Süddeutsche Zeitung

Auswahl von Kindernamen:Schuld war ein klebriger Hollywood-Film

Eine Kino-Schmonzette, das familiäre Bekenntnis zum Hippietum, eine Oper: Eltern haben die absurdesten Inspirationsquellen, wenn es um die Namensgebung ihrer Kinder geht.

Süddeutsche.de-Mitarbeiter erzählen, warum sie heißen, wie sie heißen.

Die meisten Eltern wählen die Namen ihrer Söhne und Töchter nach dem Klang aus, hat eine aktuelle Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache ergeben. Dass manche Kinder ihren Namen anderen Gründen verdanken, hat eine nichtrepräsentative Umfrage in der Redaktion von Süddeutsche.de ergeben. Mitarbeiter erzählen, warum sie heißen, wie sie heißen - und wie es ihnen mit der Namenswahl ihrer Eltern so geht.

Hakan Tanriverdi, Mitarbeiter im Digital-Ressort

Ich bin das Subjekt in dem Satz, den sich meine Eltern überlegt haben. Wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, ob das alles Zufall war oder Strategie. Jedenfalls heiße ich Hakan, übersetzen könnte man das mit "der Herrscher". Das gleiche "kan" steckt übrigens in Dschingis Khan, aber das nur für den Hinterkopf. Meine Geschwister heißen übersetzt "die frohe Kunde" (Büsra) und "der Morgen" (Safak). Wenn uns meine Eltern also vor ein paar Jahren am Frühstückstisch sehen wollten, riefen sie sinngemäß "Am frühen Morgen (bekam) der Herrscher die frohe Kunde" durch die Wohnung. Als Start in den Tag fand ich das immer sehr amüsant.

Charlotte Haunhorst, Mitarbeiterin bei jetzt.de

Meine Eltern haben kurz vor der Geburt meines älteren Bruders einen Deal gemacht: Meine Mutter tauschte ihren bis dahin sehr klangvollen Nachnamen Morré gegen den meines Vaters, Haunhorst. Dafür durfte sie über die Vornamen der Kinder entscheiden. Nun gibt es bei mir in der Familie die Tradition, dass die Kinder immer noch zusätzlich die Namen der Großeltern bekommen. In meinem Fall führte das zu dem Ergebnis, dass ich jetzt Charlotte (nach Königin Sophie-Charlotte, der Namensgeberin von Charlottenburg, wir lebten damals in Berlin) Annemarie Erdmuthe heiße.

Charlotte ist zwar der Rufname, viele Lehrer wussten das allerdings nicht und zelebrierten es deshalb in der Schule, mich mit ganzem Namen aufzurufen. Damals fand ich das furchtbar, mittlerweile mag ich meinen Dreifach-Namen allerdings ganz gerne - Erdmuthe heißt nun wirklich niemand anders!

Jannis Brühl, Mitarbeiter im Wirtschaftsressort

Eigentlich ist es ganz cool, nach einem griechischen Dichter benannt zu sein. Abgesehen davon, dass man als deutsches Wohlstandskind nicht so richtig mit ihm mithalten kann. Jannis Ritsos war Sohn eines spielsüchtigen Weinbergbesitzers, dichtete gegen die Nazi-Besatzer, dann gegen die griechischen Faschisten, wurde mehrfach auf Inseln verbannt, seine Texte verboten und vom Komponisten Mikis Theodorakis vertont. Aber, hey: No pressure.

Auf was für Ideen die Eltern in den frühen Achtzigern halt so kamen, wenn sie nicht gerade demonstrierten oder Bio-Apfelsaft kauften, als der Rest des Landes noch gar nicht wusste, dass es so etwas gibt. Am ersten Tag als Praktikant bei SZ.de fragt ein Kollege skeptisch: "Jannis? Waren deine Eltern Hippies?"

Die fränkischen Verwandten machen aus dem Namen ein langgezogenes "Jaaanes", andere hören auch nach mehrfacher Belehrung noch "Hannes". Amerikanische Verkäuferinnen irritiert die Kreditkarte, weil sie "Janis" nur als Frauennamen kennen. "Dschännis Dschopplin" ist in Deutschland eine der häufigeren Verhunzungen, es gibt auch "Kandis" (?) und ein schnell ausgesprochenes "Jannis kann es". Am schönsten aber ist der Nickname aus dem Tipp-Spiel zur Fußball-WM: Jannistelroy.

Violetta Simon, Redakteurin in den Ressorts Panorama, Leben und Stil

Um zu verstehen, wie ich zu meinem Vornamen komme, muss man zunächst verstehen, wie meine Mutter zu ihrem kam; es ist nämlich derselbe. Meine Großmutter, damals jung, schwanger und kulturinteressiert, saß mit meinem Großvater in der Opernaufführung von "La Traviata", was so viel bedeutet wie "die Verderbte, die vom Wege Abgekommene". Aus irgendeinem Grund - waren es die Hormone, war es Mitleid - entflammte meine Großmutter für das Schicksal der Protagonistin, einer Kurtisane namens Violetta Valéry. Die Namensfrage war damit geklärt, das Töchterchen würde Violetta heißen, das italienische Wort für Veilchen.

21 Jahre später sah sich meine Mutter, damals jung, schwanger und eher pragmatisch veranlagt, ebenfalls der Frage gegenüber, wie ihr Kind nun heißen solle. Schnell kam sie mit meinem Vater überein, dass das Erstgeborene den Namen eines Elternteils bekäme. Ich wurde auf den Namen Violetta getauft. Mal abgesehen davon, dass ich bis heute nicht verstehe, wie man sein Kind nach sich selbst benennen kann: Es ist überhaupt nicht witzig, in den 70er Jahren zu heißen wie ein italienisches Gewächs, wenn man umgeben ist von Claudias, Petras und Susannes. Zumal es im Teenager-Alter am Telefon ständig zu lästigen Verwechslungen kam ("Hallo Violetta, ich bin's, erinnerst du dich? Centro Espanol? Ach, du kennst das Lokal nicht, warst nie dort? Wie bitte, die Mutter? Willst du mich auf den Arm nehmen? Du kannst auch einfach sagen, wenn du dich nicht mit mir treffen willst.")

Also beschloss ich, das Hinterteil meines Namens zu opfern - wie eine Eidechse, die ihren Schwanz abwirft. Aus Violetta wurde Vio, und damit ein neues Problem, wenn ich mich vorstellte: "Hä, wie heißt du - Bio?" Heute habe ich Frieden mit meinem Namen geschlossen, in vollem Umfang. Unter anderem, weil er mich an meine Großmutter erinnert. Violetta - klingt einfach netter.

Nakissa Salavati, Mitarbeiterin im Wirtschaftsressort

Als Kind wollte ich lieber auch Susanne oder Maria heißen, so wie meine Freundinnen. Ich fand es blöd, die einzige Nakissa weit und breit zu sein. Außerdem ist der Name ziemlich kompliziert: Wenn ich sage, wie ich heiße, fragen viele noch mal nach: Nakissa? Woher kommt das?

Nakissa ist eine Harfenspielerin aus einer alten persischen Sage. Mein Vater stammt aus Iran, in meinem Namen findet sich also auch der eine Teil meiner Herkunft. Dass meine Eltern sich den Namen nicht einfach ausgedacht haben, mussten sie nach meiner Geburt nachweisen. Das Orientalistik-Institut der Uni Freiburg hat bestätigt, dass der Name existiert, erst dann wurde meine Geburtsurkunde ausgestellt. Wenn ich meine Eltern frage, warum ich so und nicht anders heiße, nennen sie einen einfachen Grund: Nakissa klingt schön.

Mittlerweile mag ich meinen Namen. Es ist besonders, niemanden zu kennen, der so heißt wie man selbst. Wenn es mir zu kompliziert ist, mich als Nakissa vorzustellen, weiche ich auf meinen zweiten Vornamen aus, ein Klassiker: Anna, nach der Schwester meiner Oma.

Jonas Beckenkamp, Mitarbeiter im Sport-Ressort

Ich bin ein Kind der Achtziger, damals lebten meine Eltern in einer Art Kommune. Es gibt Dias (das war das Instagram dieser Zeit), auf denen sie mit Indianerbemalung, Latzhosen und Wollpullis ihre Späthippiephase zelebrierten. Und plötzlich war ich da. Markus, Stefan, Michael - diese Namen waren damals der dernier cri, so hieß jedes brave Balg. Klar, dass ich nicht so heißen durfte. Ohne Taufe und Verflechtungen in die familiäre Ahnengalerie nannten mich Mama und Papa Jonas. So wie dieser Typ aus der Bibel, der vom Wal geschluckt wurde. Ich kannte diese Geschichte nicht, weil wir mit Religion nie was am Hut hatten. Bei uns zu Hause galt mein Name wohl als pfiffig.

Meine Krabbelstuben-Kumpels kamen aus ähnlichen Verhältnissen wie ich, es war das antiautoritäre Soziotop einer bayerischen Kleinstadt. Sie trugen ebenso obskure Namen: Wanja, Raphael, Carlos. Mir machte mein Name nie was aus, denn er hatte praktische Vorteile: Egal, wo ich hinkam - es gab nie einen zweiten Jonas. Auch im Ausland klappte es meistens, schließlich ist mein Name kein unüberwindbares Sprachhindernis wie etwa Volker, Luitpold oder Mechthild. Das muss man sich mal vorstellen: "So, what's your name? - "Äh, Luitpold."

Und noch was gefällt mir an meinem Namen: Jonas klingt in jedem Alter irgendwie passend. Als Baby kann man astrein Jonas heißen, aber auch als Heranwachsender, pickeliger Teenie oder Thirtysomething wirkt es nicht bescheuert. Das lässt sich etwa von Dieter, Alfons oder Gertrud nicht sagen. "Na kleiner Alfons, willst' noch mehr Brei?" - das ist doch Quatsch. Insofern: Danke, liebe Eltern! Namensgeberisch wart ihr echte Visionäre.

Lilith Volkert, Mitarbeiterin im Politik-Ressort

Meine Mutter wollte immer eine Tochter haben, die Paula heißt. Meinem Vater gefällt dieser Name aber überhaupt nicht. Sie haben sich dann auf Lilith geeinigt, einen Namen, den meine Mutter kurz vor meiner Geburt bei der Schwangerschaftsgymnastik aufgeschnappt hatte und den beide irgendwie schön fanden.

Dass Lilith eine Ikone der Frauenbewegung ist, soll dabei keine Rolle gespielt haben. Mein Vater bestreitet bis heute, überhaupt davon gewusst zu haben. Mir gefällt es, einen seltenen Namen zu haben, der sich auch gut als Smalltalk-Thema eignet ("Was, Adams erste Frau? War das nicht Eva?" "Nein, das war die mit der Rippe. Lilith wurde gleichzeitig mit Adam aus Lehm geschaffen, später aber aus dem Paradies geworfen, weil sie sich nicht unterordnen wollte.")

Meine Mutter hat bei meinen Schwestern noch zweimal versucht, ihren Lieblingsnamen durchzusetzen, ohne Erfolg. Wir hatten dann aber immerhin eine Katze namens Paula.

Thierry Backes, Mitarbeiter in den Ressorts München, Region, Bayern

Vor dem Emirates Stadium in London, der sportlichen Heimat des FC Arsenal, haben sie ihm ein Denkmal gebaut. Eine lebensgroße Bronzestatue für den erfolgreichsten Torschützen der Vereinsgeschichte. Nun wäre es töricht, darauf zu hoffen, dass jeder etwas mit dem Namen Thierry Henry anzufangen weiß. Und wer den Fußballer nicht kennt, der hat vermutlich auch nie etwas von Thierry Roland gehört, dem inzwischen verstorbenen Gerd Rubenbauer des französischen Fernsehsenders TF1. Oder von Thierry Boutsen, dem langjähren Formel-1-Fahrer aus Belgien. Zugegeben: Mein Vorname ist nicht der geläufigste, zumindest nicht in Deutschland, und ich habe mich an alle möglichen Aussprachen gewöhnt.

Doch wer Thierry googelt, der trifft immer auf: einen Mann. Vielleicht wissen die Menschen in den PR-Agenturen nicht, wie man Google bedient, vielleicht glauben sie intuitiv an die feminine Ausstrahlungskraft des Ypsilons am Ende. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft Post für Frau Backes in meiner Mailbox landet. Und gleich wieder gelöscht wird.

Oliver Klasen, Mitarbeiter in den Ressorts Panorama, Leben und Stil

Es gibt ja dieses Lied von Wiglaf Droste. "Warum heißen eigentlich alle Oliver?" Droste ist als scharfer Satiriker bekannt, der manchmal ein wenig zu sehr draufhaut. Das tut er auch hier, das Lied ist pure Verachtung auf drei Minuten und 20 Sekunden. Die Olivers dieser Welt, das seien Menschen, die Lehrern die Tasche hinterhertragen und es auch ansonsten im Leben nicht draufhaben.

Selbst wenn es bei Werder Bremen Ende der Achtziger mal einen Torwart gab, der Pannen-Olli gerufen wurde, muss ich das natürlich aufs Schärfste zurückweisen. Aber Droste trifft schon einen Punkt, denn tatsächlich gibt es in meiner Generation - ich bin 1979 geboren - eine auffällige Häufung von Olivers. Allein zwei meiner besten Freunde heißen so und auch im Job sind mir schon ein paar Namensvetter untergekommen.

Woran liegt das? Die überlieferten Bedeutungen des Namens - wahlweise kriegerisches Naturwesen oder Olivenbaumpflanzer - sind nicht so aufregend, als dass sie seine Beliebtheit erklären könnten.

Meine Theorie: Schuld ist ein Hollywood-Film namens Love Story, gedreht im Jahre 1970. Darin taucht ein gewisser Oliver auf und verliebt sich in Jenny. Ein ziemlich klebriges Melodram. Der Taschentuch-Verbrauch in den Kinosälen war hoch und kaum eine Klischee wurde ausgelassen. Er ein reicher Sohn aus konservativem Elternhaus, Jura auf dem Elitecollege. Sie ein schönes, musisch begabtes Mädchen aus einer armen Einwandererfamilie. Er überwirft sich mit seiner Familie, sie bekommt eine seltene, unheilbare Blutkrankheit und stirbt am Ende in seinen Armen.

Meine Mutter sah diesen Film im Passage-Kino zu Saarbrücken, irgendwann 1977 oder 1978 - so genau weiß sie das nicht mehr. Sie weiß aber noch, dass sie vollauf begeistert war von eben diesem Oliver und stundenlang kein anderes Thema mehr kannte. Mein Vater brummte zustimmend und wusste in diesem Moment schon, dass er bei der Namenswahl, jedenfalls wenn es ein Junge werden sollte, nicht den Hauch eines Vetorechts haben würde.

Elisa Britzelmeier, Mitarbeiterin am Newsdesk

Meine deutsch-italienischen Eltern hatten bei meinem Namen ein wahrhaft völkerverständigendes Anliegen. Sie waren sehr bemüht, einen Namen zu finden, den Deutsche und Italiener intuitiv richtig und gleich aussprechen würden - nachdem sie festgestellt hatten, wie viele Stolperfallen italienische Namen für Deutsche mit sich bringen können. Und anders herum. So wird aus einer klangvollen-milden "Giulia" in Deutschland schnell eine rabiat-brachiale "Tschulia", von der nicht klar ist, wie man sie schreibt. Ganz zu schweigen von verwirrenden Namen wie Andrea, Simone oder Nicola, die in Deutschland Mädchennamen, in Italien aber ganz klar Jungs vorbehalten sind.

Elisa schien da eine gute Lösung. Buchstabieren muss ich zumindest meinen Vornamen so gut wie nie. Für ein bisschen Verwirrung sorgte er dennoch. Elisa ist ein klassischer italienischer Name, war aber in den achtziger Jahren zumindest bei uns daheim im Allgäu noch nicht sonderlich gebräuchlich. Unzählige Male musste ich erklären: "Nein, nicht Lisa, Eeeeelisa, und ja, ohne -beth, einfach nur Elisa". Als Kind mochte ich meinen Namen darum nicht. Inzwischen finde ich ihn toll - und praktisch.

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