Arbeit von Berufsbetreuern:Der Lebenshelfer

Arbeit von Berufsbetreuern: Klaus Fournell ist Berufsbetreuer und muss anderer Leute Rechnungen prüfen. Ziel ist aber, dass seine Klienten möglichst viel selbst schaffen.

Klaus Fournell ist Berufsbetreuer und muss anderer Leute Rechnungen prüfen. Ziel ist aber, dass seine Klienten möglichst viel selbst schaffen.

(Foto: Daniel Schoenen)

Es gibt Menschen, die kommen in der Gesellschaft nicht allein zurecht. Betreuer wie Klaus Fournell kümmern sich um sie. Ab wann aber ist er verpflichtet, gegen den Willen eines Menschen zu handeln - und wann haftet er sogar selbst, wenn er genau das tut?

Von Sebastian Stoll

Klaus Fournell war nicht dabei, als es passierte, aber immerhin gab es 27 Zeugen. Allesamt Bewohner eines Mietshauses, alle hörten sie, wie ein junger Mann mit blutigen Händen seltsame Dinge schrie. "Raus aus meinem Kopf", war einer der Sätze, die er in die Leere des Treppenhauses hinausbrüllte, ein anderer, "Ich mach euch alle fertig". Das erzählte die Polizei später Klaus Fournell, und das ist der Grund, weshalb der junge Mann im Moment nicht in seiner Wohnung lebt.

"Mir blieb dann nichts anderes übrig, als beim Amtsgericht eine Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt zu beantragen", sagt Fournell. Diese ist seit gut einem Vierteljahr Heimat des jungen Mannes, und sie wird es noch eine Weile bleiben. Darum kümmert sich Klaus Fournell.

Er darf das, weil er Macht über andere Menschen hat, so viel, wie sie in Deutschland nur wenige haben. Fournell ist Berufsbetreuer, er regelt das Leben von zurzeit 30 Menschen, die das aus unterschiedlichen Gründen gerade selbst nicht tun können. Das heißt: Er darf über ihre Konten verfügen, bei Geldgeschäften mitentscheiden, ihnen im Extremfall sogar die Freiheit nehmen. Das ist der eine Teil der Geschichte. Denn eigentlich besteht sein Job darin, dafür zu sorgen, dass er all das nicht machen muss. Er soll mit den Menschen entscheiden, nicht über sie - und macht er es einmal doch, ist er für jeden Fehler persönlich haftbar. Er sagt: "Manchmal muss ich Sachen besser wissen als die Leute selbst."

Sie werden betreut, nicht bevormundet

Klaus Fournell, 53 Jahre, hat kurzes weißes Haar und eine markante Brille. Sein Büro nahe des Freiburger Hauptbahnhofs ist in seiner Wohnung, Klienten empfängt er lieber in seinem Wohnzimmer, "das ist gemütlicher". Es klingelt. Ein junger Mann setzt sich an den Tisch im Wohnzimmer. Wegen einer Gehbehinderung muss er Spezialschuhe tragen. An ihrem Aussehen erkennt man das nicht, nur an der Rechnung, die Klaus Fournell jetzt aus einem roten Aktenordner kramt. Er hat sie weitergeleitet bekommen, wie alle Post, die an seinen Klienten adressiert ist. 126 Euro will das Sanitätshaus für die Schuhe haben. "Nein, das habe ich nicht gewusst, dass ich dafür zahlen muss." Der junge Mann schaut verblüfft. Fournell beruhigt ihn: "Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich habe inzwischen dort angerufen und eine Ratenzahlung vereinbart."

Bis Ende 1991 war es in Deutschland möglich, einen Menschen zu entmündigen. Wer eine psychische Krankheit hatte oder eine Behinderung, wer süchtig war oder dement, dem konnte ein Richter offiziell und auch gegen seinen Willen einen Vormund zur Seite stellen und dessen Entscheidungen hatte sich das sogenannte Mündel dann zu fügen. Heute ist das anders: Menschen sind rechtlich sogar noch dann Herr ihrer selbst, wenn sie es tatsächlich schon gar nicht mehr sind. Sie werden betreut, nicht bevormundet: Das heißt, dass nichts gegen ihren Willen geschehen darf, auch nicht die Einrichtung der Betreuung - es sei denn, sie gefährdeten sich oder andere.

Aber wo verläuft die Grenze? Wann ist ein Betreuer verpflichtet, gegen den Willen eines Menschen zu handeln - und wann begeht er womöglich sogar einen Gesetzesverstoß, wenn er genau das tut? Das ist die Frage, die Klaus Fournell jeden Tag aufs Neue beantworten muss.

"Ich wollte etwas erfolgsorientierter arbeiten"

Seit gut zwei Jahren arbeitet er in dem Beruf, wie die meisten seiner etwa 17 000 Kollegen als Selbstständiger. Je nach persönlicher Kassenlage bezahlen ihn seine Betreuten selbst oder aber das Land. Vorher war Fournell 14 Jahre lang Sozialarbeiter in einem Obdachlosenheim. "Ich wollte etwas erfolgsorientierter arbeiten", sagt er. "Man hat hier kranke Menschen, die Unterstützung brauchen, und man kann ihnen jeden Tag helfen."

Helfen wie etwa Marcello Reinhardt, der ihn an eben diesem Vormittag besucht - der Name ist geändert. Marcello Reinhardt ist 29 Jahre alt und hat seit seiner Geburt eine Gehbehinderung. "Ich war große Teile meiner Kindheit im Krankenhaus", sagt er, schnell und undeutlich. Dort habe er nur sporadisch Schulunterricht bekommen und deswegen Probleme mit dem Lesen. Außerdem drücken ihn Schulden. Weil er unter Drogen mit einem Auto gefahren ist, muss er mehrere Tausend Euro Gerichtskosten abbezahlen - dass er von Hartz IV lebt, hat dabei keine aufschiebende Wirkung. Und dann ist da noch die Sache mit der Bewährungsstrafe wegen Drogenhandels. "Mir ist das alles zu viel geworden. Ich habe mich nicht mal mehr getraut, die Post reinzuholen", erzählt Reinhardt. Irgendwann sei eine Sozialarbeiterin im Viertel auf den vollen Briefkasten aufmerksam geworden und habe ihm von den Möglichkeiten einer Betreuung erzählt. So kam er zu Klaus Fournell. Der regelt jetzt seine Finanzen und arbeitet die Post ab. "Seitdem habe ich mein Leben viel besser im Griff", sagt Reinhardt.

Marcello Reinhardt erzählt von seinen Vorstrafen, Klaus Fournell lächelt dabei. "Er hat eine Bewährungsstrafe bekommen, weil er mit Gras gedealt hat. " Reinhardt lächelt jetzt auch. Er sagt: "Das waren Jugendsünden." Fournell achtet darauf, dass er jeden der Menschen in seiner Betreuung etwa einmal im Monat sieht. Diejenigen, denen er misstraut oder die ihm zu stark riechen, trifft er in ihren Wohnungen oder an neutralen Orten. Allen anderen schlägt er vor, sich in seinem eigenen Wohnzimmer zu treffen. "Das hat den Vorteil, dass man einfach weiterarbeiten kann, wenn ein Termin platzt." Öfter muss man sich normalerweise nicht sehen, findet er, denn so viel Zeit braucht man nicht, um über Rechnungen, Kontoführung oder Wohnheimplätze zu reden. Und um mehr geht es nicht. "Mein Job ist es nicht, eine Glühbirne reinzudrehen, sondern jemanden dafür zu organisieren."

Der Tag hatte für Klaus Fournell mit einem Wettrennen mit einem Spielsüchtigen begonnen

Am Ende des Termins fällt Marcello Reinhardt noch ein, dass es vor Kurzem doch einmal ein Brief zu ihm nach Hause geschafft hat. Er hat ihn leider vergessen. "Aber das Wort ,Bewährung' konnte ich lesen." Wahrscheinlich ist es ein schöner Brief, in ihm müsste geschrieben stehen, dass die Bewährungszeit nun vorbei ist. Und wenn nicht? "Bringen Sie ihn das nächste Mal einfach mit", sagt Fournell und verabschiedet seinen Klienten.

Der Tag hatte für der Betreuer mit einem Wettrennen am frühen Morgen begonnen: Einer seiner Klienten ist spielsüchtig, und heute gab es frisches Geld vom Amt. Geld, das entweder dazu geeignet wäre, Schulden bei Gericht abzutragen - oder aber dazu, in einem Automaten zu verschwinden. Fournell hat in dem Wettbewerb den zweiten Platz belegt. "Ich habe um sieben mal auf das Konto geschaut, da war noch nichts da. Als ich das nächste Mal nachgesehen habe, war schon alles weg."

Anschließend hat er sich hingesetzt und einen Brief ans Amtsgericht geschrieben, mit dem er einen sogenannten Einwilligungsvorbehalt erwirken will. Schafft er das, dann hätten nicht mehr beide gleichberechtigt Zugriff auf das Konto - Klaus Fournell könnte selbst festlegen, ob und in welcher Höhe der Mann Geld abheben darf. "Ich weiß, dass ich ihn damit massiv in seiner Freiheit einschränke. Aber wenn ich es nicht mache, kommt er ins Gefängnis. Mit Sicherheit." Fournell weiß, dass viele Menschen wegen solcher Entscheidungen Vorbehalte gegen seinen Beruf haben. Das sei nicht zu ändern. Er könne nur eins tun: "Ich bin immer offen", sagt er. Das heißt für ihn: Er verspreche nie, nichts zu unternehmen, was seinen Klienten missfallen werde. "Aber wenn ich etwas mache, dann kündige ich das immer an." Fälle er eine schwerwiegende Entscheidung, dann immer nur, weil er keinen Handlungsspielraum mehr sehe: "Solange keine unmittelbare Gefahr besteht, kann man noch über richtiges und falsches Handeln diskutieren."

Schon im Treppenhaus roch es nach Kot und Urin

Zum Beispiel, wenn es um den Dreck geht. Sofern dieses Wort noch die richtige Bezeichnung ist für den Zustand, in dem einer seiner Betreuten lebte: Wenn Fournell zu ihm ging, roch es schon im Treppenhaus nach Kot und Urin. Die Dusche funktionierte nicht, das Bett müffelte, überall lag Müll. Ungeziefer sah Klaus Fournell aber keines. Er redete oft und lange auf den Mann ein - und unternahm sonst nichts. "Es gibt kein Gesetz, das sagt: ,Du darfst nicht im Dreck leben.'"

Das ist jedenfalls Fournells Meinung. Andere Betreuer vertreten eine andere Ansicht. Eine Kollegin sagte ihm: "Klaus, ich hätte als Allererstes die Wohnung ausgeräumt. Der Mann ist krank, deswegen kann es auch gar nicht sein freier Wille sein, im Dreck zu leben." Ganz ähnlich kann man auch bei dem Spielsüchtigen argumentieren, dem Fournell das Konto sperren will - allerdings erst jetzt, da eine Gefängnisstrafe droht. "Sonst hätte ich das nicht gemacht", sagt er. "Menschen brauchen auch eine negative Freiheit. Wenn jemand sich dafür entscheidet, ein paar Tage nichts zu essen, weil er lieber sein Geld in den Automaten wirft, dann ist das seine freie Wahl."

Genau das ist sie nicht, argumentieren andere Betreuer - eben weil dieser Mann krank sei. Glücksspielsucht habe nichts mit freiem Willen zu tun.

Aber was ist das, der "freie Wille"? Betreuer sind verpflichtet, ihn zu achten - das Problem ist nur, dass ihn niemand so richtig definieren kann. Auch wenn es Fälle gibt, bei denen der Wille so klar ist, dass niemand etwas dagegen unternehmen kann. Klaus Fournell hat das bei einem anderen psychisch kranken Klienten erlebt. Die Krankheit hatte sich zwar kein Stück gebessert, die finanzielle Situation aber war dank des Betreuers auf einmal wohlgeordnet. Der Mann empfand dies als Beweis für seine Genesung. "Hohes Gericht, ich benötige keine Betreuung mehr. Meine Situation hat sich gebessert, und ich erhalte auch viel mehr Unterstützung von meinen Eltern." Das in etwa war der Wortlaut des Briefes, mitformuliert hatte ihn Klaus Fournell: "Es war ganz klar, dass er bald wieder Probleme bekommen würde. Aber eine Gefahr für sich oder andere ist er deswegen nicht."

Es wird dem Mann also schlechter gehen, ohne Hilfe von außen. Aber es ist nun mal seine eigene Entscheidung.

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