Attentäter in der Geschichte:"Hasse die Verräther!"

Bekennerschreiben, oft vermischt mit Eiferertum und Gewaltfantasien, sind keine Erfindung der Moderne. Warum sich Attentäter damals wie heute zum Mord berufen fühlen.

Heute würde man wohl Bekennerschreiben dazu sagen: In dem Text "Todesstoß dem August von Kotzebue" hat Carl Ludwig Sand seine Absicht bekundet, den Schriftsteller als "Verräther" umzubringen, und ausführlich seine Motive geschildert. Darin vermischen sich Idealismus und Eiferertum, Patriotismus und Nationaltrunkenheit, Sehnsucht nach Demokratie mit Gewaltfantasien gegen Andersdenkende und der angeblichen Berufung, zum Töten berechtigt zu sein. So völlig anders Personen und Umstände auch sind - der Ton klingt seltsam vertraut, noch 200 Jahre später, von der RAF über den NSU bis zum Mörder von Christchurch.

"Du, mein teutsches Volk, erhebe Dich zur hohen sittlichen Würde der Menschheit. Eine Gnadengabe hat der Mensch von Gott. Sie - die höchste und einzige - ist die Gottähnlichkeit, des Menschen freier Geist und seine freie schöpferische Kraft. Mein teutsches Volk, du hast kein edleres Besitzthum. Erkenne, wahre diesen Glauben, diese deine Liebe zu Gott. - Lasse dein Heiligtum nicht mehr unter die Füße treten. Der Mensch, sey er auch in den traurigsten, niedrigsten Verhältnissen geboren, ist geschaffen, ein Ebenbild Gottes zu werden. Vertrauet auf die verheißene christliche Freiheit! Ehre vertraue nur dem freien Mann! Hasse die Verräther, die Knechtesseelen, die falschen Seher, die dieses nicht wollen; hasse die feilen Dichter der Halbheit, die Prediger der Feigheit, die Söldlinge, die Dich von jedem kühnen Entschluß abhalten. Hasse, morde alle die, die sich in frevler, muth-williger Gesinnung so überheben, daß sie des Göttlichen in Dir vergessen ...

Frei die Gewissen! Frei die Rede!"

In dem Brief "An alle die Meinigen" schreibt Sand außerdem:

"Der Anfang zur Erneuerung unseres teutschen Lebens wurde in den letzten zwanzig Jahren, besonders in der heiligen Zeit 1813, mit Gott getrosthem Muthe begonnen; das väterliche Haus ist vom Grund auf erschüttert; Vorwärts! Laßt es uns wieder aufrichten ... Viele der ruchlosesten Verführer treiben ungeahndet bis aufs völlige Verderben unseres Volkes hin bei uns ihr Spiel. Unter ihnen ist Kotzebue der boshafteste, das wahre Sprachwerkzeug für alles Schlechte in unserer Zeit ...

Also nur muthig voran (erschreckt nicht!). Auf ihn will ich Gottgetrosten Mutes losgehen (erschreckt nicht), ihn diesen Schänder und Verführer unseres Volkes, diesen grausen Verräter niederstoßen. ... Möchte ich durch diese Volksrache alle Regen und Gemeinsinnigen darauf hinverweisen, von woher Falschheit und Gewalt droht, und bei Zeiten die Furcht aller und die rüstige Jugend gegen die rechte Spitze kehren, um das gemeinsame Vaterland, Teutschland, den immer noch verrissenen und entwürdigenden Staatenbund aus der nahen großen Gefahr zu erretten; möchte ich Schrecken über die Bösen und Feigen, Muth über die guten verbreiten."

Auszug aus: Vollständige Übersicht der gegen Carl Ludwig Sand, wegen Meuchelmordes, verübt an dem K. Russischen Staatsrath v. Kotzebue, geführten Untersuchung. Aus den Originalakten ausgezogen, geordnet und herausgegeben von dem Staatsrath von Hohnhorst, vorsitzendes Mitgliede in der angeordneten Untersuchungs-Commission (in der Cottaschen Buchhandlung, 1820). Einsehbar (Signatur: Crim. 134 r-1/2) in den digitalen Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek, München. S. 188ff.

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