Bergdrama:Szenen eines Schnee-Martyriums

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Regisseur Philipp Stölzl über seinen neuen Film "Nordwand" und die Ideologisierung des Alpinismus.

Fritz Göttler

SZ: Ein aufwendiger Bergfilm mit Stars und internationalem Anspruch, ein Genre, das in Deutschland doch stark belastet ist ... wer steckt am Ursprung dieses Projekts?

Benno Fürmann mimt Toni Kurz und seinen Überlebenskampf an der Nordwand des Eiger. (Foto: Foto: Majestic)

Stölzl: Das Projekt wurde vom Bayerischen Rundfunk als Zweiteiler entwickelt, aber die Geschichte taugte nicht für eine Fernseh-Dramaturgie. Also wurde ein Kinostück daraus, und man hat lange nach einem Regisseur gesucht. Wenn man das Drehbuch liest, weiß man, dass das ein Albtraum ist. Mein erster Film "Baby" war ja ein Flop im Kino, und ich sagte, als nächstes will ich lieber was machen, was populär aufgestellt ist. Es gab verschiedene Projekte, alles Genresachen, darunter auch zwei amerikanische.

SZ: Und Sie hatten keine Bedenken? "Baby" war ein kleines, intensives Roadmovie, nun diese Riesenproduktion?

Stölzl: Na ja, so eine Herausforderung, das reizt doch auch. Und es war eine gute Geschichte, dieses wahnsinnige Schneemartyrium. Und es sollte nicht nur ein Bergsteiger-Abenteuer sein, sondern auch den Alpinismus in den Dreißigern zeigen, diese fiebrig aufgeladene Atmosphäre. Diesen Arme-Leute-Alpinismus, als Leute, die kein Geld hatten, mit dem Fahrrad in die Alpen radelten. Ein wenig "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss"-mäßig ...

SZ: Das Bergsteigen war ja auch schon ein nationaler Mythos.

Stölzl: Die traurige Wahrheit ist, dass die Alpenvereine schon 1910 angefangen hatten zu arisieren. Die Nazis waren dann wahnsinnig clever im Finden und Verwerten von Mythen, all dieser Nibelungenhelden. Es war eine großartige Vorbereitung für den Krieg. Die Sätze, die Ulrich Tukur als Redakteur im Film von sich gibt, sind alle aus Reden des Nazi-Funktionärs Robert Ley: dass man lernen soll, alles zu geben für eine Idee und für sie womöglich das Leben zu lassen.

SZ: Diese ideologische Belastung hat Sie nicht gestört?

Stölzl: Nein, wir wollten ja diese Ideologisierung des Alpinismus zum Thema machen. Und wir haben uns früh entschieden, dass wir dem Film eine halbdokumentarische Ästhetik geben wollten. Weil man damit dem Bergsteigen am nächsten kommt. Und weil man sich damit von der auf Helden ausgerichteten Stilisierung des alten Bergfilms wie bei Luis Trenker und Arnold Fanck unterscheidet - das sind bildgewaltige Filme. Man hat ja auch keine Probleme mit solchen Helden, solange sie aus Amerika kommen. In Deutschland, und dann noch in so einem historischen Kontext, hat das eine andere Konnotation. Aber das Ende in "Nordwand" ist ja wahnsinnig grausam. Alles was die Jungen an Heldenträumen im Rucksack mit sich schleppen, zerbricht ganz schrecklich.

SZ: Vielleicht sind Sie auch als moderner Filmemacher, etwa durch den Umgang mit Musikvideos, unbefangener beim Umgang mit Genres.

Stölzl: Ich bin von vornherein bereit, der Kunst eine gewisse Unschuld zuzugestehen. Aber natürlich hatten wir bei allen Entscheidungen im Hinterkopf, dass es ein kontaminiertes Genre ist. Ich habe mir eine Menge Bergfilme angeschaut, und die einzigen, die mir gefielen, waren die mit dokumentarischem Ton, wie "Touching the Void" von Kevin Macdonald. Weil du dem Genre nur nahe kommst, wenn du glaubwürdig bist. Kein Kintopp, mit Kranfahrten und einem, der sich an einem Finger festhält ... das kam mir kindisch vor, damit erfasst man nicht, was fasziniert am Bergsteigen.

SZ: Wie sah es denn mit Ihren persönlichen Klettererfahrungen aus?

Stölzl: Ich bin aus München, bin also mit Bergwandern und Skifahren aufgewachsen. Der Rabenkopf war die erste Tour, später Göll und Mandelsteig, diese netten Berchtesgadener Berge. Durch den Film bin ich dann voll hineingekippt. Wir haben mit dem Eiger und anderen Bergen im Berner Oberland ein paar Viertausender gemacht. Die Tour auf den Eiger, die ich mir nach dem Film vorgenommen hatte, war ein wenig grenzwertig. Aber ich habe es geschafft, und das ist etwas, was ich fürs Leben mitnehme. Das macht einen irgendwie stark, mental, meine ich.

SZ: Und ist es das, was einen auf den Berg treibt?

Stölzl: Wenn man fragt, bekommt man von jedem eine andere Antwort. Messner sagt was anderes als Harrer. "Because we can", sagen die Amerikaner. Wie beim Golf: Jeder hat sein eigenes Handicap.

SZ: Gab es beim Dreh Momente von höchstem Risiko, von Lebensgefahr?

Stölzl: Beim Bergsteigen muss man immer zwischen gefühltem und realem Risiko unterscheiden. Wenn man im Schneesturm an 30-Meter-Seilen hängt, das sieht gefährlich aus, aber das sind gute Seile, du wirst von Topleuten betreut - es sollte also nicht gefährlich sein. Aber es war als Regisseur sicher eine neue Erfahrung - sonst sagst du selbst alles an, und hier steht einer hinter dir und sagt: Wir hören jetzt auf, es wird zu warm. Und du: Aber wir haben doch diese Einstellung noch gar nicht. Man hat am Set diese Vorsätze, es darf niemand zu Schaden kommen, aber dann will man halt doch fiebrig, vampirisch die tollste Einstellung, den weitesten Raushänger. Beim Schneesturm ist das klar, aber so ein "Es ist zu warm, die Steinschlagwahrscheinlichkeit ist zu hoch" ist nichts, was man sieht, bloß diese Wahrscheinlichkeit. Unsere Doubles sind tatsächlich einmal von einer Lawine verschüttet worden, man musste sie wieder ausgraben. Und einmal hätte einen unserer Kameraleute beinahe ein Stein erwischt.

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SZ: Wie lange war die Drehzeit?

Stölzl: Wir haben fast ein Jahr gedreht, mit zwei Kameras. Ich bin nach London gefahren, habe mit Kevin Macdonald gesprochen. Er erzählte, dass er bei "Touching the Void" wie einst Fanck wochenlang auf einer Hütte war, und immer wenn das Wetter passte, zogen sie zum Drehen los. Das war für uns nicht zu bezahlen - Benno Fürmann fünf Monate lang zu buchen und auf eine Hütte zu schleppen. Wir haben uns also ein paar Schweizer Superalpinisten zusammengeholt, sind an den Eiger gefahren, haben uns in einer Hütte eingenistet und auf gutes Wetter gewartet. Die Leute von der Zahnradbahn haben uns Sonderzüge mit Gepäckwaggon bereitgestellt. Da fährt man also hoch, hält dann im Tunnel, lädt sein Zeug ab, öffnet eine Stollentür - und ist in der Eigerwand. Im Frühjahr 2007 haben wir dann mit dem Hauptdreh angefangen. Und schließlich haben wir in einem Kühlhaus in Graz einen künstlichen Felsen hingegossen, alles auf minus zehn Grad heruntergekühlt und dann mit Schneemaschinen - wie man sie auf den Pisten hat - Schneesturm veranstaltet. Für die Nah- und Halbnahaufnahmen mit den Schauspielern, was auch nicht viel angenehmer war als auf dem Berg.

SZ: Wie authentisch ist alles?

Stölzl: Bei der Besteigung ist jeder Haken, jeder Karabiner, jedes Seil original. Unsere Leute haben alles mit Hanfseilen gemacht, was nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Ein Sturz mit einem Hanfseil ist nicht gerade angenehm, weil es nicht nachgibt und man voll reinkracht. Nur wenn sie an der Wand pendeln, wenn das Seil an den Felskanten scheuert, haben wir das mit modernen synthetischen Seilen gemacht, Spezialseilen in Tarnfarbe - aber wenn man genau hinsieht, erkennt man das natürlich trotzdem. Und mit diesen genagelten Militärschuhen zu klettern, ist natürlich auch so eine Sache ...

SZ: Die Geschichte der zwei Österreicher, die sich mit der deutschen Seilschaft Kurz und Hinterstoisser in der Wand befanden, ist die auch authentisch?

Stölzl: Das ist faktisch. Die sind als Konkurrenten losgeklettert und haben sich in der Wand zusammengeschlossen. Fakt ist auch, dass die bei der SA waren, ausgewiesene Halbkriminelle. Waren beide im Knast. Wir haben im Drehbuch dann echte Konkurrenten aus ihnen gemacht. Ob die Deutschen umkehrten wegen der beiden Österreicher oder ob sie selber nicht mehr weiterkonnten, weiß man nicht. Wenn sie weitergeklettert wären, ohne sich um die beiden anderen zu kümmern, wäre das bergsteigerisch okay gewesen - der Abstieg mit einem, der nicht mehr kann, ist sehr viel gefährlicher als weiter raufzuklettern. Das ist deine eigene Verantwortung, wenn du dich so weit raufwagst.

SZ: Wie muss man sich so einen Drehtag am Eiger vorstellen?

Stölzl: Ganz unberechenbar. Man schafft das ganze Zeug rauf, hat die Schauspieler im Kostüm am Seil gesichert, dann zieht der Nebel zu ... In jedem Film gibt es ja kleine Dialogeinstellungen, die man relativ schnell drehen kann im Studio. Am Berg bedeutet schon ein banales "Also, wie geht's jetzt weiter?" und "Ach ja, wir sollten hier weiterklettern", dass man rauf und wieder runter muss. Und für den Gegenschuss muss man alles auf der anderen Seite anseilen. Ein sehr undankbares Genre. Ich bin Storyboardfan und hatte die ganzen Bergszenen vorweg skizziert. Aber natürlich muss man dann beim Dreh immer davon abweichen, die Gegebenheiten schaffen dir die Position deiner Kamera an. Man muss sehr viel improvisieren. Die Wetterwechsel sind wahnsinnig schnell dort. Wir hatten Glück, dass wir immer das gute Wetter hatten, das wir brauchten, als wir oben waren. Am Tag, als wir fertig waren, hat es dann geschneit - ein oder zwei Meter Neuschnee droben. Die Kameraausrüstung war noch oben, im Container, also habe ich, schon auf dem Weg zum nächsten Drehort, den Kameramann angewiesen, unbedingt Bilder vom Hotel im Schneesturm zu drehen!

SZ: Das ist ja erstaunlich im Film, dieses Luxushotel, von dem aus man die lebensgefährlichen Trips in die Wand beobachten kann - eine Art Kino vor Ort.

Stölzl: Das war schon in den Zwanzigern ein thomasmannmäßiger Luxusbetrieb, sehr beliebt, 1912 war ja schon die Bahn fertig. Und es hat schon damals eine Menge Japaner gegeben. Damals war es eher exklusiv, heute jagen sie im Halbstundentakt indische oder japanische Züge hoch. Es gibt an die hundert Eiger-Routen, eine der bekanntesten ist die Japaner-Direttissima. Eine Gruppe von Japanern hat sich in den Sechzigern schnurgerade zum Gipfel hochgebohrt. Sie haben dafür drei Wochen gebraucht.

SZ: War es schwer, die Stars für diese Strapazen zu motivieren?

Stölzl: Die waren sofort begeistert. Jeder deutsche Schauspieler wollte den Film machen, der physischen Herausforderung wegen. Der Benno ist schon ein Kletterer gewesen, Simon Schwarz auch. Florian Lukas hat ein Jahr zuvor angefangen. Und ist jetzt ein voller Alpinist geworden, Klettergrad acht oder neun.

© SZ vom 02.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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