Bälle in Deutschland:Pracht und Pflicht

Katharinenball

Großes Vorbild: Im Prachtschloss Zarizyno in Moskau feiern wohlgekleidete Gäste im September den Katharinenball. In diesem Jahr wurde er erstmals auch in Deutschland ausgerichtet.

(Foto: Alexander Kucharenk)

Mit dem Ende des Adels in Russland machten Bälle eine sozialistische Pause. Nun wird wieder getanzt - auch in der deutschen Heimat von Zarin Katharina.

Von Frank Nienhuysen, Zerbst

Der Tanzmeister aus Russland wirbt für Haltung und Schwung, schließlich soll die Polonaise wirken. Eine Polonaise bringt mit ihren würdevollen Reigen einen Ball erst ins Rollen, etwas Theorie für die Gäste muss dafür nun einmal sein. "Es ist nicht kompliziert", beruhigt der Tanzmeister, ein eleganter Mann mit grauer Perücke, weißen Strümpfen und türkisfarbenem Gehrock. "Zuerst verbeugen wir uns", sagt er. Die Paare verbeugen sich. Es sind wenige, die sich trauen. Die Tische bleiben voll. Man ziert sich.

Es ist der erste Große Katharinenball in Deutschland, und er findet in Zerbst in Sachsen-Anhalt statt, weil die russische Zarin Katharina II. eine geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst war. Zuvorderst angetreten sind die Balldirektorin Olga Martens und der Bürgermeister von Zerbst. Auch die "Prinzessin von Anhalt-Zerbst" reiht sich ein, eine Gymnasiastin, die ihren Titel nach einem Prinzessinnen-Casting erhielt, weil sie "fundiertes Wissen bezüglich der Zerbster Stadtgeschichte und Zarin Katharina II." bewies, wie die Zerbstergazette einmal schrieb. Nun tanzt sie in einem grau-grünen Barockkleid die Polonaise mit, und die anderen Gäste an den etwa 50 Tischen schauen genussvoll zu, wie die Paare noch etwas unsicher im Kreis gehen und die Frauen den Männern dabei sanft zunicken. An einem hinteren Tisch im Saal erhebt sich eine Gruppe Russen und stößt stehend mit Wodka an.

Ein russischer Tanzmeister führt die Gäste in die Polonaise ein

Auf russischen Bällen bleibt es nicht bei einem Gang der Polonaise, und es bleibt auch nicht bei den Polonaisen. Wie in der Schule, es folgt sogleich neuer Stoff. Als der Tanz "Druschba" (Freundschaft) erklärt wird, geht es etwas durcheinander. "Schwingen, schwingen, umdrehen", ruft die Moderatorin, "Nicht aufgeben" ist von ihr zu hören, es fällt ein aufmunterndes "Super", der russische Tanzmeister aber korrigiert mit einem schnellen "Njet, njet, njet". Alles eine aufregende Nebensache, so ein Balltanz, denn das Wichtigste soll ja anderes sein: dass man sich näherkommt im Festsaal, Deutsche und Russen.

Der Katharinenball findet in der ehemaligen Reithalle statt, einem gelben Barockgebäude am Zerbster Schloss. Es ist vielleicht nicht der historisch bedeutendste Teil der alten Schlossanlage in Sachsen-Anhalt, aber die Bombentreffer im April 1945 haben vom Residenzschloss nur eine Ruine übrig gelassen, die erst mühevoll restauriert wird. Doch auch die einstige Reithalle ist ein würdevoller Ort. Der Stuck mit Wappen und Krone im Ballsaal ist historisch, und hinter einem sanft gerundeten Glasfenster verbirgt sich noch die Loge der Fürstenfamilie. Die spätere russische Zarin Katharina hat im Schloss im 18. Jahrhundert ein paar Jahre ihrer Kindheit verbracht. Eine deutsche Prinzessin, die nach Russland ging und herrschte, es reformierte und vergrößerte. "Katharina die Große hat dieses Land mitaufgebaut", sagt die Balldirektorin Olga Martens. "Und sie war für ihre prachtvollen Bälle bekannt." Eine Berühmtheit, die jetzt verbinden soll.

Nach fünf Jahresbällen im Moskauer Prachtschloss Zarizyno dachte sich Martens vom Internationalen Verband der deutschen Kultur, einer Organisation der Russlanddeutschen in Moskau, dass sich ein zusätzliches Fest in Katharinas deutscher Heimat gut machen würde. Außerdem, an den deutsch-russischen Beziehungen kann derzeit wohl nicht genug geknüpft werden. Am Vorabend einer gemeinsamen Wirtschaftstagung, dem Katharina-Forum, in feudalem Ambiente mit Smoking und Ballkleid, geht das besonders entspannt.

Der Ball hat für Russland Tradition, seitdem Peter der Große per Erlass 1718 das festliche Spektakel als gesellschaftliches Ereignis einführte. Üppig ging es zu in den Ballsälen Moskaus und Sankt Petersburgs. Die Zarenfamilie kam samt Hofstaat, der Adel, bürgerliche Beamte, ausländische Gäste, und als Tanzpartner mussten auch schmückende Offiziere antreten. Was wäre das auch gewesen für die Damen und ihre Töchter, wenn sie zur Musik trübsinnig dagesessen hätten, während die Männer in den Salons am Kartentisch saßen.

Bälle waren Pracht und Pflicht zugleich, es traf sich die verwöhnte Jeunesse dorée, es war Gelegenheit, den Hof zu machen und gedrechselte Heiratsanträge zu formulieren. Man versicherte sich des exquisiten Kleidergeschmacks, tanzte Walzer, Quadrillen, Mazurka, trank, spielte, plauderte über Politik und Geschäfte, und wenn es nichts Besseres zu tun gab, langweilte man sich eben. Lew Tolstoi hat das Rauschhafte jener Zeit oft illustriert.

In "Krieg und Frieden" hört Natascha "mit glühenden Wangen und glückstrahlendem Gesicht den ganzen Abend nicht wieder auf zu tanzen, wobei sie ihre überzähligen Kavaliere noch an Sonja abgab", während Baron Vierhof sich mit Fürst Andrej über die erste Sitzung des Reichsrates unterhielt, die am nächsten Tag stattfinden sollte. In "Anna Karenina" tritt die junge Kitty über die "von gepuderten Lakaien in roten Röcken flankierte, lichtüberflutete Treppe" Richtung Ballsäle, aus denen "eintöniges Rauschen" drang, "wie das Summen in einem Bienenstock". Als der angehimmelte schöne Wronskij sich dann aber mehr für Anna Karenina interessierte, war die Stimmung für Kitty ruiniert.

Spätestens mit der Revolution und dem Niedergang der russischen Monarchie endete der üppige Zauber und machte eine sozialistische Pause. Jetzt ist er wieder en vogue in Russland. Es gibt Bälle an allen Ecken, die Sehnsucht nach Zerstreuung ist groß im neurussischen Alltag. Sogar der Staat beteiligt sich am Boom. Das russische Verteidigungsministerium organisiert den Internationalen Kadettenball des Kreml, zu dem im Dezember fast 1500 uniformierte Gäste kamen. Die Zeitung Moskowskij Komsomolez ließ nicht unerwähnt, dass eines der Ziele dieser prächtigen Versammlung "die patriotische Erziehung der Jugend" sei. Es dreht sich viel um das Wiederaufleben von Traditionen, ob sowjetisch oder zaristisch. In Moskau wird ein "Wiener Ball" gefeiert, während es in der Hofburg den prunkvollen "Russischen Ball" gibt.

Wer kommt, hat großes Interesse an Russland - auch wirtschaftliches

"Wie sieht die Welt denn aus?", fragt Balldirektorin Olga Martens. "Wir sprechen simpel, wir ziehen uns simpel an. Die Seele sehnt sich nach Schönheit." Außerdem: "Es gibt eine Entfremdung. Man muss jede Chance nutzen, um daran zu erinnern, dass es doch auch gute deutsch-russische Beziehungen sein können."

Moskauer Deutsche Zeitung

Olga Martens hat als Direktorin nicht nur den Katharinenball in Moskau organisiert, sondern auch den in Zerbst.

(Foto: dpa)

Ressentiments oder tiefe Gräben müssen auf dem Zerbster Ball eigentlich gar nicht überwunden werden. Wer gekommen ist, hat großes Interesse an Russland, auch wirtschaftliches, es ist nicht der Ort für Kritik an der russischen Politik. Es verwundert einen also nicht, dass gefühlter Konsens an den Tischen ist, dass es nun doch wohl reiche mit den Sanktionen gegen Russland. Auch am Tisch von Andrea Ferber. Die Frau aus Sachsen-Anhalt ist Coach und Beraterin für mittelständische Unternehmer, sie sagt: "Ich teile die Ansicht, dass das Katharina-Forum eine Art Aktion des zivilen Ungehorsams gegen den Kurs der Bundespolitik ist. Ich bin nicht einverstanden damit, wie das im Moment läuft." Für Europa wäre es "segensreich, wenn es da Kooperationen gäbe und Austausch. Das täte uns gut".

Aber gibt es sie nicht? Städtepartnerschaften werden gepflegt, es läuft das deutsch-russische Wissenschaftsjahr, Forscher des Münchner Fraunhofer-Instituts tauschten sich in Moskau mit russischen Kollegen über künstliche Intelligenz aus. Das alles findet geräuschlos statt, leiser jedenfalls als das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2, für das Kanzlerin Angela Merkel sich gegen Widerstände starkmacht. Berlin setzte sich auch für Russland ein, damit es im Juni wieder das volle Stimmrecht im Europarat erhielt. Gar nicht so lange her. Aber es dreht sich ja nicht nur um Politik und Geschäft auf diesem Ball. Sondern auch ums Vergnügen. Andrea Ferber tanzt die Polonaise. Sie tanzt Walzer. Russische Bälle haben sie schon immer fasziniert.

Als Teenager hat sie die Schule geschwänzt, um ja nicht eine Verfilmung der Turgenjew-Romane im Westfernsehen zu verpassen. Von der Tolstoi'schen Ballszene in "Krieg und Frieden" hat sie eine bunte Bilderwelt im Kopf. "Ein Ball", sagt sie, "hat immer etwas Märchenhaftes." Katharina die Große schrieb einst amüsiert in ihren Erinnerungen, dass sich die Kaiserin Elisabeth schon mal das Vergnügen machte, bei Hofmaskenbällen die Männer in Frauenkleidern und die Frauen in Männerkleidern "ohne Gesichtsmaske erscheinen zu lassen". "Den Herren waren diese Tage der Metamorphose nicht eben angenehm", schrieb Katharina lakonisch, da sie "in große Reifröcke und Frauenüberwürfe gehüllt und wie die Damen bei Hoffesten frisiert waren".

Sie selber genoss als Prinzessin alle Schmeicheleien und wechselte bei ihren Ballbesuchen bis zu drei Mal pro Abend ihre Toilette. Dieses Phänomen ist beim Zerbster Katharinenball nicht zu sehen. Der offiziell strenge Dresscode wird von überraschend vielen unterlaufen. In Sankt Petersburg oder Moskau wäre der Ehrgeiz größer, bei solcher Gelegenheit das Feinste aus sich herauszuholen.

"Ob Sanktionen oder nicht", sagt ein Russe in Zerbst, "fürs Geschäft sind Bälle immer gut."

Trotzdem, der Katharinenball in Katharinas einstiger Heimat, direkt am Zerbster Schloss: Dies allein ist für das gastgebende Bundesland ein Coup. "Das ist ein Symbol an einem Ort, wo man auch europäische Geschichte sieht", sagt Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. "Der Ball ist eine Projektionsfläche für Geschichte und Gegenwart, aber auch für Diskussionen darüber, wie die Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann." Zum Ball selber hat Haseloff es nicht geschafft, er sagt dies an einem Caféteria-Tisch der Staatskanzlei. Der Ball, die Wirtschaftskonferenz, sogar ein großer Gasspeicher im Bundesland ist nach der russischen Zarin aus dem Zerbster Adel benannt. Und natürlich beteiligt sich das Land auch am Wiederaufbau der neben dem Ballsaal stehenden Schlossruine. 400 000 Euro stellt es dafür bereit.

Haseloff erzählt, dass die Ruine in DDR-Zeiten nicht angefasst wurde und "in einem schlimmen Zustand" war. "Da ist man nur vorbeigefahren, um den Kindern zu zeigen, wie schrecklich Krieg ist." Jetzt wird es Wand für Wand, Zimmer für Zimmer wieder hergerichtet. Haseloff weiß, das Schloss ist mehr als ein sanierungsfälliges altes Adelsgebäude. Der Ministerpräsident hofft auf russische Unterstützung. "Ich würde mir wünschen, dass man sich gemeinsam für diesen Ort interessiert und engagiert. Solche niederschwelligen Möglichkeiten helfen vielleicht sogar, im großen Ganzen weiterzukommen."

Im Ballsaal ist die Stimmung inzwischen weniger staatstragend. Alte Schlager haben die barocke Eleganz abgelöst, "Avanti, avanti" über das römische Dolce Vita und Henry Valentinos "Im Wagen vor mir" sind zu hören. Der russische Tanzmeister taucht im Anzug auf, an den Tischen geht es um den Unterschied zwischen deutschen Saunas und russischen Banjas, um Steuergesetze und günstige Lieferwege. "Ob Sanktionen oder nicht", sagt der russische Wirtschaftsprüfer Pawel Krajew, "fürs Geschäft sind Bälle immer gut."

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