Julia Probst
(Foto: bartjez portrait photography)Vorne weg: Entspannen Sie sich - Gehörlose sind es eher gewohnt, mit Hörenden zu kommunizieren als umgekehrt. Aber ich kann es gut verstehen, dass man neugierig ist, weil die Berührungspunkte zwischen Nichtbehinderten und Menschen mit Behinderungen im Alltag sehr gering sind. Grundsätzlich gilt: Nehmen Sie sich niemals heraus, besser als Menschen mit Behinderung selbst zu wissen, was diese brauchen. Oder gar für sie zu entscheiden, ob sie wirklich behindert sind (mehr dazu später). Als Lösung für jeden - mit oder ohne Behinderung - kann nur gelten: vollständige Barrierefreiheit und Teilhabe an der Gesellschaft.
Über Gespräche mit Gehörlosen
Gehörlose gucken einem immer in die Augen, das macht viele Hörende zusätzlich unsicher im Gespräch mit Gehörlosen. Wegschauen empfinden Gehörlose allerdings als unhöflich, weil wir uns nicht sicher sein können, ob der Gesprächspartner uns auch wirklich zuhört. Versuchen Sie also Blickkontakt zu halten und sprechen Sie ein bisschen langsamer und deutlicher als normal. Weil Gehörlose oft ausreichend gut von den Lippen ablesen können, sind die Grundlagen für eine gute Verständigung dann schon gegeben. Auf keinen Fall sollten Sie so vereinfacht mit dem Gehörlosen reden, als wäre er ein kleines Kind - das kommt bei niemandem gut an. Nachfragen und Wichtiges im Zweifel aufzuschreiben, ist nie verkehrt - auch bei Nichtbehinderten. Man kann die Infos zum Beispiel ins Smartphone eintippen und dem Gegenüber hinhalten.
Über lauteres Sprechen und Schweigen
Wenn die Leute mitkriegen, dass ich gehörlos bin, fangen sie oft an, lauter zu sprechen. Das bringt natürlich gar nichts, nicht einmal bei Hörbehinderten, weil das Mundbild verzerrt wird. Ich unterbreche dann charmant: "Tut mir leid. Sie müssen nur etwas langsamer sprechen, nicht schreien!" Das hilft meistens, die Leute befolgen den Tipp und freuen sich, wenn die Kommunikation dann klappt. Andere brechen das Gespräch aber auch ab und gehen einfach weiter. Das ist sehr verletzend. Bei dem Typus kann man aber nicht viel machen. Höchstens in einem offiziellen Kontext, etwa im Geschäft oder bei Angestellten der Verkehrsbetriebe - dann stelle ich mich in den Weg und frage: "Soll ich mich bei Ihrem Chef beschweren?" Das hilft (leider) immer.
Über Zugdurchsagen und Fehlinformationen
Einmal war ich im Zug unterwegs, als eine Ansage wegen einer Verspätung kam. Durchsagen erkennen Gehörlose daran, dass Hörende nach oben gucken und angespannt lauschen. Mitreisende gaben mir die Info weiter, aber leider war die Ansage auch für sie nicht ganz verständlich. Daraufhin ging ich zum Zugbegleiter: "Ich bin gehörlos und die Ansage war für meine Mitreisenden nicht komplett verständlich. Ist mein Anschlusszug in Mannheim betroffen?" Der Zugbegleiter sah mich an: "Was sind Sie?" - "Gehörlos. Ich kann nicht hören." - "Sie können nicht taubstumm sein." - "Wieso?" - "Sie können sprechen. Taubstumme können nicht sprechen." "Das ist eine Fehlinformation. Ich bin seit meiner Geburt gehörlos und kann wunderbar sprechen, wie Sie hören können. Und nun: Wartet mein Zug oder nicht?" Der Zugbegleiter sah mich immer noch zweifelnd an, murmelte etwas und sah auf meine Fahrkarte. Erst dann gab er mir die gewünschte Auskunft.
Über Partys und falsches Mitleid
Was mich wirklich ärgert: Wenn Menschen, die ich zum Beispiel auf einer Party kennenlerne, erfahren, dass ich gehörlos bin, fragen sie oft: "Kann man da nicht etwas machen? Da hab ich im Fernsehen mal was von einer Operation gehört und damit wäre dein Leben doch so viel besser." Das finde ich wirklich übergriffig: Warum wird automatisch davon ausgegangen, dass man sich operieren lassen muss, damit man ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist? Wenn man die Frage stellen muss, kann man sie so formulieren: "Ich hab da von einer Operation gehört, wäre das was für dich?" Das klingt schon anders. Außerdem kann ich dann sagen: "Nein, danke."
Über Tippen und Winken
Wer an einer gehörlosen Person zum Beispiel in der vollen U-Bahn vorbei will, sollte am besten vorsichtig ins Gesichtsfeld winken - darauf sind Gehörlose trainiert, wir merken das ziemlich schnell. Auch ein vorsichtiges Antippen an der Schulter ist möglich, wenn der Gehörlose nicht reagiert. Aber bitte nicht weiter anfassen oder gar schieben und schubsen.
Über Telefonieren und Alternativen dazu
Hörende fragen immer mal wieder nach meiner Telefonnummer, bis ihnen auffällt, dass ein Telefonat eher schwierig wird. Aber es gibt ja heutzutage SMS, Mails, Whatsapp und Threema, das wird eifrig von Gehörlosen genutzt. Hat die Kontaktaufnahme geschäftliche Gründe, gibt es auch Telefonvermittlungen für Gehörlose, wo Hörende ganz normal in den Hörer sprechen und ein Gebärdensprachdolmetscher oder Schriftdolmetscher vermittelt. Skype ist auch eine Möglichkeit, aber nicht alle Gehörlosen können so gut lippenlesen.
Über Tuscheln, Spott und den Umgang damit
Meistens bekommen wir Gehörlosen es mit, wenn hinter unserem Rücken über uns gesprochen wird oder dumme Kommentare fallen. Sonst sollte ein hörender Freund oder Bekannter den Gehörlosen darauf hinweisen: "Ich weiß, dass über dich geredet wird. Was soll ich machen? Soll ich rübergehen und denen meine Meinung sagen oder wollen wir gemeinsam über die Schwätzer lachen?" Das entschärft die Situation und der Gehörlose weiß, dass er nicht alleine ist, sondern jemanden an seiner Seite hat, der für ihn "kämpfen" würde, falls es ihm zu viel wird.
Über das No-go-Wort "taubstumm"
Für mich selbst bevorzuge ich den Begriff "gehörlos", weil das wirklich zutreffend ist. Ich kann alles - außer hören. "Taub" mag ich aus zwei Gründen nicht: Zum einen steht "taub" auch für Gefühlslosigkeit und zum anderen kann es leicht mit dem No-go-Wort "taubstumm" verwechselt werden. Taubstumm sind Gehörlose eben nicht, wir können uns ohne weiteres verständigen. Ich wünsche mir, dass dieser Begriff aus dem Wortschatz verschwindet, da er wirklich diskriminierend ist.
Bekannte können mich übrigens ruhig auf meine Gehörlosigkeit ansprechen, zumindest wenn wir uns schon öfter als paar Mal gesehen haben. Und wenn derjenige nicht mit der Türe ins Haus fällt, sondern das Gespräch ungefähr so beginnt: "Wir haben uns ja schon öfter getroffen, und ich habe da eine Frage, aber bisher habe mich nicht getraut. Darf ich Sie/dich was fragen?" Das kam bei mir schon öfter vor und finde ich es sehr nett, weil es mir zeigt, dass derjenige sich Gedanken gemacht hat, ob er übergriffig ist oder nicht.
Julia Probst, 33, Aktivistin für Barrierefreiheit, Bloggerin und twitternde Lippenleserin bei der WM