Süddeutsche Zeitung

Besuch bei Holzrodel-Bauer:Auf der Bahn, aus der Bahn

Holzrodel sind angesagt: Wie der Deutsche Meister im Naturbahnrodeln am Tegernsee seine rasanten Gefährte baut.

Birgit Lutz-Temsch

Das Eis spritzt durch die Luft, wenn sich Marcus Grausam richtig in die Kurve legt. Mit gemütlichem Schlittenfahren hat das, was der 32-Jährige an seinen Wochenenden macht, nichts mehr zu tun: Bis zu 90 Kilometer pro Stunde erreicht der amtierende Deutsche Meister im Naturbahnrodeln, wenn er richtig in Fahrt ist.

"Fehler sollte man da keine machen", sagt er, "sonst prallt man mit voller Wucht gegen die senkrechte Holzbande." Das passiert zwar öfter, erzählt Grausam unaufgeregt, "aber wir sind hart im Nehmen".

Der Rodelsport bestimmt sein ganzes Leben: Wenn er sich nicht gerade selbst in die Kurve legt, steht er in seiner Werkstatt in Kreuth nahe des Tegernsees und baut Schlitten. Keine Renn-, sondern Freizeitrodel allerdings. Für sein eigenes Profigerät, das er ebenfalls selbst gebaut hat, wäre der Markt nicht groß genug.

Die Nachfrage nach Freizeitrodeln wird dagegen immer größer: Vor allem an den Wochenenden ist in den Bergen nicht mehr nur in den Skigebieten viel los. Seit Jahren boomt der Schlittenmarkt. Grausam ist dabei einer der wenigen Rodelbauer, die ihre Gefährte komplett selbst und in Handarbeit fertigen. Damit trifft der gelernte Schreiner einen Nerv der Zeit: Die unvermeidlichen Plastikrutschen werden von soliden Holzrodeln mittlerweile klar abgedrängt.

Zum Rodelsport kam Grausam, weil er als Kind eine der besten Bahnen genau vor seiner Haustür hatte. In Stuben am Achenpass erlebte er 1984 seine erste Weltmeisterschaft - noch als Zuschauer. Später rodelte er im Eiskanal am Königssee, hörte aber bald wieder auf damit: "Da muss man zu wenig arbeiten", sagt er.

Beim Naturbahnrodeln dagegen rasen die Sportler auf steilen und vereisten Forstwegen den Berg hinunter und müssen dabei tatsächlich ganz schön arbeiten, sprich mit vollem Körpereinsatz bremsen und lenken. 1992 nahm er zum ersten Mal am Weltcup teil, seitdem hat er ihn einmal gewonnen, acht Mal wurde er bisher Deutscher Meister.

2003 machte er aus seinem Sport einen Beruf und begann mit der Rodelkonstruktion. An seinen Gefährten ist kein Teil, über das er sich nicht lange Gedanken gemacht, an dem er nicht immer wieder gefeilt und optimiert hätte. Er wählt das Holz, ausnahmslos Esche, selbst aus - bei Bauern der Region oder aus Franken und lässt es zwei Jahre zum Trocknen lagern.

In seiner Kreuther Werkstatt verleimt er dann die Leisten für Kufen und Holme und presst sie in einer selbst konstruierten Verleimpresse in die richtigen Biegungen. "Dabei sind gerade die kleinen Arbeiten manchmal wahnsinnig zeitaufwändig", schildert er. Allein 18 Arbeitsgänge sind zum Beispiel nötig, damit aus einem Holzklotz das Verbindungsstück von den Kufen zur Bank wird - dementsprechend klein ist die Stückzahl der gefertigten Schlitten.

Um die 300 Rodel baut Grausam jedes Jahr unter seiner Marke German Luge - so heißt Naturbahnrodeln unter Profis. Dass das kaum jemand weiß, merkte Grausam erst hinterher: "Jetzt rufen die Leute bei mir an und fragen nach Herrn Luge." Der Clou an den Rodeln ist, dass sie ausgesprochen gut lenkbar sind: Die aufgesetzten Metallkufen sind in einem genau definierten Winkel angebracht, der eine Steuerung möglich macht; einzelne Schrauben sind nicht festgezogen, damit der Rodel flexibel und damit steuerbar bleibt.

Das Lenken ist nach der Beschreibung des Meisterrodlers Grausam "ganz einfach": Für eine Linkskurve drückt der rechte ausgestreckte Fuß vorne gegen den Rodelholm, der linke bleibt ganz locker. Gleichzeitig zieht man mit der rechten Hand an der Schlittenschlaufe die Innenkufe nach oben und zieht mit der linken elegant durch den Schnee. "Wenn man generell schneller unterwegs ist, kann man außerdem die Sitzdecke meiner Rodel absenken", erklärt Grausam.

Dadurch rutscht der Rodler zwischen die Seitenholme - und sitzt fast so sicher wie auf einem Profigerät. Dafür sind die Rodel aber nicht billig: Grausam fertigt je nach Körpergröße und Verwendungszweck unterschiedliche Längen, wobei der kleinste mit 95 Zentimetern schon 175 Euro kostet.

Neben seinen vielen Wettkämpfen hat Grausam kaum noch Zeit, seine Freizeitrodel selbst zu fahren. Wenn, dann ist die Kreuther Klamm seine Lieblingsstrecke.

Um bei seinen Geschwindigkeiten mithalten zu können, braucht es neben Mut aber auch eine ganze Menge Training. Das merkten zwei Koreaner, die sich seit kurzem im Internationalen Rodelverband zu etablieren versuchen. Als sie die Sportler über die steile und vereiste Bahn rasen sahen, gingen sie dann doch lieber wieder auf die Zuschauertribüne.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2009/cag
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