"Im Rückblick gab es bereits 1998 die ersten kleinen Hinweise. Yvonne war damals 31 Jahre alt, ich 32. Unser Sohn war gerade geboren, Yvonne immer stärker überlastet und überfordert. Damals dachten wir noch, das läge am Stress. Aber ab dem Jahr 2000 wurde immer offensichtlicher, dass immer mehr Arbeit an mir kleben blieb, dass sie immer stärker so vieles verpeilte.
Eigentlich hatten wir eine harmonische Beziehung, aber fortan verstärkte sich zu Hause der Zoff. Yvonne merkte, dass sie keine gleichberechtigte Partnerin mehr war. Für vieles, was sie im Haushalt und auf der Arbeit nicht mehr hinbekam, machte sie mich plötzlich verantwortlich. Sicher war da bei ihr viel Scham dabei, denn sie bekam ja mit, dass sie die Kontrolle über ihr Leben verlor. Es war echt schwierig, dass sie trotzdem ihr Tun mit Vehemenz verteidigte.
Sie hatte einen anspruchsvollen Job. Doch bei der Arbeit geriet sie immer stärker unter Druck, bekam plötzlich schlechte Beurteilungen. Etwas, das sie bis dahin nie gekannt hatte. Oder wenn wir bei Freunden waren, dann hat sie Geschichten immer und immer wieder erzählt. Es war ein unglaublicher Eiertanz in diesen Situationen mit Taktgefühl einzugreifen.
Ab 2007 wurde es wirklich schwierig, da sie fast nicht mehr belastbar war. Yvonne hatte einen angeborenen Herzfehler und zu dieser Zeit wurden ihre Herz-Rhythmus-Schwierigkeiten so dominant, dass sie eine neue Herzklappe bekommen musste. Die erste Operation ging schief. Und nach der zweiten OP war nichts mehr wie vorher. Es erwachte eine andere Yvonne. Anschließend kam sie in eine Reha. Dort legten die Ärzte und Betreuer bereits ein Augenmerk auf ihre Vergesslichkeit. Aber sie hatte plötzlich eine neue Ausrede: Klar, wenn man zweimal innerhalb kurze Zeit in Narkose versetzt wird, dann brauche man ein Jahr, um wieder voll da zu sein. Aber es wurde nicht besser, sondern schlechter.
Es tat mir weh, sie so hilflos zu sehen
Sie ließ sich von oben bis unten durchchecken. Im Sommer 2010 erfuhr sie die Diagnose: Alzheimer. Ab diesem Zeitpunkt ging es abermals rapide bergab. Sie realisierte plötzlich selbst, dass sie mit 42 Jahren so vieles nicht mehr konnte. Sie stemmte sich dagegen und ich musste eingreifen: Ihr den Autoschlüssel und die Kreditkarte abnehmen, ihr beim Schreiben helfen, die Verantwortung für alles tragen.
Als wir beim Rechtsanwalt saßen und mir die Fürsorge übertragen werden sollte, da musste ich sehr schlucken: Meine Frau konnte da schon nicht mehr unterschreiben. Es tat mir unglaublich weh, zu sehen, dass sie Stück für Stück ihr Leben aufgeben musste und sie zunehmend hilflos wurde.
Die Diagnose war zum einen ein Schock, zum anderen konnte ich mir die vergangenen Jahre endlich erklären. Zuvor wusste ich nichts von der Krankheit und dachte, dass das nur alte Menschen betreffe. Das Thema war ganz weit weg und hat mich auch nicht interessiert. Die Ärzte sagten uns, dass Yvonne noch zehn Jahre eine gute Lebensqualität haben könne.
Durch diese Aussage war der Schrecken, der noch kommen könnte und dann ja auch kam, erst mal weit weg. Natürlich haben die Ärzte diese Prognose mit Absicht gemacht und wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich noch Momente der Hoffnung auf medizinische Fortschritte, auf neue Medikamente, die sie ausprobieren könnte. Es hat alles nichts gebracht. Aber wir hatten immerhin etwas, an dem wir uns lange festhalten konnten.
Klar, dass diese Situation unsere Beziehung belastete. Yvonne wurde zunehmend aggressiver. Irgendwann brachte ich sie in einer Tageseinrichtung unter und ich dachte, damit die ideale Lösung gefunden zu haben. Doch nach einem halben Jahr rief mich die Leiterin der Einrichtung an und machte mir unmissverständlich klar, dass ich sie umgehend abholen solle. Yvonne hatte die Scheiben eingeschlagen und andere Patienten tätlich und verbal angegriffen. Yvonne war nicht mehr der Mensch, den ich einst geliebt hatte. Sie war ein kranker Mensch. Und Alzheimer wurde zu meiner Hauptlebensaufgabe.
Trauer:"Der Tod bringt mich nicht um"
Kurz nach seiner Geburt starb der Sohn von Nicole Rinder. Ein Gefühl, als "würde mir das Herz herausgerissen". Heute begleitet sie Eltern, die selbst ihr Kind verloren haben.
Yvonne zu verlassen war nie eine Option für mich
Ich habe Yvonne wirklich geliebt, sie zu verlassen war nie eine Option für mich. Wir hatten unsere Krisen. Sicher. Aber ich könnte niemals einen Menschen hängen lassen, der eh schon am Boden liegt. Ich hätte mich wohl nie wieder im Spiegel betrachten können. Inzwischen kann ich es verstehen, wenn man seinen Partner in ein Heim abgibt. Wenn man nicht mehr mit der Situation klarkommt. Aber ich hatte ein breites helfendes Umfeld, ausreichend Platz. Es war mir möglich, ihr zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung zu helfen. Yvonne und ich hatten eine geile Zeit - und ich war es ihr einfach schuldig, sie zu Hause zu pflegen. Und so hatten wir auch Zeit, um Abschied zu nehmen.
Ich bin kein Heiliger. In der Zeit, als wir Hilfe brauchten, zog Sandra mit ihren beiden Söhnen zu mir. Eine alte Freundin aus unserer Motorradclique, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatte. Mit der Zeit begannen wir eine Liebesbeziehung, von der lange niemand wusste. Sandra pflegte Yvonne, wenn ich nicht da war. Wir teilten uns die Arbeit und kümmerten uns gegenseitig um unsere Kinder.
Tod des Partners:Dem Leben die andere Wange hinhalten
Die Hamburger Journalistin Petra Mikutta hat plötzlich ihren Mann verloren. Über ihr erstes Trauerjahr, über Liebe, Lachen und Loslassen hat sie ein "Überlebensbuch" geschrieben.
Ich liebte zu dieser Zeit zwei Frauen. Yvonne auf einer anderen Ebene. Diese Liebe gründete auf die 20 Jahre, die wir zusammen verbracht hatten. Sandra behandelte Yvonne immer gut und opferte sich sicher dabei auch ein Stück für mich. Aber wenn sie das nicht gemacht hätte, dann wäre es auch nicht gegangen. Es war Patchwork vom Allerfeinsten. Mit drei Jungs - das läuft natürlich nicht ohne Konflikte ab.
Sandra und ich haben unsere Liebe nie vor Yvonne gezeigt, aber sie mag es wohl geahnt haben. In hellen Momenten kam es mir vor, als wisse sie, dass ich mit Sandra weiterleben werde, wenn sie nicht mehr ist. Zu einem Arbeitskollegen soll sie sich dazu auch positiv dazu geäußert haben. Aber zwischen Yvonne und mir war das Thema tabu.
Alle kamen an ihre Grenzen
Doch alle, die sich um Yvonne kümmerten, kamen an ihre Grenzen. Also holten wir uns extern Hilfe. Es kam Alina, eine Pflegerin aus Rumänien. Alina und Yvonne wurden ein Herz und eine Seele. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft, sie zu Hause zu pflegen. Einen Alzheimerkranken allein zu pflegen, daran geht man kaputt. Alina lebte sich gut bei uns ein, sie holte ihren Sohn und ihre Mutter nach. Alle blieben auch nach dem Tod von Yvonne. Inzwischen existiert in meinem Haus eine ziemlich große WG.
Wenn Alina zwei Wochen in den Urlaub gefahren ist und ich mich allein um meine Frau kümmern musste, dann bin ich oft kurz davor gewesen, selbst depressiv zu werden. Allein sie zu füttern dauerte eine halbe, dreiviertel Stunde. Essen und Kauen wurden für sie immer schwieriger. Dann vergaß sie sogar zu schlucken, und wir mussten Yvonne mit einer Spritze ernähren.
Auch das Wickeln und die Körperpflege an sich waren sehr aufwendig. Fürs Duschen und Baden brauchten wir zwei Personen. Durch ihre unkontrollierten Bewegungen schlug sie sich einmal einen Schneidezahn aus. Oft hat sie nach einem getreten, gekratzt, geschrien. Sie war wie ein Kleinkind, nur dass das noch süß und hilflos ist, aber Yvonne hatte Kraft. Wenn sie um sich geschlagen hat, musste man aufpassen.
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Mit 38 Jahren starb Sven an Morbus Cushing. Davor: unzählige Operationen, Bestrahlungen, furchtbare Schmerzen. Seine Frau erzählt hier die Geschichte seines Sterbens - und ihrer Liebe.
Wenn ich vorher gewusst hätte, was da auf mich zukam, dann wäre ich wohl Amok gelaufen. Aber ich konnte es mir vor all diesen Ereignissen nicht vorstellen - und das war auch gut so. So machten wir von Tag zu Tag weiter, andernfalls wäre ich verzweifelt. Es ist gut, dass man nicht in die Zukunft schauen kann.
Im Rückblick habe ich vieles richtig gemacht. Von einigen kleinen Fehlern abgesehen, war das Gesamtpaket gut. Es war auch gut, dass Sandra in unser Leben kam. Obwohl ich mit Kirche nichts zu tun habe, scheint es so, als habe der liebe Gott das alles so gewollt.
Jetzt versuche ich ein neues Leben zu führen
Mein Sohn hat mir immer viel Kraft gegeben. Ich wollte ihm eine Festung sein, auch weil ich das selbst in meiner Kindheit nicht erlebt habe. Jetzt ist er 17 Jahre alt. Ich bin passionierter Motorradfahrer. Doch seit mein Sohn selbst eine 125er Maschine fährt, habe ich oft Angst um ihn. Wenn ihm was passieren würde, ich wüsste nicht, wie ich das wegstecken könnte.
Ich bin kein Karrieremensch, habe schon immer mehr für die Freizeit und den Sport gelebt. Durch die Geschichte mit Yvonne ist mir bewusst geworden, dass ich nur noch begrenzt Zeit habe. Ich versuche mich Zwängen zu entziehen und das Leben zu leben, das ich möchte. Ich bin in mir selbst zur Ruhe gekommen.
Yvonne starb am 20. Januar 2015. Sie wurde 46 Jahre alt. Ihr Tod war ein Gefühl zwischen Trauer und Befreiung. Ihr Lächeln, das ich so liebte, war weg. Für immer. Aber jeder von uns wusste, dass es gut so ist. Dass sie ihren Frieden gefunden hat.
Jetzt versuche ich ein neues Leben zu führen. Bin satt mit diesem Thema und möchte eine andere Zukunft haben. Sandra und ich heiraten Ende Mai."
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Hans Jürgen Herber, 49, hat im vergangenen Jahr ein Buch über seine Erlebnisse mit Yvonne geschrieben: "Der lange Abschied. Als meine Frau mit 40 an Alzheimer erkrankte." Zudem hat der WDR hat eine berührende Langzeitdokumentation über die Familie Herber gedreht: "Alzheimer mit 40".