In den meisten Strafprozessen treten Polizisten auf. Die sogenannten Polizeizeugen erzählen, wie sie ermittelt haben und was die Angeklagten in den Vernehmungen sagten. Es sind die routiniertesten Prozessbeteiligten, jedem Polizisten, jeder Polizistin merkt man an, dass sie schon oft vor Gericht waren. Was nicht heißt, dass sie unbeteiligt wären. Viele Polizeizeugen setzen sich nach ihrer Aussage auf die Zuschauerbank, um das Urteil zu hören. Um mitzubekommen, was ihre Arbeit gebracht hat. Insofern hat es mich nicht überrascht, als mir ein pensionierter Kommissar erzählte, wie sehr er sich wünsche, einmal noch im Gericht hinten auf der Bank zu sitzen. Um den Fall, an dem er zehn Jahre lang dran war, endlich abschließen zu können.
Es geht um den Steglitzer Tunnelraub, eines der spektakulärsten Verbrechen Berlins. 2013 wurde an einer Einkaufstraße im Berliner Westen der Tresorraum einer Bank leer geräumt. Die Diebe waren durch einen selbstgebauten, 45 Meter langen Tunnel gekommen. Nun haut mich nach vielen Jahren in Berlin nicht mehr viel um. Zumal hier zu Mauerzeiten zahlreiche Tunnel gegraben wurden, um Menschen aus dem Osten die Flucht zu ermöglichen. Dass aber in einer so belebten Gegend gebuddelt, gebohrt und Tonnen Sand weggeschafft wurden, ohne dass jemand etwas mitbekommt, das war schon außergewöhnlich.
Der Kommissar hat damals buchstäblich jeden Stein umgedreht. Er ließ die Machart des Tunnels untersuchen, die an die Befestigung von Schützengräben erinnerte. Er ging den Bierflaschen mit polnischen Etiketten nach, die die Tunnelgräber zurückgelassen hatten, den Holzwinkeln, die sie verbaut hatten. Er nahm sich die kriminellen Banden in Berlin vor, denen er die Tat zutraute, verfolgte eine Spur nach Thailand. Er durchsuchte die Tiefgarage, in der die Bauarbeiter einen Verschlag hatten, und das Einstiegsloch, das sie dort bohrten. Er durchleuchtete die Besitzer der Schließfächer, die bei dem Coup aufgebrochen wurden, und fand heraus, dass jemand eines vor dem Einbruch eröffnet hatte, um den Tresorraum auszukundschaften. Am Ende hatte er aus vielen Puzzleteilchen das Bild einer gut geplanten und arbeitsteilig durchgeführten Tat zusammengesetzt. Sogar einen möglichen Auftraggeber hatte er gefunden, über den er nicht viel sagen wollte, außer, dass es ein reicher Mann in einer Villa war.
Der Kommissar hatte viele Hinweise, aber nicht genügend Beweise. Und als er 2023 in Rente ging, war die Tat auch noch verjährt. Ich kann mich noch gut an den Frühlingstag erinnern, an dem ich ihn besuchte. Er hat ein hübsches Häuschen an einem See, eine Familie, ist aktiv und gesund. Aber er wäre so gerne noch einmal vor Gericht. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass Leute wie der mutmaßliche Auftraggeber weitere Verbrechen begehen, bei denen sie dann gefasst werden. Dann würde er sofort losfahren und sein Wissen teilen. Vielleicht sitzen wir eines Tages ja beide hinten im Gerichtssaal.