Kolumne: Vor Gericht:Wo Hitler und Honecker auf der Anklagebank saßen

Kolumne: Vor Gericht: Der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker (re.), verabschiedet sich 1992 vom früheren Stasi-Chef Erich Mielke nach dem zweiten Tag des Honecker-Prozesses mit Händedruck.

Der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker (re.), verabschiedet sich 1992 vom früheren Stasi-Chef Erich Mielke nach dem zweiten Tag des Honecker-Prozesses mit Händedruck.

(Foto: DPA)

An wenigen Orten verdichtet sich Geschichte so sehr wie am Berliner Kriminalgericht, in den Sälen 500 und 700.

Von Verena Mayer

Wenn man als Prozessbeobachterin in einem der beiden Schwurgerichtssäle am Berliner Kriminalgericht sitzt, dann sind da nicht nur die Eichenvertäfelung, der Stuck an der Decke, die Kronleuchter und die wuchtige Richterbank. Da sind nicht nur die Angeklagten, die Staatsanwältinnen, die Verteidiger, die Gutachter, die Presse und das Publikum. Sondern da ist vor allem sehr viel Geschichte. In Berlin stolpert man ja ohnehin bei jedem Schritt über die Hinterlassenschaften von Kaisern, Weltkriegen, Diktaturen und allem, was dazwischen passierte. Aber wahrscheinlich verdichtet sich die Geschichte nirgendwo so sehr wie in den Sälen 500 und 700.

Hier saß Anfang der Neunzigerjahre Erich Honecker auf der Anklagebank, hier wurde über die Schüsse an der Berliner Mauer verhandelt und den Bespitzelungsapparat der DDR. Hier ging es um den Bombenanschlag auf amerikanische Soldaten 1986 in der Diskothek La Belle, der von Gaddafi befohlen worden war, und die Taten der linksextremen Terrorgruppe "Revolutionäre Zellen". Nicht zu vergessen den Hauptmann von Köpenick, der sich hier genauso vor Gericht verantworten musste wie der Kaufhauserpresser "Dagobert" oder der Kommunarde Rainer Langhans. Letzterer wegen eines satirischen Flugblattes, er wurde freigesprochen.

Es hat etwas Bedrückendes zu wissen, wie sehr die Geschichte auf dem Gebäude lastet, wie viel Unrecht diese Mauern gesehen haben. Manchmal hat es aber auch etwas Tröstendes, dass an diesem historischen Ort noch immer Recht gesprochen wird. Dass Rechtsräume lebendig bleiben und Rechtsgeschichte mit immer neuen Bemühungen überschrieben wird, Menschen zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Und manchmal stellt man sich am Berliner Kriminalgericht die Frage, ob die Geschichte möglicherweise auch anders hätte verlaufen können. Einer der Angeklagten hier war Adolf Hitler. Er hatte 1932 zusammen mit Goebbels einen Prozess wegen eines "Preßvergehens", wie die Gerichtsreporterin Gabriele Tergit später in ihren Memoiren notierte. Was dieses Vergehen genau war und wie das Verfahren endete, schreibt sie nicht, dafür beobachtete sie das Drumherum. Das Gerichtsgebäude, das abgesperrt werden musste, die jungen Arbeiter im Zuschauerraum, die sich zur Feier des Tages "die Haare mit Wasser gebürstet" hatten und "Heil Hitler" riefen, als der Angeklagte erschien. Der begann, kaum dass er seine Personalien ("Adolf Hitler, geboren in Braunau am Inn") durchgegeben hatte, zu schreien. "Er keuchte, warf den Kopf zurück" und "hielt eine Rede an eine Riesenversammlung, die nicht da war". Jahrzehntelang sei ihr diese Szene durch den Kopf gegangen, schreibt Tergit. Schon während des Prozesses sei ihr aufgefallen, dass Hitler und Goebbels nur drei bis vier Meter von ihr entfernt saßen. Was wohl passiert wäre, "wenn ich einen Revolver besessen hätte, und ich hätte sie erschossen"?

Kolumne: Vor Gericht: An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSS-Netzwerke beim BND
:Die Mörderbande von Pullach

Zum "größten Demokratieverbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik": Neue Recherchen belegen, wie Dutzende NS-Täter im deutschen Geheimdienst systematisch weiterbeschäftigt wurden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: