Berliner Nachtleben:Cookies bittet zum letzten Tanz

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Der berühmte Berliner Club Cookies war in den Neunzigern ein ausgelassener Ort, wie erfunden, um all den Berlin-Ressentiments in den Geberländern ein angemessen hedonistisches Bild zu bieten. Das Stammpublikum von einst geht heute lieber essen statt tanzen. Es ist also nur konsequent, wenn der Club nun schließt.

Von Peter Richter

Man muss auch mal dankbar sein für das, was man hatte. Berlin zum Beispiel hatte ein paar wirklich gute Jahre, und das waren die Neunziger. Die Bundesregierung war noch in Bonn, die halbe Stadt stand leer und zur Verfügung, und als der Kurator Klaus Biesenbach 1999 am New Yorker Ausstellungshaus P.S.1 mit "Children of Berlin" eine erste, bis heute erstaunlich gültige Bilanz dieses goldenen Jahrzehnts zog, da hatte er außer Leuten wie Christoph Schlingensief und Monica Bonvicini oder dem Volksbühnen-Genie Bert Neumann auch einen jungen Gastronomen dabei, der Heinz Gindullis hieß und auf den Namen Cookie hörte.

Die Neunziger waren schließlich auch die hohe Zeit der relationalen Ästhetik. Dabei bewirteten Künstler zum Beispiel ihr Publikum und brachten Menschen "zur sozialen Interaktion", wie das dann in den Katalogen hieß. Es gibt also Gründe, Cookies Bar als Kunstwerk in Erinnerung zu behalten. Es war außerdem so, dass all diese in privaten Kellern improvisierten Montags-, Dienstags-, Mittwochs- (und so weiter) Bars damals wirklich den Spirit von Berlin-Mitte prägten, und "das Cookies", wie man schon bald sagte, war die berühmteste von allen. Als Dienstags- sowie Donnerstags-Bar besetzte sie die zwei entscheidenden Tage der Woche im Berliner Nachtleben: Hier konnte man hingehen, um sich vom Feiern zu erholen (dienstags) oder auf das Feiern vorzubereiten (donnerstags).

Partyszene in der Hauptstadt
:Berliner Luxusprobleme

Berlin ist cool, abgefuckt und wild? Das war einmal. Während ehemals berühmte Läden wie "Weekend" oder "Cookies" sich mit Luxus-Ausgaben ihrer selbst neu erfinden, versuchen Zugezogene, das alte Berlin-Image wiederzubeleben.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Dass exakt das dann die Nächte waren, in denen am allerausgelassensten gefeiert wurde, liegt in der dialektischen Natur solcher Sachen. Die größten Exzesse mitten in die Woche zu legen, war natürlich auch Distinktionsgebaren, am Wochenende kann schließlich jeder, selbst im fleißigen Baden-Württemberg zum Beispiel und sogar in München.

Rätselhafte Ökonomie der Nachtgestalten

Manchmal, wenn die Sonne schon über einem Mittwoch oder einem Freitag aufging, aber die gute Laune immer noch kein Ende nehmen wollte, da wirkte dieser Ort, als wäre er erfunden worden, um all den Berlin-Ressentiments in den Geberstaaten des Länderfinanzausgleichs ein angemessen hedonistisches Bild zu liefern. Die Ökonomie dieser Nachtgestalten blieb so rätselhaft wie die der ganzen Stadt.

Zu den speziellen Mysterien des Cookies gehörte aber auch der Watermelon Man, ein kindergeburtstagssüßer Wodka-Cocktail, den die Leute hier und nur hier in sich hineinkippten wie andere Tomatensaft im Flugzeug. Lag es an diesem dubiosen Drink, dass die Stimmung im Cookies immer noch ein bisschen fröhlicher war als in den anderen Berliner Clubs? Ganz sicher blieb im Cookies, selbst als es nach seinen vielen Umzügen selber eher ein Club war als eine Bar, die Musik weniger wichtig als anderswo, weniger distinkt, aber meistens trotzdem ziemlich gut. Wenn die Erinnerung nicht trügt, hingen die Plattenspieler im letzten von Cookies Neunzigerjahre-Refugien in einer alten Backfabrik in Prenzlauer Berg an dicken Ketten von der Decke, und vollbärtige DJs in Römersandalen tanzten selber ganz verzückt zu dem euphorischen Drum and Bass, den sie da zum Beispiel spielten.

Tja, und dann die frühen Nullerjahre. Bonn war jetzt in Berlin. Und halb München auch. Alles wurde, alles sollte größer und glamouröser werden. Etliche von denen, die damals neu in die Stadt kamen und nach deren Studio 54 suchten (insgeheim aber vielleicht auch nur ihr altes P1 vermissten), halten bis heute das Cookies in der Charlottenstraße, Ecke Unter den Linden, deshalb für das eigentliche, den Rest für Vorgeschichte und sich selbst für das ideale Publikum.

Vielleicht wurde die Musik auch etwas proseccohafter in jenen Jahren, und vielleicht passte das alles deswegen so exakt in die Zeit und zu dem anders werdenden Berlin. Der Ort war spektakulär, ein Gründerzeitpalast mit Bombenkrater aus dem Weltkrieg mittendrin, die Einrichtung von brutaler, dunkler Eleganz, die Toiletten ausgebaut als Begegnungsraum für sich, praktisch ein Club im Club. Es gab Leute, für die wurde das Cookies deswegen zu einem Ostgut (Vorläufer des Berghain) für Heterosexuelle, zum Blauen Engel für die Professor Unrats der Berliner Republik.

Der ganz leicht unentspannte Zug derer, die vor allem deshalb Gas gaben, weil sie am anderen Morgen wieder geschniegelt in ihren Büros sitzen mussten, fiel nur auf, wenn man das Cookies mit seinen früheren Inkarnationen verglich, was aber, besonders an so einem Ort, ohnehin die falsche Denkrichtung ist. Es muss ja weitergehen, und es war die Zeit des größten Erfolges. Unten der Club, im ersten Stock die legendäre Galerie Co-op, später das Restaurant Cream, und, besonderes Distinktionsmerkmal in dieser Stadt: das netteste Personal der gesamten Welt.

Besonderes erstaunlich in dieser Stadt: Der Laden hatte das netteste Personal der Welt

Aber der Normalisierung des Ausnahmezustandes Berlin konnte natürlich auch Heinz Gindullis, genannt Cookie, nichts Dauerhaftes entgegensetzen. Die Zeit ist über all seine herrlichen Orte hinweggegangen wie eine Museumsputzkraft über Beuys'sche Fettecken. In die Charlottenstraße zogen erst die Bauarbeiter mit ihren Farbeimerchen, dann kamen und scheiterten ein Ferrari-Showroom, der deutsche Versuch einer Vanity Fair, die deutsche Architectural Digest, und heute ist es ein lebloser Büroklops wie tausend andere in der Stadt.

Als Anfang 2007 noch einmal ein neues, letztes, endgültiges Cookies aufmachte, gleich um die Ecke, im ehemaligen Kino des französischen Kulturinstituts der DDR, da gab das zur Eröffnung eine Party, bei der Euphorie und Nostalgie häufiger gemeinsam auf dem Klo verschwanden, und das ist jetzt auch schon wieder eine ganze Weile her. Das alte Stammpublikum, das damals noch einmal - Watermelon Man! - entfesselt auf dem Tresen getanzt hat, ist jetzt auch schon wieder sieben Jahre weiter. Die Leute gehen in dem Alter lieber essen statt tanzen und reden über ihre Immobilien. Es ist insofern nur konsequent, wenn Cookie seinen Club jetzt schließt und sich auf seine Restaurants konzentriert. Aufhören, bevor man noch zur Touristenfalle wird: Das könnten sich andere auch mal hinter die Ohren schreiben.

Dass der letzte Tanz nun diesen Samstag stattfindet, ist insofern auch ein Statement. Am Großraumdiscotag. Dafür aber mit Ben Klock aus dem Berghain. Vielleicht, wer weiß, wird die Musik nie so gut gewesen sein wie bei diesem letzten Mal. Es ist ein Jammer, aber es ist kein Drama, es ist der Lauf der Dinge. Und wenn Klaus Wowereit wirklich ein Party-Bürgermeister wäre, dann würde er Heinz Gindullis, genannt Cookie, an diesem Tag zum Ehrenbürger machen für diese zwanzig Jahre mit den besten Diens- und Donnerstagen, die Berlin je hatte.

© SZ vom 19.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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