Süddeutsche Zeitung

Amoklauf in Florida:Amerikas Jugend begehrt auf

Ausgerechnet amerikanische Teenager könnten nun der Waffenlobby in den USA gefährlich werden. Ihr Vorteil: Sie wissen genau, wie sie sich präsentieren müssen.

Von Beate Wild, Austin

Wenn die Reaktion auf das Schulmassaker in Parkland, Florida, der Beginn einer neuen amerikanischen Jugendbewegung ist, wird es künftigen Historikern nicht an Schlüsselmomenten mangeln, an denen sie diese Bewegung festmachen können. Etwa jener Moment, als der 17-jährige David Hogg, der sich in einem Klassenzimmer vor dem Amokläufer versteckte, sein Smartphone aus der Tasche zog und seine verängstigten Mitschüler interviewte, wie man Waffengewalt verhindern könnte. Oder der Abend am Tag nach dem Massenmord, an dem Überlebende - viele von ihnen Mitglieder der Schultheater-Gruppe - in einem Vorort-Wohnzimmer beschlossen, etwas zu unternehmen und eine Facebook-Seite aufzusetzen.

Oder die leidenschaftliche Tränen-Rede der 18-jährigen Emma González, die untätige Politiker im Bann der Waffenlobby anprangerte und im Netz innerhalb von Minuten zur viralen Sensation wurde. Oder der Augenblick in der TV-Diskussion auf CNN, als der 17-jährige Cameron Kasky den republikanischen Senator Marco Rubio mit seiner Nähe zur Waffenlobby National Rifle Association (NRA) konfrontierte, indem er eine einfache Frage stellte: "Werden Sie in Zukunft auf Spenden der NRA verzichten?" Rubio hatte keine gute Antwort.

In den US-Medien ist vom Frühlingserwachen einer Generation die Rede

Rhetorische Entwaffnung wie in diesem Fall gehört inzwischen zum Standardrepertoire der "Never Again"-Bewegung - ob in TV-Auftritten, Diskussionen mit Abgeordneten oder beim Umgang mit Trollen im Netz. Gonzalez hat inzwischen mehr Twitter-Follower als die NRA.

In den US-Medien ist vom Frühlingserwachen einer Generation die Rede, dabei klingen die Forderungen der Schüler einfach nach gesundem Menschenverstand: stärkere Hintergrundüberprüfung potenzieller Waffenkäufer. Kein Verkauf von Schusswaffen an Menschen unter 21 Jahre. Und am besten ein Verbot aller halb automatischen Waffen - eine solche hatte der Attentäter in Parkland verwendet und damit 17 Menschen getötet.

Erst am Freitag gab es abermals eine Schießerei auf einem Campus: An der Universität in Mount Pleasant in Michigan starben nach Medienberichten mindestens zwei Menschen, als ein Bewaffneter ein Wohnheim stürmte. Die Teenager aus Parkland haben ihre Forderungen absichtlich ohne Nähe zu den Demokraten formuliert, um nicht in die üblichen amerikanischen Polit-Fehden verwickelt zu werden. Und als Reaktion auf die Standardausrede NRA-naher Konservativer nach jedem Massaker, für Debatten über die Waffengesetze sei es "zu früh", haben die Teenager einfach einen Termin dafür festgelegt: Für 24.

März haben sie einen Marsch auf Washington angekündigt. Dass mehr als zwei Wochen nach der Tragödie immer noch öffentlich und im Weißen Haus über strengere Waffengesetze diskutiert wird, gilt bereits als beachtlich. Nach ähnlichen Massenmorden war die Debatte unter Einfluss der Waffenlobby immer schnell abgeräumt. Doch der größte Erfolg für die Schüler dürfte sein, dass nicht nur Dutzende Unternehmen ihre Kooperationen mit der NRA aufgekündigt haben, sondern am Mittwoch auch noch Dick's, einer der größten Sportartikelhändler, bekannt gab, halb automatische Waffen aus dem Sortiment zu nehmen und keine Waffen mehr an Kunden unter 21 zu verkaufen.

Die Parkland-Teenager bringen nicht nur Energie und Ideenreichtum mit, sondern auch die erforderliche Medien- und Internetkompetenz. Mit den sozialen Medien ist diese Generation aufgewachsen und sie weiß genau, wie sie sich bei TV-Interviews und in Talkrunden präsentieren muss. Emma González, Cameron Kasky und David Hogg sind binnen weniger Tage zu den Gesichtern der Bewegung geworden.

Es ist aber nicht das erste Mal, dass junge Amerikaner soziale Veränderungen anstoßen. Bereits 1903 gingen Kinderarbeiter aus den Kohleminen in Philadelphia unter Führung der Arbeiteraktivistin Mary Harris "Mother" Jones auf die Straße mit der Forderung "Wir wollen in die Schule, nicht in die Minen". Die Proteste der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entzündeten sich unter anderem an der Rassentrennung in den Schulen. Eine oft vergessene Kernforderung der Studenten- und Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren war ein Wahlrecht ab 18: Wer alt genug sei, in den Vietnamkrieg geschickt zu werden, solle gefälligst auch das Recht haben, die verantwortlichen Politiker abzuwählen. Dennoch wurde diese Generation oft als "halbstark" wahrgenommen, genauso wie vor einigen Jahren die Aktivisten von "Occupy Wall Street" und "Black Lives Matter", die sich gegen Auswüchse im Kapitalismus beziehungsweise gegen rassistische Polizeigewalt gestellt haben.

Die Post-Millenials galten lange als selbstzentriert, verwöhnt und apathisch

Die Generation, zu der die Schüler aus Florida gehören, sind die sogenannten Post-Millennials, die um die Jahrtausendwende geboren wurden. Der Standardvorwurf an ihre Vorgänger, die Millennials, lautet, sie seien selbstzentriert, verwöhnt und apathisch. Den Post-Millennials dagegen schreiben Forscher eine progressive Haltung, politisches Interesse und Engagement zu. Angesichts des Zynismus und der Irrationalität in den USA scheint es manchmal so, als seien die Jugendlichen von "Never Again" die eigentlichen Erwachsenen.

Ein Blick auf die ethnischen Hintergründe dieser Teenager verrät, wie die amerikanische Demografie der Zukunft aussieht: Im Jahr 2015 waren nur noch 51,5 Prozent der Post-Millennials weiß. Der Rest ist hispanischer, afroamerikanischer, asiatischer oder sonstiger Abstammung. Der Demograf William Frey vom Brookings-Institut prognostiziert, dass 2035 der Anteil der weißen Amerikaner in dieser Generation nur noch bei 46 Prozent liegen wird. Experten sind sich einig, dass mit dem demografischen Wandel auch ein gesellschaftlicher Umbruch einhergeht. Die Parkland-Schüler könnten dafür die Vorhut sein - Aussichten, die den Republikanern und NRA-Mitgliedern nicht gefallen dürften.

Eine alte Faustregel besagt zudem: Wenn die Jugendlichen sich für das Allgemeinwohl erheben, folgen oft die Erwachsenen nach. Vor allem Aktivisten aus früheren Bewegungen sind bereit, die Jungen zu unterstützen. "Martin Luther King hat uns gezeigt, dass es einen konstanten Impuls gibt für soziale Veränderungen. Jeder junge Mensch heute steht auf den Schultern der Giganten, die es vor ihm gab", sagte jüngst Adam Fletcher, Mitgründer der Organisation Freechild Project, die Jugendliche unterstützt.

Den Parkland-Teenagern haben sich bereits viele Eltern, Studenten und Lehrer angeschlossen. Das Ehepaar George und Amal Clooney sowie die US-Moderatorin Oprah Winfrey spendeten den Jugendlichen jeweils 500 000 Dollar. Und Ex-Präsident Barack Obama twitterte: "Wir haben auf euch gewartet und wir stärken euch den Rücken."

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SZ vom 03.03.2018/eca
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