Aufräum-Beratung:Prinzip Schlampermäppchen

Aufräumen bei Familie Cadeggianini

Familie Cadeggianini hat sieben Kinder. Ihr Schrank sieht aus wie ein Triptychon des Chaos.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Alles rein und Tür zu - bisher haben die sieben Kinder unseres Autors so aufgeräumt. Oder gar nicht. Kann eine Kleiderschrankberaterin helfen?

Von Georg Cadeggianini

Als die drei raumhohen Schranktüren im Zimmer meiner 14-jährigen Tochter Elena aufschwingen, breitet sich andächtige Stille aus. Vor uns: ein Triptychon des Chaos. Blusenärmel hängen fachübergreifend nach unten, Hosen auf links, einzelne Socken. Mir sticht das sich Fach für Fach wiederholende Höhenprofil ins Auge, in dem sich die Wäscheknödel von hinten nach vorne drängen. Zunächst steil gegen die Rückwand gepresst verliert er schnell an Höhe und läuft dann flach bis zur Einlegebrettkante aus. Der Graph der Unordnung. "Oha", sagt Bianca Stäglich.

Bianca Stäglich ("Hinter dem Stapel - so was gibt's bei mir nicht") ist Kleiderschrankberaterin. Sie kann Pullis in der Luft falten, und zwar so, dass die Sichtkante immer exakt dieselbe Breite hat. Sie kommt zu anderen Menschen nach Hause und räumt deren Kleiderschränke auf. Es ist neun Uhr morgens. Heute ist Bianca Stäglich bei uns. Sie hat sich auf diesen Tag keine anderen Termine gelegt.

Das Thema Ordnung zieht sich durch unseren Alltag in einer Wellenbewegung aus Anfall und Rückfall. Unsere sieben Kinder, von zwei bis 16 Jahre, sind sich sicher, in Ordnung und Aufräumen zwei natürliche Feinde der Kindheit erkannt zu haben. Wie Haarewaschen oder Klavierüben. Es gibt Tage, da ist der einzige Fleck freien Kinderzimmerbodens das Kreissegment, das sich dadurch ergibt, dass ich die Tür aufschiebe.

"Ich habe psychologische Tricks", verspricht die Aufräumerin

Drei unserer Kinder sind Jungs, die geschätzt hundertmal am Tag ihre Fußballbildchen neu sortieren - nach Nummern, Glitzis, doppelten -, bis sie dann in der Hosentasche mitgewaschen werden. Gionatan, acht Jahre alt, ist gewillt, das Prinzip Schlampermäppchen auf den gesamten Alltag auszuweiten. Und unser Siebenjähriger wünscht sich zum Geburtstag einen Laubbläser. "Genau so einen, wie der Hausmeister hat", sagt Jim, "zum Aufräumen für die Spielsachen."

Bianca Stäglich, 43 Jahre alt, sitzt in unserer Wohnküche. Ohne Laubbläser. "Ich habe psychologische Tricks", sagt sie. Es ist das erste Mal, dass sie Kinder berät.

Ordnung ist momentan heiße Ware. Vom Gerümpel des Alltags ist auf aktuellen Sachbuchtiteln die Rede, von der Kunst des achtsamen Putzens und der unterschätzten Wechselwirkung zwischen der Welt der Dinge und der eigenen Seele. Der größte Aufräum-Guru derzeit, die Japanerin Marie Kondo, verspricht mit ihrem "Magic Cleaning" gar lebensverändernde Maßnahmen (und hat tatsächlich ein paar handfeste Tipps auf Lager: "Zeigen Sie Ihrer Familie nie, was Sie wegwerfen wollen.")

"Was ich überhaupt nicht mag", sagt unsere Magic Bianca, "ist, wenn Dinge oben auf dem Kleiderschrank stehen." Sie spricht von der Luft zum Atmen, die man auch Möbelstücken einräumen müsse, von Freiraum, vom Schrankfrieden. Wir sollten beginnen.

In unserem Schrank gibt es jetzt einen Stapel mit Streifen-Shirts

Raum eins. Bongotrommeln stehen auf dem Kleiderschrank, ein Tischkicker und mehrere noch nicht ganz fertiggestellte Lego-Raumschiffe. Hier wohnen Laubbläser-Jim und Schlampermäppchen-Gionatan. Die Schranktüren sind mit extrastarken Magnetschnappern ausgestattet. Zwölf Kilo Haltekraft. Sonst standen sie immer offen. Das untere Drittel des Schranks ist mit einem Holzgitter abgesperrt, dahinter: Faschingsklamotten.

Aufräumen bei Familie Cadeggianini

Nach dem Aufräumen liegen alle Kleider in Reih und Glied. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Bianca Stäglich zupft an Kleidungsstapeln, zieht eine Hose heraus: "Damit wärst du ziemlich up to date im destroyed look." Jim, sechster von sieben, dessen Kleidung zu 95 Prozent aus Hand-me-down-Wäsche besteht, schaut verständnislos durch sie hindurch. Wie ein Casino-Croupier das Kartenblatt blättert Bianca Stäglich nun die T-Shirt-Stapel durch, mit schnellen Bewegungen sortiert sie die Stücke nach Farben. "Legt ihr viel Wert auf Stil?" Gionatan: "Nur bei Sportklamotten." "Legt ihr auch ein bisschen Wert auf Hosen- und T-Shirt-Farbe?" Gionatan: "Nur bei Sportklamotten." Bianca Stäglich tritt einen Schritt vom Schrank zurück und betrachtet ihr Werk. Es gibt jetzt einen extra Stapel mit gestreiften T-Shirts. "Okay", sagt sie zu Gionatan: "Aber wenn du zum Beispiel sagst: Heute habe ich Bock auf Streifen?" "Dann", sagt er, "nehme ich ein Juventus-Trikot."

Bianca Stäglich richtet sich an mich: "Wird wirklich alles von diesen Verkleidungssachen benötigt?" Ich wiege den Kopf hin und her. Sie schlägt vor, Accessoires in Aufbewahrungsboxen zu separieren. Ebenso die Judoanzüge und Pyjamas - klassische Rausrupfartikel. "Und unbedingt undurchsichtige Boxen wählen. Das strahlt Ruhe aus." In der Kiste dürfe sogar ein bisschen Unordnung herrschen.

Dann kommt etwas, was als "umgekehrter Krokodilsgriff" in unseren Anziehalltag Einzug halten wird. Bianca Stäglich stellt sich neben den soeben fein auf Sichtkante geordneten Hosenstapel. Sie fordert Jim auf, die petrolfarbene Jeans herauszunehmen. Heimtückischerweise liegt diese aber im unteren Fünftel des Stapels. Jim, frei von jeglichem Problembewusstsein, greift die Hosenfalte mit der rechten, drückt mit der linken Hand gegen den darüber liegenden Stapel und reißt. "Und genau das", sagt Magic Bianca, während die Hosen purzeln, "ist falsch." Mit schnellen Bewegungen stellt sie die ursprüngliche Ordnung wieder her und zeigt, wie es richtig geht: Sie fährt tief mit beiden Armen oberhalb der Wunschjeans hinein, klappt die Ellenbogen auseinander, wobei die Fingerspitzen zunächst zusammenbleiben, nimmt dann mit der unteren Hand die Hose heraus. Der Krokodilsarm schließt sich wieder. Alles fein gestapelt. Bianca Stäglich macht ein Siehst-du-jetzt-wie-das-geht-Gesicht. Jim kickt einen herumliegenden Torwarthandschuh durch den Raum. "Kommst du jetzt auch, wenn wir uns morgens anziehen?"

Ich bin der festen Überzeugung, dass im Thema Ordnung eine ganz eigene Facette des Spannungsfelds "Kinder und Karriere" lauert. Zu Hause sind Eltern oft toujours damit beschäftigt, gegen das Chaos anzugehen. Küche, Spielzimmer, Kleiderschrank - ständig müssen wir um Ordnung streiten. Und im Job sollen wir dann plötzlich umschalten und irre kreativ sein.

"Wenn du 25 gleiche Kleiderbügel siehst, herrscht schon mal Friede."

Wir gehen Zimmer für Zimmer ab. Unsere Schrank-Hilfe zupft und faltet, glättet und stapelt. "Der Erfolg des Tages entscheidet sich am Kleiderschrank." Im Zimmer des elfjährigen Lorenzo, der immer mal wieder Spießer-Anfälle hat, in denen er etwa alle Pausenbrotboxen in unserer kinderbettgroßen Schublade nach Farben sortiert, entfährt Bianca Stäglich ein Ausdruck des Entzückens. "Und die Pokale: in Reih und Glied", sagt sie. "Sehr schön." Sie dreht sich um zu den Laubbläser-Schlampermäppchen-Rabauken. "Wenn ihr mehr Ordnung haltet, dann habt ihr mehr Zeit zum Spielen." Das sind jetzt wahrscheinlich ihre psychologischen Tricks.

Schon sind wir im Elternschlafzimmer. Was sie oft zu hören bekommt, sagt Bianca Stäglich, ist, dass es schon sehr intim sei, in den Kleiderschränken fremder Leute zu wühlen. "Ich sehe das ganz anders. Ich bin einfach da, um zu helfen." Büro und privat - sie sagt business und casual - trennt sie bereits im Schrank. Die Zusatzaufhänger, damit die Stücke im Kaufhaus nicht schief hängen: "Bitte sofort rausschneiden." Meine Lieblingshose? "Irgendwas zum Malern braucht man auch mal." Was ihr ganz wichtig ist: gleiche Kleiderbügel. "Wenn du den Schrank aufmachst und 25 gleiche Kleiderbügel siehst, dann herrscht schon mal Friede." In unserem Schrank hängen 53 Bügel. Es ist schwierig, drei Gleiche zu finden.

Es wird ernst: "Letztlich ist der Kleiderschrank nur das Tüpfelchen auf dem i. Ordnung ist eine Einstellungssache. Und Eltern sollten Vorbild sein." Meine Frau sagt, ihres Erachtens sei das eine Charakterfrage. Es gebe nun mal Zwischenlager- und Endlager-Typen. Menschen, die Häufchen machen, und solche, die wirklich aufräumen. "Endlager-Typen", wiederhole ich leise. Ich bin wohl eher ein Zwischenlagertyp, ein Häufchenmacher. "Nicht schlimm", meint meine Frau. "Hauptsache, du weißt, wo du suchen musst."

Unser Ordnungstrick? Jedes der sieben Kinder hat seine eigene Sockenfarbe

Bianca Stäglich stellt sich schnell auf ihre Kunden ein: Von "In den Schrank kommt nur Gebügeltes" dauert es nur ein paar Kleidungsstücke, bis sie sagt: "Morgens beim Duschen mit ins Bad nehmen, vielleicht hängt sich's ja aus." Elena steht im Türrahmen: "Papa, haben wir tatsächlich ein Bügeleisen?" Ich verspüre große Lust auf einen doppelten Krokodilsgriff.

Bianca Stäglich

Bianca Stäglich ist Stylistin und hilft unter anderem beim Sortieren von Kleiderschränken. Sie sagt: "Ordnung ist Einstellungssache."

(Foto: Bianca Stäglich)

Ich erzähle der Beraterin von unserem Sockentrick: Vor ein paar Monaten hat jedes Kind seine eigene Sockenfarbe bekommen. Wir hatten einfach keine Lust mehr auf dieses Socken-Parship: Alle elf Minuten ein Pärchen finden.

Nach drei weiteren Stunden sind auch bei Elena (Sockenfarbe: hellgrau) zwei Altkleider-Säcke voll ("Das bist nicht du"). Und sie, die den ganzen Tag komplett auf Durchzug zu schalten schien, kommt mit einem Mal in eine Art Aufräum-Rappel-Modus: Plötzlich werden "Weiß-nicht-wohin-Schachteln" aufgelöst (direkt in den Müll) und ganze Regalfächer entmistet. "Das ist befreiend", gibt sie irgendwann zu.

Als Bianca Stäglich zur Tür raus ist, ziehen wir Bilanz. "Das hält zwei Tage. Länger nicht", sagt Camilla. "Nur weil etwas kaputt ist, muss man es doch nicht wegwerfen", sagt Gionatan. "Wenn das hier Regel wäre, könnte ich eine Menge wegwerfen." Und Elena: "Als sie mich das dritte Mal gefragt hat, warum ich keine Ordnung halte, fand ich das irgendwie unangenehm."

Später am Abend ruft mich Jim zu sich ans Bett, er wisse jetzt, was er später mal werden will: Unordnungsexperte. Den ganzen reichen Leuten, denen werde doch irgendwann schlecht in ihrer Ordnung. "Und dann komme ich." Sicher, er sei nicht ganz billig, dafür aber schnell und gründlich. "Und: Ich mache eine ganz natürliche Unordnung." Ich streiche ihm über die Wange. Den Pyjama hat er doppelt verkehrt herum an. Das Waschzettelchen ist außen - und vorne.

Zwei Tage später muss ich morgens schnell los. Mein Geldbeutel ist leer. Ich rase ins Schlafzimmer, reiße die Schublade auf und wühle mich kraftvoll durch die Unterhemden meiner Frau. Irgendwo tief unten knistert es, ich rupfe drei Fünfziger heraus. Als ich die Schublade wieder zudrücken will, bleibt mein Blick an dem Fach neben dem Unterhemdenberg hängen. Ist alles sehr ordentlich. Noch.

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