Bergsteiger Steve House:Freier Radikaler

Er macht Fotos für Mama, spricht über Enttäuschungen und ist einer der besten Höhenbergsteiger der Welt: Steve House zählt zur Avantgarde des modernen Alpinismus.

Dominik Prantl

Als Steve House vor einigen Jahren auf dem Gipfel des Nanga Parbat und am vorläufigen Höhepunkt seiner Kletterkarriere angekommen war, machte er ein treffliches Foto. Es ist nicht mehr als ein Schnappschuss mit einer billigen Digitalkamera, schwarz-weiß, in einer miserablen Auflösung. Das Foto hat nichts Triumphales, es zeigt seinen völlig erschöpften Kollegen Vince Anderson auf den Knien vor einem kleinen Steinhaufen, das Gesicht himmelwärts gerichtet, die Arme baumeln herab, an der rechten Hand fehlt der Handschuh. Steve House liebt dieses Bild, denn es spiegelt seine Vorstellung vom Bergsteigen wider.

Steve House, IMS

Individualreisende mit leichtem Gepäck: Der Schlafplatz von Steve House und Vince Anderson (im Bild) auf etwa 6500 Metern an der Rupalflanke am Naga Parbat.

(Foto: Foto: Steve House, IMS)

Steve House ist in Deutschland nur der Szene ein Begriff, doch zählt er momentan zur dünnen Avantgarde des Alpinismus. Reinhold Messner, den Nachfolger mit der gleichen Profession selten beeindrucken, nennt ihn gar "den derzeit besten Höhenbergsteiger der Welt".

Die Würdigung mag damit zu tun haben, dass House am Nanga Parbat jene Flanke durchstiegen hat, an der Reinhold Messners Karriere im Jahr 1970 begann und die dessen Bruder Günther das Leben kostete. Vor allem aber gründet sie in der puritanischen Einstellung des US-Amerikaners. Er personifiziert jenen Stil, der erst kürzlich auf dem International Mountain Summit in Brixen während einer Podiumsdiskussion wieder als das Maß aller Dinge gelobt wurde.

House strebt danach, die Ambitionen eines Hochleistungssportlers am Berg mit einem Minimum an technischem Aufwand zu verfolgen. Sein Ziel sind nicht die höchsten Gipfel um jeden Preis, sondern die Erfahrung größtmöglicher Ausgesetztheit in einer schnellen Zweierseilschaft. Bei diesem sogenannten Alpinstil kennt House keine Kompromisse.

Er meidet die Normalrouten prestigeträchtiger Achttausender, an denen sich Massen von Alpinisten über Fixseile hochhangeln. Bereits mit Bohrhaken gesicherte Wände, Hochlager oder gar Sherpas als Gehilfen sind nicht seine Sache. Als er nach einem Versuch an der 4500 Meter hohen Rupalwand am Nanga Parbat (8125Meter) mit seinem Seilpartner Bruce Miller darüber spricht, ob das politisch instabile, islamistische Pakistan ein gefährlicher Ort sei, sagt der nur: "Der einzige Extremist, den ich in Pakistan getroffen habe, war der Typ, mit dem ich am Berg war."

Das Wunderbare für einen Zuhörer aber ist, dass der Radikalkletterer seine Abenteuer auch für Laien eingängig verpackt. Er erzählt sie nicht mittels Höhenmetern und Schwierigkeitsgraden, sondern über Einsamkeit und Enttäuschungen und insbesondere über Partnerschaften. House sagt: "Ich denke, es ist meine große Fähigkeit, dass ich anderen vertrauen kann."

Der Weg zum "Alpine Jihad" (Steve House) begann im Sommer 1988, als er sich im Alter von 18 Jahren nach der High School für ein Auslandsjahr entschied und die eher sanft abfallenden Hügel des US-Bundesstaates Oregon verließ. Er landete in Jugoslawien, in den slowenischen Alpen, und eine der größten Überraschungen dort scheint der Blick in den Sportteil der Zeitung gewesen zu sein.

Nur Klettern und Berge"

Kein Football oder Baseball, kein Basketball, nein: "Nur Klettern und Berge." In Oregon hatte er einige einfache Routen absolviert, aber in diesem einen Jahr in Slowenien kletterte er an 180 Tagen. Sein erster Ausbilder Ljubo Hansel vertrat die Ansicht, dass Klettern nur zu 20 Prozent eine Frage der Physis ist und zu 80 Prozent übers Mentale entschieden wird. "Heute denke ich, dass er recht hatte", sagt House. Zudem lernte er, lieber einen Haken zu wenig als einen zu viel durch die Wand zu schleppen. Psychische Stärke statt zu vieler Sicherungsmittel, lautete die erste Lektion.

Die zweite folgte ein Jahr später, als der 19-jährige House als Hilfskraft eine slowenische Expedition an den Nanga Parbat begleitete. Er schummelte bei seiner Altersangabe, weil er für das Unternehmen noch zwei Jahre zu jung war. "Eigentlich konnte mir niemand, der mich sah, die 21 Jahre abnehmen", sagt er.

Müll im Rucksack

Trotzdem schaffte er es bis an den Berg, dort dann allerdings nur bis ins Lager zwei, und als die erfolgreicheren Gipfelstürmer wieder herabstiegen, wunderte er sich, dass sie einfach allen Müll und einen Teil ihrer Ausrüstung liegengelassen hatten. Er stopfte seinen Rucksack so voll es ging, um wenigstens einen Teil wieder mit nach unten zu schleppen. Er studierte Ökologie und absolvierte die achtjährige Ausbildung zum international anerkannten Bergführer. Seinen Hausberg Mount McKinley hat er in dieser Funktion inzwischen etliche Male bestiegen.

Die besten Lehrer aber blieben seine Kletterpartner, "wie der Berg selbst", sagt House. Er lernte, den Lagerkoller in einem Zelt zu ertragen und "mich nicht allzu ernst zu nehmen". Tatsächlich besitzt House eine rare Eigenschaft: Selbstironie. Als er Mitte der Neunziger einige Touren mit Alex Lowe unternahm, einem hervorragenden Kletterer in Fels und Eis, habe der "Beine wie Spiderman" und House "die Arme eines Tyrannosaurus Rex" gehabt. Heute hat House Unterarme wie Keulen. "Als Bergsteiger muss man verstehen, kleine Schritte zu gehen", sagt er.

Mit nur einem Schuh in der Wand

Bergsteiger Steve House: Ging viele Schritte: Steve House.

Ging viele Schritte: Steve House.

(Foto: Foto: Steve House, IMS)

Er ging viele Schritte. Mit 29 Jahren sei er vom Bergsteigen schließlich "besessen" gewesen, nur waren zu dieser Zeit "alle Kletterpartner entweder im Ruhestand oder tot", darunter auch Lowe. Das schreckte House nicht ab, trotz der Albträume. Er knüpfte neue Freundschaften. Die bis dahin erst zweimal bewältigte "Tschechische Direkte" am Mount McKinley schaffte er im Jahr 2000 in 60 Stunden Nonstop-Kletterei, ohne Zelt und Schlafsack, dafür gemeinsam mit Scott Backes und Mark Twight.

Twight bezeichnete amerikanische Alpinisten einmal als die "jamaikanischen Bobfahrer des internationalen Bergsteigens". House wollte kein Bobfahrer aus Jamaika sein. Er fühlte sich wohl zwischen den Anarchisten der Szene wie Rolando Garibotti, Marko Prezelji und Twight. In seinem Buch "Beyond the Mountain" ("Jenseits des Berges") schreibt er über den 60-Stunden-Trip: "Wir kletterten, als ob wir ein sechsäugiger, sechsarmiger Organismus mit drei Gehirnen wären."

Jeden Penny für riskante Reisen

Doch fällt auch ihm schwer zu vermitteln, wieso er als Rationalist ("Ich bin kein gläubiger Mensch") das gefährliche Hobby derart rigoros auslegt. Warum er jeden Penny in riskante Reisen investierte und dafür 2004 auch noch seine Frau nach neun Jahren Ehe verließ.

Warum er am North Twin 14 Seillängen mit nur einem Schuh hinter Prezelji herkletterte, nachdem ihm mitten in der Wand beim Sockenwechsel die Außenschale seines Bergschuhs in die Tiefe gefallen war. Warum er die 2400 Meter hohe K7-Südwest-Wand mit nur etwas mehr als drei Kilo Ausrüstung durchstieg. Alleine, in 41 Stunden. Warum er 2004 in der Rupalwand gar nicht mehr merkte, wie höhenkrank er war, weshalb ihn Miller zur Umkehr zwingen musste. Um dann noch einen Soloversuch zu starten, den er nach einigen hundert Metern abbrach. "Umdrehen fällt mir heute nicht mehr schwer, das war es einmal", sagt House.

Notfalls probiert er es eben noch einmal, wie jüngst erst am Makalu oder wie 2005, als er es mit Vince Anderson doch durch die Rupalflanke schaffte, wofür die beiden mit dem "Piolet d'Or" ausgezeichnet wurden, dem Oscar des Bergsports. "Ich glaube nicht , dass Vince damit gerechnet hatte, er trug dieses Bruce-Lee-T-Shirt auf der Preisverleihung", sagt House. Er selbst hatte die Verleihung ein Jahr zuvor kritisiert, weil der Preis an ein russisches Team gegangen war, das die Nordwand des Jannu mit etlichen Fixseilen verkleidet hatte. Und 2007 sorgte der nächste Piolet-d'Or-Gewinner und House-Vertraute Prezelji für einen Eklat, als er sagt: "Slava je Kurba - der Ruhm ist eine Hure." Es sei unmöglich, die alpinistische Leistung eines anderen Menschen objektiv zu beurteilen.

Vom Gipfelerfolg am Nanga Parbat gibt es auch noch ein anderes Bild. Auf dem streckt House einen Eispickel in die Höhe. Er sagt: "Für Mama mussten wir auch noch ein Foto machen."

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