Süddeutsche Zeitung

Beratung für Stalker:Hilfe für die Jäger

Täterarbeit als Opferschutz - Wolf Ortiz-Müller berät Menschen, die andere verfolgen. sueddeutsche.de hat mit ihm über seinen Job gesprochen.

Johannes Boie

Von einem Menschen verfolgt zu werden, ist eine traumatische Erfahrung. Stalkingopfer erhalten deshalb psychologische Unterstüzuung, um ihre Ängste zu überwinden. Doch auch Stalker benötigen professionelle Hilfe. Die Beratungsstelle "Stop-Stalking" kümmert sich seit einem Jahr um jene Menschen, die anderen viel zu nahe kommen. Ein Gespräch mit dem Diplom-Psychologen Wolf Ortiz-Müller, der Stalker berät - um Opfer nachhaltig zu schützen.

sueddeutsche.de: Herr Ortiz-Müller, was macht einen Menschen zum Stalker?

Ortiz-Müller: Psychologisch gesehen sind Stalker Menschen, die Bindungsprobleme haben. Sie kommen zum Beispiel mit Zurückweisungen nach Trennungen nicht klar, geraten in ein Klammerverhalten. Wenn sie es nicht schaffen, ihre Beziehung wiederherzustellen, kommen Wut oder Hass dazu. Neben Beziehungsstalkern gibt es auch Täter, die ihre Nachbarin oder ihre Arbeitskollegin stalken. Diese Menschen sind nicht in der Lage, eine unverfängliche Geste - wie zum Beispiel ein nettes Lächeln - normal zu verarbeiten. Stattdessen haben sie ungeheure Phantasien. Sie treten dann den betreffenden Kollegen oder Nachbarn viel zu nahe und lösen bei ihren Opfern enorme Ängste aus.

sueddeutsche.de: Was sind das für Menschen, die ihren Mitmenschen nachstellen?

Ortiz-Müller: Stalker gibt es in allen sozialen Schichten. Zu unseren Klienten bei "Stop-Stalking" gehören sozial zurückgezogene Hartz-IV-Empfänger ebenso wie Gutverdiener mit Familie, die ihre Ex-Geliebte stalken. Übrigens: 20 bis 25 Prozent sind Frauen. Wir behandeln Stalker, die eben erst anfangen genauso, wie Täter, die jahrelang gestalkt haben. Bei manchen von ihnen wurde Stalking zum Lebensinhalt. Wir versuchen dann, diese Verhaltensweisen abzustellen.

sueddeutsche.de: Die Beratungsstelle "Stop-Stalking" gibt es jetzt seit einem Jahr. Wie arbeiten Sie?

Ortiz-Müller: Ein Team von fünf Kolleginnen und Kollegen teilt sich 2,5 Stellen und einige Honorarmittel. Wir sind Diplom-Psychologen und Sozialpädagogen und haben eine Bürokraft. Unsere Räume liegen in Berlin-Steglitz. Im Moment finanzieren wir uns durch Zuschüsse vom Jobcenter, Stiftungsgeld und Spenden, aber auch durch Bußgelder, die verurteilte Stalker an uns überweisen müssen.

sueddeutsche.de: Sollte man sich nicht lieber um Opfer als um Täter kümmern?

Ortiz-Müller: In Berlin gab es letztes Jahr 2150 Anzeigen wegen Stalking. Eine Studie von Harald Dreßing legt nahe, dass zwölf Prozent aller Deutschen zum Stalkingopfer werden. Aber: Wir begreifen die Täterarbeit als Opferschutz. Der Täter ist derjenige, der aufhören muss. Nur so erreicht man einen nachhaltigen Schutz des Opfers. Wegziehen, Telefonnummer ändern, das sind nur temporäre Schutzmaßnahmen. Uns geht es ja nicht um die "armen Stalker" und - zum Beispiel - um ihre bedrückende Kindheit, sondern darum, mit Nachdruck auf das Ende des Stalkings hinzuwirken.

sueddeutsche.de: Wie viele Stalker haben Sie in Ihrem ersten Jahr als Helfer behandelt?

Ortiz-Müller: Wir hatten 530 Kontakte zu Stalkern und Stalkerinnen. Wer glaubt, zum Stalker zu werden oder einer zu sein, kann sich anonym per Telefon oder E-Mail an uns wenden. Insgesamt haben sich 86 Stalker für diesen Beratungsprozess entschieden.

sueddeutsche.de: Wie läuft dieser Prozess ab?

Ortiz-Müller: Bis zu drei Gespräche können anonym geführt werden, wer sich dann für einen Beratungsprozess entscheidet, muss eine Vereinbarung unterschreiben, in dem er oder sie sich auf bestimmte Ziele festlegen muss: zum Beispiel auf endgültige Trennungen oder private Neuorientierungen. Zum Teil kommt es dann zu monatelangen Beratungsprozessen, in denen wir per Telefon, E-Mail oder in bis zu 20 persönlichen Gesprächen über das Stalking reden. In der Regel findet der Kontakt in dieser Phase einmal pro Woche statt. Wenn der Stalkingdruck nachlässt, nur noch alle 14 Tage. In den Sitzungen wird das Verhalten in der letzten Woche analysiert. Warum ist es gelungen, nicht zu stalken, warum gab es einen Rückfall? Ein halbes Jahr nach dem Ende der Beratung wird der Klient zu einem Monitoring eingeladen.

sueddeutsche.de: Wie erfolgreich ist Ihre Arbeit?

Ortiz-Müller: Wir haben selber keine Zahlen, da wir in der Regel mit den Opfern keinen Kontakt haben. Und die Polizei darf uns aus Datenschutzgründen keine Details zu Straftaten weiterreichen. Allerdings berichten uns die Stalker sehr offen, weil sie keinen Grund haben, uns zu belügen. Auch über Rückfälle reden sie offen. Da heißt es dann: "Ich denke noch jeden Tag an sie, aber gestalkt habe ich seither nie mehr."

sueddeutsche.de: Wo hört normale Kontaktaufnahme auf, wo beginnt Belästigung und Stalking?

Ortiz-Müller: Natürlich gibt es bei jeder Trennung nach einer Liebesbeziehung eine Ambivalenzphase. Wenn aber einer eine klare Grenze zieht, und der andere das nicht akzeptiert, also weiterhin Droh- oder Liebesbriefe, SMS oder Telefonanrufe schickt, ist die Grenze zum Stalking überschritten. Dann geht es weiter zum Telefonterror, zum Nachlaufen, oder zum Warten im parkenden Auto vor der Tür. Gelegentlich kommen Drohungen, das Haustier des Opfers umzubringen. Oder das Opfer samt neuem Partner krankenhausreif prügeln zu lassen.

sueddeutsche.de: Ist Stalken eine Krankheit?

Ortiz-Müller: Nein. Stalken ist keine Krankheit, sondern eine Straftat. Die Menschen, die stalken, sind für ihr Handeln verantwortlich. Das sind keine Süchte im psychiatrischen Sinn - sondern ist ein Verhalten, das man korrigieren muss und kann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.461861
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/jja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.