Anti-Diät-Tag:Ein dickes Ding

Unfreundliche Ärzte, Einreise- und Adoptionsverbote - die Phobie vor dicken Menschen treibt zuweilen skurrile Blüten. Welche Macht haben Diäten über uns?

Christina Herbert

Dicksein ist keine Privatsache mehr. Wer dick ist, verursacht Kosten und stört das Gesamtbild. Betrachtet man die überbordenden Diätangebote in Magazinen und Büchern, könnte man meinen, eine Fett-Phobie habe unsere Gesellschaft erfasst.

dicke und dünne Frauen, dpa

Fröhlich und ungeniert: Immer mehr dicke Menschen zeigen, was sie haben.

(Foto: Foto: dpa)

Die Angst vor den Dicken treibt mitunter skurrile Blüten. Immer mehr Menschen sind es leid, sich diskrimieren zu lassen und schließen sich in Organisationen wie dem Hamburger Verein "Dicke e. V." zusammen. Stephanie Freiin von Liebenstein hat die "Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung" gegründet. Zum heutigen Anti-Diät-Tag haben wir sie zur Situation von dicken Menschen in unserer Gesellschaft befragt.

sueddeutsche.de: Wir leben in einer aufgeschlossenen Gesellschaft. Wieso glauben Sie, dass dicke Menschen eine Lobby brauchen?

Stephanie von Liebenstein: In Deutschland haben Menschen mit einem BMI über 30 in der Regel keine Chancen verbeamtet zu werden. Außerdem herrscht eine regelrechte Hysterie um Abspeckprogramme für übergewichtige Kinder. Programme wie "Obeldicks" oder "AOK PowerKids" schaden nachweislich mehr (siehe offener Brief an die AOK), als sie die Kinder fördern. Was bleibt, sind seelische und körperliche Schäden und nicht etwa eine Hosengröße weniger.

sueddeutsche.de: In welcher Form findet die Diskriminierung statt?

von Liebenstein: Das fängt schon bei der Urlaubsplanung an. Die Diskussion um die Regelung bei der Air France etwa, nach der Übergewichtige für zwei Sitzplätze bezahlen sollen, weil sie auch mehr Raum brauchen. Dicke Menschen werden da wie Gepäckstücke behandelt. In Neuseeland dürfen Frauen wegen eines Bauchumfangs von mehr als 88 Zentimeter nicht einwandern. Bei Männern liegt der Wert bei 102 Zentimeter. In Ländern wie den USA, China und Großbritannien haben Übergewichtige erhebliche Probleme bei der Adoption.

Aber auch im Alltag müssen sich dicke Menschen so einiges gefallen lassen. Das fängt beim Einkaufsbummel an und hört beim Arztbesuch auf.

sueddeutsche.de: Magerwahn und Fitnesstrend sind allgegenwärtig. Wie schafft man es als übergewichtiger Mensch, sich in dieser Gesellschaft wohl zu fühlen?

von Liebenstein: Es sollte allgemein viel mehr darum gehen, dicke Menschen gesellschaftlich nicht auszusondern, sondern ihnen ein gutes Körperbild zu vermitteln. Dasselbe gilt auch für die Betroffenen selbst: Wenn man sich als Übergewichtiger wohl fühlen will, sollte man das schlechte Körpergefühl nicht zu sehr nach außen tragen. Studien haben ergeben, dass Menschen mit Gewichtsproblemen auch schlechter behandelt werden, wenn sie ihre Unsicherheit und ihren Frust zu sehr zeigen. Menschen, die sich mit ihren Problemen an uns wenden, tun sich schwer, Maßnahmen zu ergreifen. Wenn man allerdings die Stärke hat, öffentlich gegen die Diskriminierung anzukämpfen, sollte man das auch tun. Unsere Arbeit hat nichts mit Glück zu tun, sondern damit, die Gesellschaft zu verändern.

sueddeutsche.de: Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihre Arbeit etwas bewirkt?

von Liebenstein: In den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Die Medien interessieren sich mehr für das Problem - dadurch wird die Aufmerksamkeit und die Akzeptanz in der Gesellschaft vorangetrieben. Es geht uns darum, ein Bewusstsein für das Diskriminierungsproblem zu schaffen, denn nur so kann sich langfristig etwas ändern.

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