Alternde Gesellschaft:Wenn Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern entscheiden müssen

Alternde Gesellschaft: Was tun, wenn der eigene Vater plötzlich pflegebedürftig wird? Familie Angermann aus München, hier Adi Angermann, 79, mit seinem Sohn Claus, 45, hat sich dem Problem gestellt.

Was tun, wenn der eigene Vater plötzlich pflegebedürftig wird? Familie Angermann aus München, hier Adi Angermann, 79, mit seinem Sohn Claus, 45, hat sich dem Problem gestellt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Normalerweise bestimmen Eltern, was für ihre Kinder das Beste ist. Doch wenn Mutter oder Vater im Alter krank werden, kehrt sich das Verhältnis um. Zwei Familien erzählen, was es bedeutet, in dieser Situation Verantwortung zu übernehmen?

Von Kim Björn Becker

Das höhenverstellbare Spezialbett steht im Wohnzimmer in der Ecke, der Rollstuhl parkt gleich daneben. An den Wänden hängen Fotos aus glücklicheren Tagen, es ist ein Raum voller Erinnerungen. Drei Stunden lang kann Adi Angermann, 79, in dem Rollstuhl aufrecht sitzen, den Rest des Tages muss er liegen. Seine Frau sagt: Ein großer Fortschritt, ans Sitzen war noch vor einem Jahr nicht zu denken. Sechs Hirnschläge haben Spuren hinterlassen - und das Leben der Münchner Familie völlig umgekrempelt.

Ein paar Hundert Kilometer entfernt, in der baden-württembergischen Provinz, liegt Waltraud Aurich in ihrem Zimmer. Die 94-Jährige hat die Bettdecke bis fast unters Kinn gezogen, ein Pfleger hat ihr den Tablettwagen nah herangeschoben. Sohn Volker, 69, kommt mehrmals pro Woche zu Besuch. Die Pflege seiner Mutter selbst zu übernehmen, hat er sich nicht zugetraut. Im Heim werde sie besser betreut, davon ist er überzeugt. Um sie regelmäßig sehen zu können, ist er eigens aus Düsseldorf nach Schwäbisch Hall gezogen, das neue Haus ist nur fünf Autominuten vom Heim entfernt.

Knapp drei Millionen Menschen im Land sind pflegebedürftig, und es werden immer mehr. Jedes Jahr kommen etwa 100 000 neue Fälle dazu, das macht im Schnitt 274 pro Tag. Und fast immer ist mit der Diagnose, dass es allein nicht mehr geht, eine schwere Entscheidung in der Familie verbunden: Ist eine Versorgung zu Hause möglich, wenn ein ambulanter Pflegedienst regelmäßig vorbeischaut? Oder führt am Heim kein Weg vorbei?

Zwei Schicksale, zwei Entscheidungen. Normal ist, dass die Eltern entscheiden, was für ihre Kinder das Beste ist. Bei der Pflege es ist plötzlich genau andersrum. Doch wie werden erwachsene Kinder ihren bettlägerigen Eltern am besten gerecht? Was heißt es, für den kranken Vater, die kranke Mutter Verantwortung zu übernehmen?

Bundesweit gibt es fast 14 000 Pflegeheime, jedes hat im Schnitt Platz für 63 Bewohner. Schon heute sind in diesen Einrichtungen zusammen an die 800 000 Hochbetagte untergebracht. Die Bertelsmann-Stiftung schätzt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 nochmal um die Hälfte steigt. Und weil zugleich immer wenige junge Menschen nachkommen, werden in ein paar Jahren eine halbe Million Vollzeit-Pfleger fehlen, warnt die Stiftung. Niemand weiß, wer die Alten und Kranken von morgen überhaupt versorgen soll.

An einem kalten Wintertag holt Volker Aurich den Reporter vom Bahnhof ab. Es geht kurz nach Hause und dann weiter ins Pflegeheim, zu Mutter Waltraud. Der Sohn hat sie vorher gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn diesmal ein Journalist dabei ist. Das Personal sei freundlich, trotzdem sei sie "immer froh, wenn der Volker kommt", sagt Waltraud Aurich und berichtet dann ohne Umschweife aus ihrem Leben.

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