Auf Skiern über die Alpen:Nur nicht sitzen bleiben

Wie viel Frieren hält man aus? Bernd Ritschel über Verzicht und Ausdauer auf einer Ski-Transalp.

Birgit Lutz-Temsch

17 Tage, 325 Kilometer, 20.000 Höhenmeter - das ist die Bilanz von Bernd Ritschel, der im vergangenen März zusammen mit drei Freunden die Alpen auf Skiern durchquert hat. Das Quartett lieferte mit seiner Tour die erste winterliche Alpenüberquerung in dieser Vollständigkeit - vom Gardasee zum Kochelsee . Am 12. November startet der Bergfotograf eine bundesweite Vortragstournee über seine Tour.

Auf Skiern über die Alpen: Sturm an der Inneren Quellspitze.

Sturm an der Inneren Quellspitze.

(Foto: Foto: Bernd Ritschel)

SZ: In Zeiten, in denen es im Bergsteigen viel um Geschwindigkeitsrekorde an spektakulären Bergen geht, haben Sie sich einem der naheliegendsten Ziele zugewandt und sind einfach im Winter über die Alpen - warum?

Bernd Ritschel: Ich wollte gerade diesem Speed-Trend etwas entgegensetzen. Ich bin in meiner Jugend selbst schnellen Begehungszeiten hinterher gerannt. Aus dieser Zeit habe ich die wenigsten Erinnerungen, weil wir das Erlebte nicht wirken ließen. Also sagten wir: Bitte, wenn jetzt alle rennen, dann machen wir was Schönes. Außerdem war es spannend, die Alpen als Erste in dieser Länge zu queren. Darin liegt meiner Meinung nach die Zukunft des Bergsteigens: im kreativen Bereich, im abstrakten Denken, im Angehen neuer Überschreitungen. Irgendwann wird jemand Lhotse, Nuptse und Everest überschreiten. Oder man fährt nicht mehr an Weihnachten zum Cerro Torre nach Patagonien, weil man das schon immer so macht, sondern im August - bei ganz anderen Schnee- und Wetterverhältnissen. Das sind Projekte, die den Alpinimus weiterbringen: die Kreativität und das Umdenken von alten, traditionell eingeübten Vorgehensweisen am Berg. Das Finden neuer Routen.

SZ: Wie haben Sie Ihren Weg über die Alpen gefunden?

Ritschel: Einer von uns ist Diplom-Geopgraph, und wir haben jahrelange Touren-Erfahrung. Wir können Karten lesen, kennen die ganzen Alpen auf Skiern. Trotzdem haben wir drei Monate lang intensiv Karten studiert. Die Herausforderung war, einzelne Teiletappen wie ein großes Puzzle zu einer Gesamtdurchquerung zusammenzufügen.

SZ: Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ritschel: Von uns geht sowieso jeder 30 bis 50 Skitouren pro Winter. Wichtig war eine leichte Ausrüstung, die wir während der Trainingstouren immer wieder optimiert haben. Wir haben meistens in Hütten oder deren Winterräumen übernachtet. Die sind in den südlichen Alpen anders als in den Nordalpen. Da gibt es weder Ofen noch Holz -nur ein paar Lager, ohne Decken. Da drin hat es minus zehn, zwölf Grad. Die Kunst der Entscheidung ist dann: Nehme ich einen Schlafsack mit - der wiegt anderthalb Kilo und ich muss ihn 17 Tage tragen, brauche ihn aber nur in drei Nächten - oder friere ich in diesen Nächten einfach.

SZ: Für welche Variante haben Sie sich entschieden?

Ritschel: Alle fürs Frieren. Auf Probetouren haben wir gesehen, wieviel Frieren wir aushalten und wie wenig Verpflegung ausreicht, um das Endziel zu schaffen. Hätten wir uns mehr Luxus gegönnt, wäre der Rucksack zu schwer geworden. Bei vielen Etappen war es knapp - wegen der Zeit und unserer körperlichen Leistungsfähigkeit.

SZ: Wie viel haben Ihre Rucksäcke gewogen?

Ritschel: 15 bis 17 Kilo, ohne Getränke. In den Tälern kam noch die Tourenski-Ausrüstung dazu, dann hatten wir 25 Kilo aauf dem Rücken und gingen mit sehr leichten Turnschuhen. Die hatten wir extra gekauft, das Paar wog nur 300 Gramm. Wir haben die Etappen auch aus Gewichtsgründen so gelegt, dass wir alle paar Tage in einem Tal waren und neue Lebensmittel einkaufen konnten.

SZ: Gibt es etwas, auf das Sie nie verzichten würden?

Ritschel: Meine Stirnlampe. Die kann einen vor einem fatalen Biwak retten, wenn man in die Dunkelheit gerät. Und ein kleiner Leatherman und ein gutes Tape - damit kann man alles reparieren.

Der Schritt zu weit

SZ: Was ist bei einer 17 Tage langen Tour anders als bei einer Dreitagestour?

Ritschel: Man kommt völlig raus aus seinem normalen Leben und ist nur noch unterwegs. Der Kopf wird komplett frei. Tag für Tag läuft man wie eine Maschine. Auch der Körper reagiert anders: In drei Tagen baut man keine Kondition auf. Aber nach einer Woche wird man langsam fit, und auf einer so langen Querung kann man diese Fitness richtig nutzen und umsetzen. Am 13. Tag sind wir 40 Kilometer gelaufen, mit zig Höhenmetern - und das 13 Stunden lang. Es war ein faszinierendes Erlebnis, dass man das auf einmal kann.

SZ: Das heißt, Sie waren hinterher fitter als vorher?

Ritschel: Ja. Erholungsbedürftig war bei mir vor allem die Psyche, denn ich habe die meisten Entscheidungen treffen müssen: Wie gehen wir weiter, welches Risiko gehen wir ein? Das hat einen Druck ausgeübt, der mich selbst überrascht hat. Wir haben uns jeden Abend mit den Karten und einem Satmap hingesetzt und dazu die Lawinen- und Wetterberichte eingeholt. Anhand dieser Berichte und unserer Erfahrung haben wir die Route immer wieder optimiert und verändert. Das ist wichtig. Man muss extrem flexibel sein, auf Wetter, Schnee und Wind reagieren.

SZ: Manchmal sind Sie aber auch weiter gegangen, obwohl es eigentlich gar nicht mehr ging, zum Beispiel als eine Brücke über die Loisach fehlte...

Ritschel: Genau. Diese Brücke war kurz zuvor vom Hochwasser weggerissen worden. Wir haben sehr schnell beschlossen: Wir gehen jetzt keinen Riesenumweg zur nächsten Brücke. Also haben wir Schuhe und Socken ausgezogen, Hose hochgekrempelt und sind durch die Loisach marschiert. Die Lufttemperatur war bei minus zehn Grad, die Wassertemperatur bei vier Grad. Und wir hatten 25 Kilo auf dem Rücken. Da muss man sehr kraftvoll und zielstrebig sein. Wenn man zögert, bekommt man gefühllose Füße.

SZ: Was war die gefährlichste Situation während der Tour?

Ritschel: Das waren die Stürme am Hauptkamm. Eine Alpenquerung im Winter ist eben eine völlig andere Sache als im Sommer. Statt über die Weißkugel sind wir bei 22 Grad Minus und 120 km/h Höhensturm über die Innere Quellspitze. Die Sicht war schlecht und es gab Momente, in denen es uns fast über die Scharte geblasen hätte. Da muss man extrem willensstark und zielstrebig sein. Glücklicherweise waren wir vier Charaktere, die das können - einfach durchziehen. Das ist oft die sicherste Lösung. Wenn man überlegt, ach, bleiben wir sitzen, bis der Wind weniger wird - nein, der wird nicht weniger. Da sind dann viele schon für immer sitzen geblieben.

SZ: Haben Sie auch Fehler gemacht?

Ritschel: Es gibt schon etwas, das ich nicht nochmal so machen würde: An ein paar Stellen war die Lawinengefahr grenzwertig. Bei einer normalen Tagesskitour wären wir dieses Risiko nicht eingegangen. Wenn man aber ein Gesamtziel erreichen will, neigt man dazu, ein höheres Risiko einzugehen. Manchmal sagte mir mein Bauch: Da fehlt nichts. Aber mein Kopf sagte: Jetzt brauchst Du auch ein bisschen Glück. Und das ist eigentlich ein Schritt zu weit.

Mehr Infos und Termine zu Bernd Ritschels Vortragsreise hier.

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