Autoimmunkrankheit:Wenn der Kuchen nicht mehr schmeckt

Immer mehr Menschen erkranken an der Autoimmunkrankheit Zöliakie, die mit einer Unverträglichkeit von Getreide einhergeht.

Die Studie ließ Ärzte und Betroffene gleichermaßen aufhorchen: Die Autoimmunerkrankung Zöliakie, bei der der Organismus das in vielen Getreidearten steckende Protein Gluten nicht verträgt, hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen.

Auto-Immunkrankheit Zöliakie, Kuchen, Lebensmittelunverträglichkeit, Gluten; iStockphotos

Schmeckt gut, tut aber nicht gut: Menschen, die unter Zöliakie vertragen glutenhaltige Backwaren nicht.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Zudem behaupten US-Mediziner, die meist undiagnostizierte Krankheit des Dünndarms steigere das Sterberisiko der Patienten deutlich. Deutsche Experten hingegen widersprechen. Weizen, Gerste, Roggen oder Dinkel: Viele Getreidearten enthalten das Klebereiweiß Gluten. Genau diesen Stoff vertragen immer weniger Menschen.

Bei der Zöliakie, früher bei Erwachsenen Sprue genannt, löst das Protein eine chronische Entzündung der Darmschleimhaut aus. Dadurch nimmt der Organismus weniger Nährstoffe auf. Je nach Schweregrad kann die Erkrankung auch andere Organe wie Augen, Herz, Leber oder Nervensystem schädigen und das Risiko für verschiedene Krebsarten deutlich erhöhen, sofern die Betroffenen Gluten nicht meiden.

Blähbauch und Wachstumsstörungen

Oft zeigt sich die Unverträglichkeit im zweiten Lebensjahr, wenn Kinder zunehmend mit dem Getreidestoff in Kontakt kommen. Blähbauch, Durchfälle oder Wachstumsstörungen können auf die Unverträglichkeit hinweisen.

Wenn ein Antikörper-Test und eine Dünndarm-Biopsie den Verdacht auf Zöliakie bestätigen, sollten sich die Betroffenen lebenslang glutenfrei ernähren. Für Aufsehen sorgt nun eine Studie der amerikanischen Mayo-Kliniken. Darin verglichen die Mediziner Blutproben, die um 1950 von Mitabeitern einer Luftwaffenbasis in Wyoming entnommen wurden, mit denen heutiger vergleichbarer Personen.

Die Analyse des Serums auf Antikörper gegen Gluten ergab, dass die Erkrankung um das 4,5-Fache zugenommen hat. "Zöliakie ist in den letzten 50 Jahren sehr viel häufiger geworden, und wir wissen nicht warum", sagt Studienleiter Joseph Murray. "Etwas hat sich in unserer Umgebung verändert, das die Krankheit häufiger macht."

Das Resultat überrascht Wolfgang Holtmeier vom Krankenhaus Porz am Rhein nicht. "Es gibt eine enorme Zunahme", bestätigt der Gastroenterologe. "Das haben auch andere Studien gezeigt." Während man in Deutschland zurzeit davon ausgeht, dass jeder 250. Bundesbürger das Eiweiß nicht verträgt, liegt der Anteil in vielen Regionen der westlichen Welt inzwischen schon bei rund einem Prozent der Bevölkerung.

Das Chamäleon in der Medizin

"Das Chamäleon in der Medizin"

Experten rätseln über die Ursachen des Trends. Möglicherweise, so spekuliert Holtmeier, wachsen viele Kinder heute unter so hygienischen Bedingungen auf, dass die Körperabwehr nicht ausreichend trainiert wird. Denkbar sei aber auch, dass die Ernährung eine Rolle spiele. Der Dresdner Experte Jobst Henker verweist auf Studien, denen zufolge die Neigung zu der Krankheit davon abhängt, in welchem Alter Kleinkinder mit Gluten in Kontakt kommen, etwa über Säuglingsnahrung.

Er rät dazu, den kindlichen Organismus frühestens ab dem Alter von fünf Monaten in geringen Mengen mit dem Protein zu konfrontieren. Ähnlich alarmierend wie die Zunahme der Erkrankung ist das zweite Studienergebnis, das Murray im Fachblatt "Gastroenterology" vorstellt. Demnach lag im Lauf der fünf Jahrzehnte die Sterberate bei jenen Betroffenen, die nichts von ihrer Krankheit wussten, vier Mal höher als bei den gesunden Teilnehmern.

Da die Krankheit bei 80 bis 90 Prozent der Betroffenen unentdeckt bleibt, plädiert Murray dafür, Menschen routinemäßig auf die Unverträglichkeit zu untersuchen. Dabei stützt sich der Forscher allerdings auf äußerst magere Daten. Von den 9100 untersuchten Mitarbeitern des Luftwaffenstützpunkts hatten lediglich 14 eine unerkannte Zöliakie. Und nur bei sechs der neun verstorbenen Teilnehmer kannten die Forscher die Todesursache. Drei von ihnen starben an verschiedenen Krebsformen. "Diese dürftigen Daten lassen den Rückschluss der Forscher nicht zu", betont Holtmeier. "Ich sehe keinen Bedarf für Massenscreenings."

Zwar erhöht eine Zöliakie das Risiko für andere Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1. Und das Tumorrisiko steigt um das Vierfache, wenn die Betroffenen ihre Ernährung nicht umstellen. Meiden sie aber Gluten, ist die Krebsgefahr im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung kaum erhöht.

"Man sollte sich nicht verrückt machen lassen", betont Holtmeier. "Wer sich glutenfrei ernährt, ist erst einmal gesund." Sorge bereitet dem Mediziner dennoch, dass die Unverträglichkeit meist unerkannt bleibt. Wenn ein Patient etwa über Müdigkeit oder Bewegungsstörungen klagt, zu wenig Eisen hat oder unter Gelenkproblemen Anfälle leidet, denken die meisten Ärzte nicht unbedingt an eine Gluten-Unverträglichkeit. "Zöliakie ist das Chamäleon in der Medizin", sagt Holtmeier "Es gibt nichts, was nicht vorkommen kann. Deshalb wird die Krankheit oft übersehen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: