Belarus:"Wir lachen über die, die für Lukaschenko sind"

Eva, 10, lebt in Minsk. Seit knapp einem Monat protestieren dort die Menschen friedlich gegen ihren Präsidenten. Der habe betrogen, glauben sie. Auch die EU hat die Wahl nicht anerkannt. Hier erzählt Eva von ihrem Alltag zwischen Geigespielen und Polizeisperren.

Protokoll: Julia Mironova

Eve, 10

Eva malt gern und spielt Geige. Seit dieser Woche geht sie in die vierte Klasse. Bei ihrer Großmutter auf dem Land ist alles ruhig.

(Foto: privat)

"Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Kinder im Hof herumlaufen. Ganz nah, wir wohnen im Erdgeschoss. Genau da, wo vor ein paar Tagen noch die Polizei stand. Auf derselben Stelle, demselben Hof. Wann kommt sie wieder?

Belarus: Seht ihr die Flagge der Unabhängigkeit? Belarus liegt zwischen Polen und Russland. Die Hauptstadt heißt Minsk.

Seht ihr die Flagge der Unabhängigkeit? Belarus liegt zwischen Polen und Russland. Die Hauptstadt heißt Minsk.

(Foto: Sergei Grits/AP)

Am 9. August wurde in ganz Belarus gewählt: 80 Prozent haben da für Lukaschenko gestimmt. Heißt es. Dass das tatsächlich stimmt, daran glaubt hier fast niemand. Beim Auszählen wurde betrogen. Deswegen gehen die Leute auf die Straße. Sie wollen faire Wahlen. Sie mögen Lukaschenko nicht. Und sie mögen es nicht, dass Menschen geschlagen werden, nur weil sie demonstrieren. Oder eingesperrt werden. Das passiert hier gerade.

Belarus: Herzenssache: Über Wochen demonstrieren Zehntausende Menschen in Belarus für faire Wahlen und den Rücktritt von Diktator Lukaschenko.

Herzenssache: Über Wochen demonstrieren Zehntausende Menschen in Belarus für faire Wahlen und den Rücktritt von Diktator Lukaschenko.

(Foto: Petr David Josek/AP)

Die ersten Wochen nach der Wahl habe ich bei meiner Großmutter auf dem Land verbracht. Meine Eltern sind in Minsk geblieben. Ich wusste nicht, warum, nur, dass sie dort als Freiwillige arbeiten. Natürlich habe ich mir da große Sorgen gemacht. Ganz in der Nähe unseres Hauses sind Barrikaden errichtet worden, hat mir meine Großmutter erzählt. Und unter den Fenstern sind Blendgranaten explodiert. Ich hatte Angst, dass meine Eltern festgenommen werden, dass ich nach Hause komme und sie nicht mehr da sind. Später hat mir meine Mama erzählt, dass sie denen geholfen haben, die bei Protesten eingesperrt worden sind. Sie haben Medikamente gekauft, sind vors Gefängnis und zu Kundgebungen gegangen und haben Zeitungen verteilt, die von dem berichten, was im Fernsehen nicht vorkommt. Das, was hier im Fernsehen kommt, stimmt nämlich oft nicht.

Belarus: Weiße Blumen gegen Blutvergießen: Trotz brutaler Polizeigewalt bleiben Demonstrantinnen und Demonstranten friedlich.

Weiße Blumen gegen Blutvergießen: Trotz brutaler Polizeigewalt bleiben Demonstrantinnen und Demonstranten friedlich.

(Foto: Sergei Gapon/AFP)

Seit ein paar Tagen bin ich zurück in Minsk. Das Leben in der Stadt hat sich verändert: Um irgendwo hinzugehen, muss man sich vorbereiten. Man muss damit rechnen, dass man aufgehalten wird - von Demonstrationszügen oder von der Polizei. Man muss damit rechnen, dass man vielleicht nicht dorthin kommt, wo man hinwill. Und man sollte auf jeden Fall nur tagsüber unterwegs sein.

Proteste in Belarus - Serbien

Alexander Lukaschenko ist seit 26 Jahren an der Macht in Belarus. Er gilt als letzter Diktator Europas. Hier ist er auf einem Staatsbesuch in Serbien.

(Foto: Darko Vojinovic/dpa)

Ich finde es wichtig, auf die Straße zu gehen, um Lukaschenko zum Rücktritt zu bewegen. Dass er einsieht, dass er gar nicht gewählt wurde. Einmal war ich mit meinem Vater auch selbst auf einer großen Demonstration. Es hat Spaß gemacht. Aber irgendwann wurde der Demonstrationszug vom Militär aufgehalten. Es ist nicht schön, das Militär in der Stadt zu haben. Diese Woche hat die Schule wieder begonnen. Viel daran ist ganz normal. Und doch ist es auch merkwürdig, und das hat wieder mit der politischen Situation zu tun. Denn die meisten Wahllokale waren in Schulen untergebracht. Dort haben viele Menschen mitgeholfen. Zettel verteilen, Listen überprüfen, Stimmen auszählen. Solche Sachen halt. Diese Wahlhelfer waren oft Lehrerinnen und Lehrer. Ich weiß nicht, ob meine Lehrerin auch in einem Wahlausschuss war. Hat sie mitgeholfen, die Wahl zu fälschen? Im Elternchat zumindest hat sie versucht, die Lage zu beruhigen. Sie schrieb, dass es dieses Jahr besonders schwierig ist, nach den großen Ferien in die Schule zu kommen. Und wir alle sollten unpolitisch sein, wenn es um Schule geht.

Belarus: Die Frauenstatue hält keine Waffe in der Hand, sondern eine Trompete. Sie soll an die Befreiung während des Zweiten Weltkriegs erinnern.

Die Frauenstatue hält keine Waffe in der Hand, sondern eine Trompete. Sie soll an die Befreiung während des Zweiten Weltkriegs erinnern.

(Foto: Sergei Gapon/AFP)

Meine Mutter ist davon überzeugt, dass es auch an meiner Schule Fälschungen gab. Denn am Wahlabend ist merkwürdigerweise der Strom ausgefallen. Außerdem wurde das Ergebnis für dieses Wahllokal nie offiziell verkündet. In Belarus gehen seltsame Dinge vor sich, aber auch beunruhigende und leider auch schlimme. Dass wir Kinder uns wegen der Wahl streiten, kann ich mir nicht vorstellen. Aber manchmal lachen wir über diejenigen, die für Lukaschenko sind. In unserer Klasse sind das nur sehr wenige."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: