Babys in Frankreich:Kann das wirklich Zufall sein?

Nouveau cas d 'enfant né ' sans doigts '

Dieser Junge wurde 2012 im französischen Département Ain mit nur einer Hand geboren. Jetzt kämpft Mutter Axelle Laissy für Aufklärung.

(Foto: Laurent Thevenot/dpa)
  • 2018 wurde in Frankreich groß über den Verdacht berichtet, dass in bestimmten Regionen ungewöhnlich viele Kinder mit fehlenden Gliedmaßen geboren werden und womöglich Umweltfaktoren die Ursache sind.
  • Eine betroffene Mutter hat jetzt Anzeige gegen unbekannt gestellt.

Von Nadia Pantel und Berit Uhlmann

Der Sohn von Axelle Laissy ist heute sechs Jahre alt. Er sei sehr pfiffig und lebenstüchtig, sagen die Eltern. Doch seine Geburt war mit einem Schock verbunden: Dem kleinen Louis fehlt die rechte Hand. Zufall, sagen die Ärzte, so etwas komme vor. Vier Jahre lang glaubt Laissy den Ärzten, dann sieht sie im Fernsehen einen Bericht über den Fall der sogenannten "Babys ohne Arme".

2018 wurde in Frankreich groß über den Verdacht berichtet, dass in bestimmten Regionen, vor allem auf dem Land, ungewöhnlich viele Kinder mit fehlenden Händen, Fingern oder Armen geboren werden und womöglich Umweltfaktoren die Ursache sind. Laissy ging nach dem Bericht zur Registrierungsstelle für Fehlbildungen Rhône-Alpes (Remera) in Lyon und meldete den Fall ihres Sohnes. Dort sei ihr dann gesagt worden, dass sie nicht die Erste sei, die melde, dass ihrem Kind die Hände fehlten. Sie lebt im Département Ain, im Südosten Frankreichs.

Die Mutter von sechs Kindern hat sich nun entschieden, für eine weitere Aufklärung der Fälle zu kämpfen. Sie hat eine Strafanzeige gegen unbekannt gestellt, wegen "fahrlässiger Körperverletzung". Es ist das erste Mal, dass eine Familie klagt, seit 2010 die ersten Berichte über regionale Häufungen von Fehlbildungen bekannt wurden. Anfang dieser Woche trat Laissy gemeinsam mit ihrem Anwalt Fabien Rajon vor die Presse. Die bisherigen Untersuchungen der Behörden halte er für "zu wenig ehrgeizig", sagte Rajon. Der Fall wird in Marseille vor Gericht gebracht, dort gäbe es "Spezialisten für Gesundheits- und Umweltfragen", so Rajon, er zweifle "an der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit" der bisherigen Recherchen der nationalen Gesundheitsbehörde Santé publique France. Rajon und Laissy gehen davon aus, dass sich andere Familien ihrer Klage anschließen werden.

In ganz Frankreich etwa 150 Fälle pro Jahr

Im Juli war der Bericht einer von Santé publique eingesetzten Expertenkommission veröffentlicht worden, der zu dem Schluss kommt, dass keine weiteren Untersuchungen nötig sind. Im Département Ain, wo die klageführende Laissy lebt, bewege sich die Rate der Fehlbildungen innerhalb des landesweiten Durchschnitts. Der Bericht sorgte für Empörung bei den betroffenen Familien. Auch weil die Kommission der bereits bekannten Einschätzung der Gesundheitsbehörde wenig hinzufügt.

Santé publique schätzt, dass es in ganz Frankreich etwa 150 derartige Fälle pro Jahr gibt. In Frankreich gibt es 101 Départements, statistisch gesehen müssten also pro Département ein bis zwei Fälle pro Jahr registriert werden. In Ain waren zwischen 2009 und 2014 sieben Kinder mit fehlenden Gliedmaßen geboren worden. Laut Statistik also nichts Ungewöhnliches. Allerdings kamen die Kinder in einem Umkreis von 25 Kilometern zur Welt. Eine zufällige Häufung, meint die Behörde.

Es wird "schwierig sein, die Ursache zu finden"

Die Leiterin der Expertenkommission, die Professorin für Gynäkologie Alexandra Benachi, stellt fest: "Statistisch und wissenschaftlich wird es sehr schwierig sein, die Ursache zu finden." Die betroffenen Mütter der Babys hatten während der Schwangerschaft weder Drogen noch Alkohol oder Medikamente konsumiert. Auch genetische Erkrankungen wurden nicht festgestellt.

Emmanuelle Amar, Chefin des Fehlbildungsregisters Remera, dem auch Laissy ihren Fall meldete, hat Verständnis für den Unmut der betroffenen Familien. Statistische Werte würden den Betroffenen aktuell nicht weiterhelfen, es gehe nicht darum, "Schuldige zu finden, sondern zu verstehen, was passiert", sagte sie dem Sender France Info. Amar war diejenige, die für das Département Ain Alarm schlug und auf die lokale Häufung von Fehlbildungen hinwies. Sie hatte in früheren Interviews Pestizide aus der Landwirtschaft, Giftmüll oder Probleme bei der Trinkwasserversorgung als mögliche Ursachen genannt, die weiter untersucht werden müssten.

Angeborene Anomalien werden nicht überall gut erfasst

Europaweit werden etwa zwei bis drei Prozent aller Babys mit einer Fehlbildung geboren. Bei etwa einem Drittel diagnostizieren Ärzte eine genetische Ursache. In bis zu zehn Prozent aller Fälle können sie Umweltfaktoren identifizieren. Dazu zählen Medikamente wie das Schlafmittel Contergan, das für Anomalien bei Tausenden Kindern in den 1950er- und 1960er-Jahren verantwortlich gemacht wird. Auch Drogen wie Alkohol und Kokain, manche Chemikalien und Strahlung können die Entwicklung des Ungeborenen stören. Es ist zudem bekannt, dass einige Infektionen während der Schwangerschaft - beispielsweise mit dem Zikavirus - das Kind schädigen können. Doch in jedem zweiten Fall können die Ärzte keine Ursache für die Fehlbildung benennen.

Dazu trägt auch bei, dass angeborene Anomalien nicht überall gut erfasst werden. In Frankreich gibt es sechs Fehlbildungsregister, die etwa 20 Prozent des Landes abdecken. In Deutschland sind es nur zwei, im Raum Mainz und in Sachsen-Anhalt. Nicht alle Einrichtungen erstellen ihre Statistiken nach denselben Kriterien. Ein Vergleich ist damit schwierig - und macht es noch wahrscheinlicher, dass Eltern allein bleiben mit der Frage: Warum?

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