Außenansicht:Wir brauchen mehr Glück!

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Wir sind eine reiche, aber unzufriedene Nation. Warum Deutschland eine Glücksepidemie braucht. Und einen Minister für Zufriedenheitsfolgeabschätzung.

Eckart von Hirschhausen

Was ist der Unterschied zwischen einem Mann mit sieben Kindern und einem Mann mit sieben Millionen? Der mit den Millionen will weitere. Geld erzeugt psychologisch nie das Gefühl von Sättigung. Je materialistischer Menschen eingestellt sind, desto unzufriedener sind sie.

Geld macht auf Dauer nicht glücklich. Was wir brauchen, ist Gemeinschaft und Sinn. (Foto: Foto: iStockphotos)

Wir sind als Nation dreimal so reich wie 1950, wir sind keinen Deut zufriedener geworden. Deutschland ist eine der reichsten Nationen der Welt, aber auf der Liste der glücklichsten Länder auf Platz 35. Irgendetwas Grundlegendes machen wir falsch.

In Deutschland ist es ein Ausweis von Intelligenz, etwas zu meckern zu finden. Und sei es nur über die Mentalität der Deutschen. In den Sommerloch-Feuilletons dieser Republik wurde wiederholt lamentiert, dass gerade zu viele Glücks-, Philosophie und Erziehungsratgeber gekauft würden. Die Leser hätten keine eigene Meinung mehr, die Philosophie würde banalisiert und die positive Psychologie würde uns totalitär zum Glück zwingen wollen.

Zwei Gegenfragen: Könnte es nicht sein, dass die Buchkäufer auf der Suche nach Neuorientierung im Kopf flexibler sind als Redakteure, Finanzexperten und Politiker? Und: Warum nennen wir Leute, deren Prognosen so zuverlässig sind wie das Wetter und die hypnotisiert auf Wachstumszahlen starren eigentlich "Wirtschaftsweise"?

Die Finanzkrise ist eine Sinnkrise, und die wird nicht behoben, indem irgendwas wieder um ein paar Prozente nach oben geht. Viel bedrohlicher finde ich, wie wenig die Wirtschaftselite und die Politik die Ergebnisse der Psychologie und Neurowissenschaft der letzten zehn Jahre zur Kenntnis nimmt und zur Grundlage intelligenterer Entscheidungen macht. Weise sind für mich Menschen, die uns an ein paar grundlegende Dinge erinnern: das Geld nicht glücklich macht, wohl aber Gemeinschaft und Sinn.

Unbegrenztes Wachstum ist eine kranke Ideologie. Im Körper hat das einen Namen, wenn etwas unbegrenzt wächst: Krebs! Die Logik der Finanzkrise erinnert an den Witz: "Warum strickst du so schnell?" Anwort: "Ich muss fertig werden, bevor die Wolle alle ist."

Paul Watzlawick empfahl: "If something does not work - do something different." Stattdessen erleben wir gerade wieder ein "mehr desselben". Wie wenig die Wirtschaftswissenschaften erklären kann, ist in den letzten zwölf Monaten doch jedem klar geworden. Wenn Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, warum ist dann guter Rat teuer? Die Angebote übersteigen immer die Nachfrage!

Schnellkurs in "Glück"

Glück ist im Deutschen ein sehr unglücklicher Begriff, weil er so viele Bedeutungen hat. Hier gemeint sind subjektives Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit. Die "Glücksforschung" im engeren Sinne ist die positive Psychologie. Sie in einen Topf mit esoterischem "positiv Denken" zu werfen, ist so sträflich wie einen Astrophysiker nach seinem Sternzeichen zu fragen. Ihre zentrale Idee ist gerade nicht eine rosarote Brille und Lächeln um jeden Preis sondern ein gelingendes Leben im aristotelischen Sinne. Martin Seligman fasst konkret die Bereiche darunter: Genießen können, Sinnerleben und Engagement für sich und andere.

Der fundamentale Unterschied zwischen Geld und Glück: Glück ist ansteckend. Geld nicht. Im Gegenteil werden Menschen nachweislich egoistischer, sobald Geld als Belohnung ins Spiel kommt. Helfen Sie ihrem Nachbarn beim Umzug lieber aus "Nettigkeit" oder wenn er acht Euro die Stunde dafür bietet.

Das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaflter, der egoistische "homo oeconomicus", ist einfach falsch. Demnach würden wir lieber bezahlt als unbezahlt helfen. Reale Menschen sind weder rational noch herzlos. Ihnen sind Kooperation, Fairness, soziale Anerkennung und persönliche Bindung wichtig. Ich sehe schon, wie die unsichtbare Hand des Marktes abwinkt: wie will man das denn quantifizieren!

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die wichtigsten Dinge über Glück.

Die teuersten Dinge der Welt
:Luxus um des Luxus' Willen

Vergoldete Handys, Hüte aus Seide und Knöpfe aus Diamanten: Was nicht teuer ist, wird teuer gemacht. Eine Übersicht über Luxusgüter, die die Welt nicht braucht. Erst recht nicht in Zeiten wie diesen.

1. Glück ist messbar und eine objektive Dimension unserer Erfahrung. Der Wohlstand eines Landes drückt sich in sozialem Kapital aus, dem Vertrauen der Menschen untereinander, dem Anteil gemeinnützig Engagierter, dem Anteil psychisch Gesunder, Zugang zu Bildung und nicht zuletzt an der Menge der Kindern. Wir sollten die Entwicklung der Zufriedenheit im Land ernster nehmen als das Bruttosozialprodukt. Fortschrittliche Wirtschaftswissenschaftler wie Daniel Kahnemann, Richard Layard, Karl-Heinz Ruckriegel oder Martin Binswanger entwickeln neue Indikatoren der "happiness economics".

Glück ist gesund. Unser subjektives Wohlbefinden hat einen messbaren Einfluss auf unsere körperliche Gesundheit. (Foto: Foto: iStockphotos)

2. Glück breitet sich aus, in Netzwerken und ist kein Nullsummenspiel. Damit jemand glücklich ist, muss kein anderer unglücklich sein. Glück kommt selten allein, wir können uns nicht selber kitzeln. Wer glücklich ist, hat nicht nur selbst etwas davon, sondern auch die Familie, Freunde, Kollegen und die ganze Gesellschaft profitieren.

3. Glück ist gesund. Unser subjektives Wohlbefinden hat einen messbaren Einfluss auf unsere körperliche Gesundheit. Nachweislich sinken die Risiken für Herzinfarkte, Infekte, Diabetes und Depression, wenn Menschen sich zufriedener fühlen. Daher ist es ein dringendes Gebot der Gesundheitspolitik und der Forschung, diese Ansätze ernst zu nehmen und zu verfolgen. Die größten und teuersten Glücks- und Gesundheitskiller sind seelische Erkrankungen, chronische Schmerzen und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden (Arbeitslosigkeit).

4. Unglück kann auch gesund sein. Schicksalsschläge haben bei den meisten Menschen langfristig zur Folge, dass sie sich besser fühlen als vorher. Überwundene Krisen machen gelassener, zuversichtlicher und zufriedener. Der Ansatz der "negativen" Psychologie, über erlittene Traumata möglichst ausführlich zu reden um sie zu "verarbeiten" oder gar Dinge aus einer fiktiven "Verdrängung" zu befreien, ist in vielen Fällen kontraproduktiv.

5. Glück hat Nebenwirkungen. Man kann "zu glücklich" sein. Ein Schuss Pessimismus schützt vor leichtsinnigen Fehlentscheidungen und Kurzschlusshandlungen. Unzufriedenheit ist der Motor für Veränderung, Kunst und Weiterentwicklung.

Drei Ideen der konkreten Umsetzung: Ein Lehrstuhl für Positive Psychologie! Deutschland hat eine der wichtigsten Weiterentwicklungen bisher komplett verpasst. Der einzige deutschsprachige Forscher auf dem Gebiet ist Österreicher und arbeitet in der Schweiz, weil er in Düsseldorf nicht weiterkam.

6. Glück ist keine Privatangelegenheit. Glück kommt von innen und außen. Unsere Gesellschaft braucht dringend eine neue Vorstellung von Gemeinwohl, um den Menschen ein gemeinsames Ziel jenseits der hedonistischen Tretmühle zu geben.

7.Glück kann man lernen.

Wir haben sowohl in der Forschung als auch in Prävention und Behandlung psychisch Kranker massiven Nachholbedarf. Momentan erfährt man als Patient erst etwas von einfachen und wirksamen Methoden der Stressbewältigung und Stimmungsmanagement, wenn man ausgebrannt in eine Klinik kommt. Warum nicht in der Schule? Wenn derzeit so viel von "Bildungsversagen" die Rede ist, wo bleibt die "Herzensbildung"?

Glück als Schulfach!

Deshalb: Glück als Schulfach! Kinder können den Umgang mit eigenen Gefühlen, Konflikten und Hilfsbereitschaft früh lernen und üben. Wenn wir etwas fürs Leben brauchen, dann doch, wie man Freude am Leben hat, seine Stärken kennt und nutzt, Freundschaften aufbaut, sich in Familie, Schule, Verein, Gemeinde, Chor oder Orchester dazugehörig fühlt. Wie man seinen Geist anstrengt, konzentriert und wieder entspannt, zum Beispiel durch Yoga und Achtsamkeitsmeditation. Modellprojekte für Glück als Schulfach gibt es bereits in England, Österreich und Heidelberg.

Drittens sollte Politik danach beurteilt werden, inwieweit sie Glück mehrt und Leiden mindert. Wann gibt es einen Minister für seelische Gesundheit und Zufriedenheitsfolgeabschätzung, der Gesetzesvorlagen darauf prüft, ob sie zum "größten Glück der größten Zahl" beitragen und Unsinn wie Pendlerpauschalen und Abwrackprämien verhindert? Wer hat das "Bruttosozialglück" im Blick? Wenn wir unsere Alten in Heime stecken, gilt das als Steigerung des Bruttosozialproduktes - wenn sie sich zuhause wohl fühlen, nicht!

So weit müssen wir nicht schauen nach "Glücksrezepten": Dänemark ist eins der glücklichsten Länder der Welt, und selbst die Schweizer und Österreicher sind zufriedener als wir. Die häufigste Frage auf der Erde ist: zahlt das die Kasse. Und die häufigste Frage im Himmel könnte sein: Warum ward ihr auf Erden so ernst, was habt ihr eigentlich geglaubt, worum es geht?

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