Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Meine Leidenschaft:"Ich nehme Witterung auf"

Lesezeit: 5 min

Hingucken statt weggucken, so das Motto von Schauspieler Armin Rohde, der sein Haus nur ungern ohne Kamera verlässt. Auf seinen Bildern dann: viel Licht, viel Schatten - und jede Menge Schafe.

Von Mareen Linnartz

Komisch, gestern waren die Schafe noch da. Armin Rohde weiß das genau, denn da hat er sie fotografiert, diese "so schönen Tiere, die überhaupt nicht dumm sind". Leicht konsterniert steht er auf einer abgegrasten Wiese im Schlossgarten Charlottenburg und lässt seinen Blick über den Boden schweifen. "Hier sind die Hinterlassenschaften", sagt er und klingt dabei ein bisschen wie ein Kommissar am Tatort, eine Rolle, die er schon häufiger in seinem Leben gespielt hat. Er beäugt einen kleinen Kackhaufen. Kurzer Seitenschritt, dann ein triumphierendes "Ha!" Er hat graue Schurreste entdeckt. Rohde schnappt sich das Knäuel, legt es in die linke Hand, greift mit der rechten nach seiner Kamera und drückt auf den Auslöser.

Tja, wo könnte die Herde sein, die er so gerne auf seinen Streifzügen fotografiert? Er bleibt kurz stehen. Scheint die Augen zu schließen. Warum? "Ich nehme Witterung auf. Man riecht und hört sie ja. Eigentlich." Nur jetzt nicht. Also fragt er ein Paar, Typ Westberliner Rentner mit Steppweste, das es sich auf einer Bank in der Nähe gemütlich gemacht hat. "Die hammse auf die Insel verfrachtet", weiß die Frau. "Aha. Und wie kommt man da rüber?" "Da müssense die Hose hochkrempeln", antwortet der Mann. Ungläubiger Rohde-Gesichtsausdruck. "Ne, sehnse, da hinten ist eine Brücke." Und ja, ein paar Schritte weiter, auf denen der Schauspieler thematisch mühelos zwischen seinem neuen Hund ("der ist mir praktisch zugelaufen"), seiner Kamera ("eine Leica Q2, ein Material gewordenes Gedicht") und dem wolkenverhangenen und daher lichttechnisch nicht optimalen Himmel springt, tauchen sie auf: friedlich vor sich hin grasende Tiere, schwarze, weiße, graue, kleine, größere. Allesamt eher mäßig daran interessiert, dass vor ihnen nun ein kleiner Mann mit grauer Cargo-Hose und blauer Stoffjacke rumturnt und gar nicht genug davon bekommen kann, sie abzulichten.

Er geht in die Knie, sucht im Seitenschritt nach einer besseren Position, und erklärt kurz auf Nachfrage: "Ich habe eine Belichtungszeit von einer Fünf-Hundertstel-Sekunde und verwende gerade Blende vier." Sein fotografischer Ansatz? "Ich porträtiere sie so, als wären sie Menschen." Löst er sich dann doch kurz von seinem Gerät, hält er es einem hin: "Schau mal durch den Sucher, bei der Kamera muss man durch den Sucher schauen." So kann man also fast live sein Werk begutachten. Fast immer sind Rohdes Bilder schwarz-weiß, viel Licht, viel Schatten, er bearbeitet sie nach, aber nur leicht. Und fast immer sind sie poetisch, weich, fein beobachtet. Manche von ihnen postet er auf seinem Instagram-Kanal, zwischen Porträts seiner Schauspielkollegen Detlev Buck und Kida Khodr Ramadan auch Straßenszenen, die er interessant findet. Erst am Vorabend, bei einem Empfang, hat er Dieter Hallervorden vor die Linse bekommen. "Erst hat er sein typisches Fotografiergesicht gemacht. Dann habe ich gesagt: Didi, mach mal ein leereres Gesicht. Und er hat mitgemacht." Er zeigt einem die Aufnahmen. Man sieht einen leicht feixenden Entertainer - tausendmal gesehen - und dann einen fast brüchig wirkenden Mann, den man so tatsächlich fast noch nie so gesehen hat.

Er versucht, die Welt schärfer zu sehen

Einen "Sprengkörper auf zwei Beinen" hat die Bunte Rohde mal genannt, weil er so vor Energie strotzt, sich so in seine Rollen schmeißt. Egal ob als Schönheitschirurg in Helmut Dietls "Rossini", als "Räuber Hotzenplotz" oder als Kommissar Erichsen in der ZDF-Serie "Nachtschicht": Seine Intensität ist immer spürbar. Der 67-Jährige ist eine Wucht, der massige Körper, die sonore Stimme - betritt er einen Raum, nimmt er ihn ein. Doch wer häufig im Mittelpunkt steht, blendet mit der Zeit gerne aus, was an den Rändern passiert. Rohdes Empfindsamkeit aber lässt das nicht zu. Er versuche, erzählt er bei einem Espresso, durch die Kamera die "Welt schärfer zu sehen".

Rohde ist Baron, Buddhist und Bergarbeitersohn, auch das Beleg einer gewissen Vielschichtigkeit. Baron, weil er mit einer Baronesse verheiratet ist und er deswegen genau genommen Armin Kurt Rohde-Baron von Schilling heißt. Sein buddhistischer Name ist "Karma Geleg Palsang", "der mit seinen Taten stets glücklich unterwegs ist". Sein Vater schuftete unter Tage auf der Gladbecker Zeche Graf Moltke schwer für seine Familie - "noch heute ist sein Körper übersät mit grauen Einschlagnarben von Kohleeinschüssen in der Haut", hat er mal in einem Interview gesagt. Drei Geschwister, beengte Wohnverhältnisse, auf der Familie lastet aber noch ein Schatten: Rohdes Großvater mütterlicherseits hat im Warschauer Ghetto Hunderte Menschen getötet.

Diese Biografie hat Rohde zu einem überaus politischen Menschen gemacht, mit einem Herz für Abgehängte und einem Hass auf Rechtsextreme, und weil er sich nicht scheut, sich klar zu positionieren, zahlt er dafür einen Preis: Er wird im Netz bedroht und angefeindet. Kürzlich wurde er von einem Filmteam gebeten, Christian Lindner zu seiner Sylt-Hochzeit zu gratulieren. Als er davon erzählt, schaut er einen entsetzt mit seinen großen Augen an. Und kriegt in der Erinnerung daran gleich noch einmal einen Wutanfall auf diesen seiner Ansicht nach Ausbund von Dekadenz, der ihm ferner nicht liegen könnte.

Ohne Kamera verlässt er sein Haus selten

Als Teenager schmiss Rohde kurz vor dem Abitur die Schule, arbeitete mehrere Monate auf dem Bau, von diesem schwer verdienten Geld kaufte er sich: eine Kamera. Er reiste ein Jahr durch die USA, fotografierte begeistert, hatte kaum Geld, trampte. Einmal nahm ihn ein Hippie-Pärchen mit, "überall lila Plüsch in dem Van. Am nächsten Morgen dachte ich beim Hinterherwinken: Hatte ich gestern nicht mehr Gepäck dabei?" Seine ganze Fotoausrüstung war weg, in der Jackentasche steckte eine Karte: "Terribly sorry. Cleptomaniac, you understand?" Das war so traumatisch, "ich habe jahrelang keine Kamera mehr angerührt". Heute verlässt er sein Haus selten ohne.

Von den Schafen hat er sich jetzt verabschiedet, in leicht trabendem Schritt passiert Rohde das Charlottenburger Schloss, fortwährend erzählend. Gerade hat er mehrere Wochen auf dem Traumschiff gedreht, erst Mittelmeer, dann Bahamas. Er und Uwe Ochsenknecht - "ein guter Freund" - verkörperten "ältere Herrschaften", die ihre gemeinsame Werbeagentur an die Wand gefahren haben, weil sie betrogen wurden. "Und derjenige, der uns betrogen hat, den vermuten wir auf dem Schiff." Er lacht.

Rohde möchte nun noch zum Supermarkt, sieben Mineralwasserflaschen kaufen, genauso viele passen in seinen schwarzen Rucksack, den er die ganze Zeit mit sich herumschleppt. Er liebt es einzukaufen und verabscheut, wie er es nennt, "Leergänge". Er verabschiedet sich, läuft festen Schrittes die graue Straßenschlucht entlang, an der rechten Schulter baumelt wie immer und fast jeden Tag: seine Kamera. Was man sieht, ist ein Mann, der versucht, immer alles im Blick zu haben. Und ja: Das ist ein schönes Bild.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Armin Rohde beim Fotografieren immer griffbereit:

Die Kamera

"Die Kamera habe ich vor zweieinhalb Jahren gekauft. Eine Leica Q2. Eine Erzählkamera, ich weiß nicht, wie die das hinkriegen, die Bilder haben bei aller Schärfe immer eine poetische samtige Tiefe. Wie sie alleine in der Hand liegt! Sie ist aus einem Guss. Ich habe sie immer griffbereit, nachts liegt sie neben meinem Bett. Falls mir etwas für die Bildbearbeitung einfällt, habe ich sie sofort parat."

Der Ersatz-Akku

"Moment, ja, hier in der Jackentasche, da ist mein Ersatz-Akku. Am Anfang habe ich wie ein Irrer fotografiert, aber auch jetzt ist es einfach besser, immer einen dabeizuhaben. Der reicht dann auch einen Tag. Ich schaue mir gezielt Youtube-Videos von Profis aus aller Welt an und hole mir dort Tipps ab. Der erste Tipp, ganz banal: Nie ohne extra Akku und extra Speicherkarte aus dem Haus!"

Der Rucksack

"Mit diesem schwarzen Rucksack streife ich gerne durch die Straßen, auf der Suche nach Motiven. Gerade fotografiere ich gerne Menschen an Haltestellen, für mich ist das wie eine Bühne, auf der die Einzelnen sich untereinander nicht kennen und erst durch das Bild miteinander in Beziehung gebracht werden."

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