Ansammlung beliebter Kindernamen
(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov SZ)Das Baby Rüdiger sieht reizend aus. Noch etwas zerknautscht blickt er in die Kamera der Erfurter Klinik, in der er Anfang März zur Welt kam. In der linken Hand hält er ein blaues Kissen, die rechte ruht neben dem Kopf, zur Faust geballt. Das sieht kämpferisch aus, als ahne Rüdiger schon, was spätestens mit dem Tag der Einschulung auf ihn zukommen wird. Die anderen Kinder auf der Webseite der Klinik tragen Namen wie Liam, Lewis, Colin.
Rüdiger, so heißt seit dem kleinen Vampir kein Mensch mehr. Rüdiger, so sagt die Statistik, war bis 1970 ein Renner bei jungen Eltern, er zählte zu den hundert beliebtesten Namen Deutschlands. Heute taucht Rüdiger nicht einmal mehr in der Liste der Top 500 auf. Selbst Artjom, Phileas und der immerhin klangverwandte Rüzgar liegen weiter oben. Sagt jedenfalls Knud Bielefeld - und irgendwem muss man in dieser Frage ja trauen. In Deutschland, wo das Statistische Bundesamt das Alter hessischer Musikschüler kennt und den Sendeanteil der Bühnendarbietungen im ZDF, gibt es keine amtliche Vornamen-Statistik.
Namen mit Bedeutung
Es gibt viele Hitlisten, von der Uni Leipzig, von der Gesellschaft für deutsche Sprache, von Elternheften. Es gibt vage Ahnungen, wonach Emma und Finn später in ihrem Freundeskreis nicht die einzigen Emmas und Finns sein werden. Es gibt den Wunsch, über Vornamen und ihre Geschichte Bescheid zu wissen, weil Vornamen so viel mehr über einen Menschen sagen als nur, wie er heißt. Und es gibt: Knud Bielefeld.
Der Name des 45-Jährigen fällt einmal im Jahr in den Nachrichten, meist so: "Laut einer nichtamtlichen Auswertung durch den Hobby-Namensforscher Knud Bielefeld", dann geht es mit den beliebtesten und schrägsten Namen weiter. Und während man überlegt, warum einer sein Kind Sexmus Ronny nennt, drängelt sich jedes Jahr aufs Neue die andere Frage dazwischen: Wie wertet einer so etwas aus? Weshalb? Hat er nichts Besseres zu tun?
Ein Zimmer unter dem Dach in Ahrensburg, Schleswig-Holstein, in den Regalen Bücher wie das "Vornamens-Lexikon von A-Z", "Oxford First Names", und "Namensgebung in Ostfriesland". Bielefelds Hobbyraum. Von hier aus hat er für die aktuelle Liste 165.979 Geburtsmeldungen ausgewertet, jedes vierte 2012 in Deutschland geborene Kind ist in seiner Datenbank erfasst. "Es werden jedes Jahr mehr", sagt er.
Dabei ist Bielefeld Wirtschaftsinformatiker, seine Seite "beliebte-vornamen.de" betreibt er privat. Er hat keinen Anspruch darauf, dass ihm Behörden verraten, wie viele Mias wo geboren werden. "Ich muss alles selbst sammeln", sagt er. Wenn es gut läuft, drucken Standesämter die neuesten Vornamen im Amtsblatt. Oder Mitarbeiter geben Interviews, wie kürzlich die Beamtin aus Hamburg-Nord, die über den in ihrem Bezirk gemeldeten Don Armani Karl-Heinz philosophierte.
Häufiger aber muss Bielefeld die Websites von Kliniken durchforsten. In Zeiten wütender Datenschutzdebatten klingt es kurios, aber: Die meisten Häuser haben eine "Babygalerie", eine Seite, auf der sie die Neugeborenen vorstellen. Mit Foto, Geburtsdatum, Größe - und Namen. Davon profitiert Bielefeld.