Die weißhaarigen Damen erzählen munter durcheinander. Vom Schulweg, der im Winter mit dem Pferdeschlitten zurückgelegt wurde. Und von der Schiefertafel, an der neben dem Griffel auch ein Schwämmchen hing. Mitten in dem Trubel dösen zwei Frauen aneinandergeschmiegt auf dem Sofa ein. Eine dritte läuft plötzlich ohne Ziel auf den Flur hinaus, wo noch weitere ruhelose Geister ihre Runden drehen. Andere Senioren hingegen sitzen völlig in sich versunken und teilnahmslos im Rollstuhl. Sie alle gehören zu den 1,4 Millionen Demenzkranken in Deutschland, an deren Schicksal der Welt-Alzheimertag an diesem Samstag (21. September) erinnern soll.
Normalerweise werden desorientierte Menschen, die häufiger fortlaufen und sich dadurch selbst gefährden, hierzulande in geschlossenen Abteilungen untergebracht. Das Fritz-Rupprecht-Heim in Fürth, wo die unter Anleitung einer Fachkraft in Erinnerungen schwelgende Damenrunde zu Hause ist, geht einen anderen Weg: Die Franken haben einfach das komplette Gelände umfriedet. Viele kleine Hilfsmittel sorgen dafür, dass die Bewohner sich orientieren können und immer wieder an zentrale Orte zurückgelotst werden.
"Bei uns können sich die Dementen im ganzen Areal frei bewegen", berichtet Heimleiter Udo Weißfloch. "Das Gefühl, eingesperrt zu sein, ist weg." Den Gesundheitszustand der Betroffenen verbessere dies spürbar. "Wir haben weniger Fixierungen, weniger Medikation, weniger Appetitlosigkeit, unsere Leute sind ruhiger und ausgeglichener."
Schon beim Bau des Gebäudes wurde das Konzept konsequent berücksichtigt: Die Flure durchziehen helle Gangspuren, die von schwarzen Streifen eingefasst werden - dadurch folgen die Dementen unbewusst der Wegeführung. Türen zu Abstellräumen sind mit der gleichen Tapete wie die Wand beklebt, sie zu öffnen wird so unattraktiv. Die große Wohnküche hingegen ist besonders hell beleuchtet, weil Menschen von Licht instinktiv angezogen werden.
Die Türen sind offen - nur diejenigen Patienten, für die wegen der Weglaufgefahr ein richterlicher Beschluss zur Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung vorliegt, tragen ein Armband. Nähern sie sich der Ausgangstür, verriegelt sich das Schloss. Büxt trotz allem mal ein Bewohner aus, brauchen die Mitarbeiter oft nur vor die Heimtüre zu treten: Dort steht eine Bushaltestelle, mit Halteschild, Fahrplan, Sitzbank und einer gelben Telefonzelle. Doch es kommt nie ein Bus. Die Patienten warten trotzdem geduldig. Denn gerade das Gefühl für Zeit geht Alzheimerpatienten verloren.
Während die Krankheit mit Vergesslichkeit und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses beginnt, bereiten später Orientierung, Sprechen, Rechnen und Lesen immer mehr Probleme. Auch die Fähigkeit, sich Zeit und Termine einzuteilen, nimmt rapide ab, ebenso das Urteilsvermögen. Die Betroffenen leben in ihrer eigenen Welt. "Am Ende ist es ein Zustand, in dem kaum noch Kontakt mit der Außenwelt aufgenommen werden kann", schildert der Neurowissenschaftler Michael Heneka von der Uniklinik Bonn. Der eigene Name ist vergessen, die Erinnerung an den Ehepartner ausgelöscht, die eigenen Kinder werden zu Fremden. "Der Mensch selbst hat sich aufgelöst - alles, was ihn ausgemacht hat", sagt Heneka.