Barfußläufer in Berlin:Auf nackten Sohlen

Seine Füße kennen das Berliner Pflaster wie keine anderen. Johannes Kathol mag keine Schuhe und kämpft für das Recht, barfuß zu laufen. Überall - und bei fast jedem Wetter.

Franziska Seng

Johannes Kathol ist einer der wenigen Menschen, die sich über dieses verregnete Frühjahr nicht ärgern. Der 47-jährige Fußreflexzonenmasseur läuft seit fünf Jahren überwiegend barfuß durch Berlin, und zwar bei fast jedem Wetter. Zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Ulrich Conrad gründete er 2005 die Barfuß-Initiative Berlin-Brandenburg, die sich gegen die Diskriminierung schuhbefreiter Menschen engagiert.

Johannes Kathol

Bevorzugt zum Barfußlaufen Berliner Granit-Trottoirs: Johannes Kathol. Foto: Christoph Schieder.

(Foto: online.sdeleben)

sueddeutsche.de: Herr Kathol, Sie laufen barfuß, wenn andere Menschen sich noch in Winterstiefel zwängen. Haben Sie eine Schmerzgrenze?

Johannes Kathol: Natürlich, die liegt bei etwa sechs Grad. Es gab Winter, da sind in Berlin die Temperaturen nie unter diesen Wert gefallen, und ich konnte ganz auf Schuhe verzichten. Im vergangenen Winter musste ich aber doch vier Monate welche tragen. Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt Barfußwanderungen, die man bereits ab zehn Grad problemlos durchführen könnte. Nur der Rest des Körpers sollte warm eingepackt sein.

sueddeutsche.de: Bekommt man barfuß nicht viel leichter eine Erkältung?

Kathol: Ich habe vom Barfußlaufen noch nie eine Erkältung bekommen, im Gegenteil. Früher lag ich einmal pro Jahr mit einer Stirnhöhleninfektion im Bett. Von der bleibe ich mittlerweile verschont.

sueddeutsche.de: Wegen des Barfußlaufens?

Kathol: Ja, das liegt am Kneipp-Effekt. Ähnlich wie beim Wassertreten wird der Organismus an kalte Temperaturen gewöhnt. Trotz der Kälte bleibt die Körpertemperatur oben, und das wirkt sich positiv auf das Immunsystem aus. Das funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen. In meinem ersten Herbst sind die Zehen schon bei 13 Grad taub geworden. Mittlerweile bin ich abgehärtet.

Hundekot und Marathon

sueddeutsche.de: Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, die Schuhe wegzulassen?

Kathol: Es hat mir schon immer Spaß gemacht, außerdem empfand ich Schuhe meistens als zu warm und eng.

sueddeutsche.de: Und Sie kommen problemlos überall hin?

Kathol: In 98 Prozent der Situationen kann man in Deutschland barfuß sein. Nur nicht in Bundesbehörden oder manchen Museen. Barfuß lassen einen die Leute vom Sicherheitsdienst nicht hinein.

sueddeutsche.de: Und das empfinden Sie als diskriminierend?

Kathol: Ja, denn Touristen in Flip-Flops werden auch nicht abgewiesen. Man argumentiert, ein barfüßiges Auftreten entspreche nicht der Würde des Hauses oder dem Wert der Sammlungen. Trotzdem werden Leute in Kleidung und Schuhen eingelassen, die eher zu einem Strandauftritt passen. Frauen, die im Sommer ihre unbequemen, hochhackigen Schuhe ausziehen wollen, werden dagegen aufgefordert, diese wieder anzuziehen. Gegen diese Diskriminierung kämpfen wir auch in der Barfuß-Initiative Berlin-Brandenburg.

sueddeutsche.de: Warum werden schuhlose Füße als so anstößig empfunden?

Kathol: Das hat kulturelle Gründe. Früher trugen Menschen, die gebildet und wohlhabend waren, Schuhe. Arme Leute - Bauern etwa, die auf dem Feld arbeiteten - konnten sich keine leisten. Deswegen gilt es als unangemessen und respektlos, ohne Schuhe aufzutreten. Aber das ist ein Jahrhunderte altes Vorurteil, das in die Mottenkiste gehört.

sueddeutsche.de: Vielleicht empfinden viele den Anblick einfach als unästhetisch?

Kathol: Freilich gibt es Leute, die selbst nie ohne Schuhe das Haus verlassen würden und die ein Problem damit haben haben, wenn andere das machen. Aber wir leben in einer aufgeschlossenen Gesellschaft, in der jeder machen darf, was er will, solange er nicht gegen geltendes Recht verstößt. Und es gibt kein Gesetz, das Barfußlaufen verbietet.

sueddeutsche.de: Vielleicht denken diese Leute an die vielen Glasscherben und Hundehaufen, in die man in Berlin treten kann?

Kathol: Berlin ist sehr sauber, die Stadtreinigung legt jeden Tag 4000 Kilometer zurück, das entspricht der Strecke Berlin-Madrid. Natürlich bin ich schon in Glasscherben oder Hundekot getreten, aber nur während der Anfangsphase. Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl, wo es schmutzig sein könnte. In Parks sollte man die ersten drei Meter Wiese meiden, da laufen die Hunde an der langen Leine. Auf den Wegen selbst ist es kein Problem. Ansonsten ist Berlin eine unglaublich barfußgeeignete Stadt.

sueddeutsche.de: Was zeichnet eine barfußgeeignete Stadt aus?

Kathol: Schöne, breite Bürgersteige mit Granitplatten oder Kopfsteinpflaster. Auf diesen Naturmaterialien zu laufen ist für die Füße sehr angenehm. Im Gegensatz dazu habe ich im Süden Deutschlands Städte erlebt, die flächendeckend asphaltiert waren. Dementsprechend schaurig ist das Gefühl, darauf zu laufen. Von Asphalt bekomme ich immer Gänsehaut.

sueddeutsche.de: Die sinnliche Erfahrung ist Ihnen beim Barfußlaufen also durchaus wichtig.

Kathol: Natürlich, deswegen unternehmen wir mit der Initiative auch Barfußwanderungen. Das ist ideal, um Stress abzuschütteln. In Brandenburg gibt es viele geeignete Strecken, in schöner Umgebung mit Sand, Waldboden oder Gras.

sueddeutsche.de: Ist es sehr anstrengend, sich anderen Menschen gegenüber als Barfußläufer zu behaupten?

Kathol: Wirklich negative Reaktionen habe ich noch nicht erlebt. Nur ein älterer Herr hat mir einmal angeboten, in ein Geschäft mit mir zu gehen und Schuhe zu kaufen. Ich konnte ihn jedoch dahingehend beruhigen, dass ich Schuhe besäße und sie auch anzöge, wenn es zu kalt wird.

sueddeutsche.de: Und - wie viele Paar Schuhe besitzen Sie?

Kathol: Insgesamt acht Paare: Flip Flops, FiveFingers, für Minusgrade auch festeres Schuhwerk. Wichtig ist mir, dass die Zehen nicht verbogen werden. Zehen, die durch das Tragen von Schuhen krumm geworden sind, empfinde ich als unästhetisch.

sueddeutsche.de: Gibt es, außer im Winter, noch Gelegenheiten, zu denen Sie freiwillig Schuhe anziehen?

Kathol: Wenn ich zum Empfang beim Bundespräsidenten geladen wäre, käme ich mir ohne Schuhe lächerlich vor. Auch bei Hochzeiten oder Kommunionen passe mich als Gast den Wünschen des Gastgebers an. Ansonsten bin ich in Kirchen nie vom Personal aufgefordert worden, Schuhe anzuziehen, man ist dort tolerant. Es gibt schließlich auch Mönche, die barfuß laufen. Nur von anderen Kirchenbesuchern wird man hin und wieder komisch angeschaut.

sueddeutsche.de: Sie sind schon barfuß einen Marathon gelaufen. Wie war das?

Kathol: Für die ersten 20 Kilometer war die Kondition ausreichend, die zweite Hälfte wurde sehr schmerzhaft, ich habe aber durchgehalten. Barfußlaufen beansprucht viel mehr Kraft und Koordination als das Laufen in Schuhen. Es gibt aber auch Marathonläufer wie den Deutschen Dieter Mücke, die das regelmäßig machen.

sueddeutsche.de: Zurzeit entwickelt die Sportindustrie Laufschuhe, die den Fuß weniger dämpfen und das Barfußlaufen imitieren. Würden Sie Läufern empfehlen, das Geld dafür zu sparen und einfach auf Schuhe zu verzichten?

Kathol: Einerseits ist der Mensch auf das barfüßige Gehen und Laufen angepasst, allerdings müsste der Körper das von Kindesbeinen an trainieren, wie etwa die Kinder im Senegal oder Nigeria, die täglich 40 Kilometer zur Schule laufen. Das kann man als Mitteleuropäer nicht innerhalb weniger Wochen nachholen. Es würde extreme Überlastungserscheinungen hervorrufen. Schon ohne Schuhe zu Fuß zu gehen, ist Sport - und stellt erhöhte Anforderungen an den Körper. Aber ich würde jedem empfehlen, es auszuprobieren, natürlich nur eine kurze Wegstrecke. Und immer auf die Signale des Körpers achten, sofort aufhören, wenn es unangenehm wird.

sueddeutsche.de: Ihre Füße werden besonders beansprucht. Bekommen sie denn eine besondere Pflege?

Kathol: Selbstverständlich, ich laufe schließlich nicht barfuß, weil mir meine Füße egal wären, im Gegenteil. Ich achte darauf, dass die Hornhaut nicht rissig wird und mache regelmäßig Fußpflege.

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