein - ich selber will frei sein." Er, der die Illusion der Freiheit so gut in Flakons einfangen kann, will selber frei sein. Frei von den Zwängen des Ruhms. Zu seiner letzten Kreation, "Bleu de Chanel", gibt es einen rasant geschnittenen Werbefilm, gedreht von Martin Scorsese. Ein etwas verwirrter Beau entdeckt darin, dass er die Frau, die er liebt, eigentlich nicht liebt. Kommt vor, c'est la vie, im Galopp zu neuem Glück - dank des neuen Parfüms. "Der Mann und seine Freiheit", hat die Werbeabteilung dazu gedichtet. "Eine verführerisch rätselhafte Männlichkeit."

Alpträume riechen nicht schlecht

"Suppe", sagt Polge. Man hat ihn gefragt, wie Paris vor 30 Jahren gerochen hat, der Regen, die Seine, man erwartet Worte, Beschreibungen. Aber Polge sagt: "Es gab da diese Gemüsestände überall. Es roch nach Suppe."

Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater Apotheker, in den 1940er Jahren verschlug es die Familie nach Grasse, die Parfüm-Hauptstadt in Südfrankreich. Dort wuchs Polge auf, umgeben von Blumenfeldern. Die mediterrane Luft hat ihn geprägt, bis heute kann er sich an den Geruch der Pariser Metro nicht gewöhnen. "Ich muss immer an die Abluft denken, die den Rock von Marylin Monroe aufwirbelt." Deswegen fährt er lieber mit einem kleinen Audi durch Paris - "un petit Odi", parfümiert mit seinem eigenen "Egoïste".

Die Gläschen auf seinem Arbeitstisch sind heute früh aus dem Labor auf der anderen Seite des Flurs gekommen. Er arbeitet an einem neuen Parfüm, das Ende des Jahres fertig sein soll. Täglich schreibt er mehrere Duftkombinationen auf, die seine Mitarbeiter dann für ihn zusammenmischen. Es dauert Monate, manchmal Jahre, bis im Labor der Duft entsteht, den Polge bereits im Kopf hat. Oft nimmt er seine Arbeit mit nach Hause. "Ein Duft ist etwas sehr Poetisches. Die Inspiration kommt selten im Labor."

Das Labor hat den sterilen Charme eines Zahnarztzimmers. Vier brusthohe Ständer mit Gläschen und Pipetten laufen in der Mitte zusammen, ein süßlicher Geruch hängt in der Luft, eine Mischung aus Dutzenden Duftproben, die aus ihren Gläschen heraussickern. Eine Geruchssuppe. In den Wänden verstecken sich schwere Schubladen. "Das ist unsere Duftbibliothek", sagt Polge und zeigt die Flakons der Konkurrenz, von heute und von gestern. Er zieht ein schickes Schächtelchen heraus, ein Parfüm des amerikanischen Modedesigners John Varvatos, und sieht es mit wohlwollender Gleichgültigkeit an. "Kenne ich nicht." Er wendet sich an seine Assistentin, Mitte vierzig, Dauerlächeln, und fragt: "Kennen Sie es?" Die Assistentin lächelt einfach weiter, sie sagt nichts, natürlich kennt sie den Duft. Sonst wäre sie nicht die Assistentin von Jacques Polge.

Der Meister hat neben der Assistentin noch einen Assistenten. Hilfsnasen. Und drei Mitarbeiterinnen, die Exekutive im Labor. Aber er hat keinen Nachfolger. "Darüber kann ich nicht reden", sagt er, und zum ersten Mal flammt etwas Trotziges in seinen grüngrauen Augen auf. Er wechselt nicht das Thema, er kreuzt die Füße unter dem Stuhl und wartet auf die nächste Frage."Was machen Sie, wenn Sie verschnupft sind?" Polge lehnt sich zurück. Seine Nasenlöcher bewegen sich, ganz leicht, man merkt das kaum, wenn man nicht genau hinsieht. "Ich arbeite, auch wenn ich verschnupft bin", sagt er. "Manche Noten rieche ich dann sogar stärker, die Vanille zum Beispiel."

Duften seine Träume? Polge kann sich an seine Träume nie erinnern. "Aber ein Albtraum riecht nicht unbedingt schlecht. "Was ihn aus dem Konzept bringt, ist Knoblauch. Und Käse. Vor allem Camembert. "Ich bin Franzose, aber ich esse so gut wie nie Käse." Er isst gerne Sashimi und trinkt Bordeaux oder Bourgogne, im kleinen Bistro an der Ecke. Aber er spricht nicht gern übers Essen.

Umso lieber spricht er über die Natur. "Die perfekten Düfte stecken nicht in Flakons. Das Meer, eine Rose, diese Düfte kann kein Parfümeur nachmachen. "Einmal bat ihn Karl Lagerfeld, ein Kamelien-Parfüm zu entwickeln. Aber Kamelien riechen nicht. Also verwendete er den Duft der Gardenien - Blumen, die Kamelien am meisten ähneln. "Wir treten nie gegen die Natur an", sagt Polge. Er lächelt. Bescheiden wie ein Lehrling.

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