Süddeutsche Zeitung

Alternativer Schlachthof:Schöner sterben

"Bio" bedeutet, dass die Tiere mehr Platz haben. Das Töten aber läuft ähnlich ab wie in einem konventionellen Schlachthof. Eine Biometzgerei will das ändern.

Von Lukas Ondreka, Laura Terberl (Video) und Oliver Klasen (Text)

Bernhard Renner ist sicher, dass er mit seinem Projekt so manchen Vegetarier zum Fleischessen wird bekehren können. Er glaubt, dass das selbst dann gelingt, wenn er freimütig von der "Einzeltöte-Box" spricht, von der Schlachtgasse und der Enthaarungsmaschine, von der Trennsäge, mit der die ausgebluteten Schweine und Rinder in zwei Hälften zerteilt werden.

Tiere töten: ein 360°-Schwerpunkt

Das Schnitzel war einmal ein Kälbchen. So viel ist uns meist bewusst. Aber wie ist es eigentlich gestorben? Damit beschäftigen sich viele Menschen nicht, obwohl sie das Produkt Tier sehr schätzen: Ein Deutscher isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr - die Industrie verdient hierzulande Milliarden Euro. Die Süddeutsche Zeitung hat sich dem Thema "Tiere töten" aus verschiedenen Blickwinkeln genähert: vom unüberschaubaren System der Produktion über moralische Bauern bis hin zur Frage, warum so viele Menschen kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres - wohl aber mit seinem Tod haben.

All diejenigen, die sich nach Renners Projekt erkundigen - Bürger, Politiker, Journalisten und eben auch Vegetarier, bekommen das zu hören. Martialisches Vokabular, jedenfalls dann, wenn man nicht auf dem Land groß geworden ist und seine Lebensmittel im Supermarkt kauft. Was Renner klarmachen möchte: Auch hier, in der Biometzgerei, die in Niederhummel nordöstlich von München gerade gebaut und in wenigen Wochen eröffnet wird, werden Tiere von Menschenhand sterben.

Allerdings, so argumentiert er, habe das Töten, wie er es plant, nichts zu tun mit dem industriellen Töten in Großbetrieben, wo Tiere herangekarrt und im Minutentakt geschlachtet werden.

Der 43-Jährige ist gelernter Metzgermeister. Er möchte anders töten - so wie es für die Tiere besser ist. Oberstes Ziel: Die Tiere sollen vor der Schlachtung so wenig Stress wie möglich erleiden. Deshalb sollen sich Rinder und Schweine, nachdem sie angeliefert wurden, einige Tage im Stall akklimatisieren. Deshalb müssen sie von dort am Tag der Schlachtung nur wenige Meter laufen, bis zu der Stelle, wo sie die Betäubung gekommen. Deshalb gibt es, anders als in großen Schlachthöfen, keine steilen Rampen oder lange Treibgänge, die vor allem für Rinder unangenehm sind. Und deshalb gibt es die besagte Einzeltöte-Box. Eine Massenbetäubung Dutzender Schweine, wie sie in großen Fleischfabriken praktiziert wird, lehnt Renner ab. "Alles passiert bei uns in Ruhe, ohne Treiben, ohne Hektik und ohne laute Geräusche, so dass die Tiere das Gefühl haben, sich wohl zu fühlen", sagt der Biometzger.

Maximal 50 Kilometer Transport

In dem neuen Betrieb will Renner das Fleisch schlachten, verarbeiten, portionieren und verpacken. Weil alle Arbeitsgänge erfolgen, solange das Fleisch von der Schlachtung noch warm ist, könne er auf chemische Zusätze oder Konservierungsstoffe verzichten. Ein Biobauer ist für die Beschaffung der Tiere zuständig. Sie kommen von Höfen, die maximal 50 Kilometer entfernt sind, um den Transport der Tiere so kurz wie möglich zu halten.

Träger der Biometzgerei, die auf etwa 500 Quadratmetern am Ortsrand entsteht, ist die Genossenschaft Tagwerk. Sie übernimmt Marketing und Vertrieb, arbeitet also daran, dass das Fleisch aus Niederhummel bei den Verbrauchern auf den Teller kommt. Tagwerk entstand 1984 aus einem Zusammenschluss von Umweltschützern und Landwirten, die von der Agrarindustrie genug hatten. Inzwischen haben immer mehr Bauern auf "bio" umgestellt. Die Genossenschaft hat in der Gegend um Freising, Erding und Landshut etwa 600 Mitglieder. Angeschlossen sind auch Bäckereien, Molkereien, Käsereien und Gärtnereien. Tagwerk verkauft seine Produkte in eigenen Bioläden und bietet zusätzlich sogenannte Ökokisten mit Obst und Gemüse an, die bis nach München geliefert werden.

Beim Fleisch waren die Tagwerk-Macher lange auf einen Kompromiss angewiesen. "Da haben wir Landmetzger beauftragt, die für uns neben ihren konventionellen Produkten eine Art Bio-Schiene nebenher gemacht haben", sagt Reinhard Gromotka, Sprecher der Genossenschaft.

Mit dem Schlachthof-Projekt, an dem die Genossenschaft mehr als ein Jahr gebaut hat, können die Tagwerk-Verantwortlichen auch bei Fleisch und Wurst ihren selbst gesetzten Bio-Standards gerecht werden. Biofleisch, das bedeutet bisher vor allem, dass die Tiere viel Platz und Auslauf haben, dass sie nur ökologisch erzeugtes Futter fressen, dass wachstumsfördernde Hormone verboten sind. Doch das Töten der Tiere an sich läuft häufig ähnlich ab wie in der konventionellen Landwirtschaft. Bedingung ist lediglich, dass das zuständige Veterinäramt den Schlachtbetrieb zulässt und überprüft, spezielle Kriterien für "Bio-Schlachten" gibt es nicht.

Das will Tagwerk ändern. "Wir glauben, dass die Zeit günstig ist, um ein solches Projekt zu beginnen, und wir glauben auch, dass wir mit unserem Bio-Ansatz bei den Verbrauchern punkten können", sagt Genossenschafts-Vorstand Gromotka. Auch Biometzger Renner ist optimistisch, dass seine Produkte viele Abnehmer finden: "Wir wenden, handwerklich gesehen, die modernste Schlachttechnik in ganz Deutschland an." Die Kunden legten zunehmend Wert auf die Herkunft der Produkte und sie interessierten sich dafür, wie Bauern mit den Tieren umgehen.

Schießen auf der Weide

Zu dieser Frage hat sich vor allem in den USA eine breite wissenschaftliche Forschungsrichtung etabliert, die dort unter dem Schlagwort "good stockmanship", zu deutsch: gute und verantwortliche Viehzucht, etabliert ist. Eine Methode, die in den vergangenen Jahren immer besser erforscht worden ist und unter Landwirten zunehmend Anhänger findet, ist die Tötung der Tiere auf der Weide. In Deutschland wird sie bisher noch sehr selten praktiziert. Hermann Maier, ein Bauer aus dem baden-württembergischen Balingen, war der Erste, der hierzulande mit dem sogenannten Weideschuss Erfahrungen gesammelt hat. Maier betäubt seine Tiere mit einem Gewehrschuss aus höchstens fünf Metern Entfernung ins Hirn. Damit der Rest der Herde nicht aufgeschreckt wird, verwendet er einen Schalldämpfer. Der Bauer hat auch eine mobile Schlachtbox konstruiert und zum Patent angemeldet, in der das Tier an Ort und Stelle ausbluten kann.

Tiertransporte lehnt er strikt ab. Mit dem Schießen auf der Weide vermeidet er, dass die Tiere unter Stress geraten, weil sie aus ihrer natürlichen Umgebung herausgerissen werden. Jahrelang stritt sich Maier mit dem zuständigen Veterinäramt, das seine Form der Tötung zunächst nicht genehmigen wollte. Inzwischen haben die Behörden zugestimmt. "Sie haben eingesehen, dass es nicht darum geht, schießwütig auf der Weide herumzuballern. Es geht darum, die Tiere vor unnötigen Schmerzen, Angst und Panik zu bewahren", sagt Maier.

Auch wenn Maier anders arbeitet als die Tagwerk Genossenschaft, eine Idee eint die beiden Ansätze: Dass Tiere getötet werden, ist für sie unvermeidlich. Wie Tiere getötet werden, ist jedoch eine Frage, die in Zukunft womöglich mehr Raum einnehmen wird.

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