Süddeutsche Zeitung

Altenpflege in Kanada:Omi kommt in die Senioren-Krippe

In Kanada können Angestellte ihre alten Eltern neuerdings bei einem Betreuungsdienst abgeben.

Bernadette Calonego

Die Sandwich-Generation hat es nicht leicht: Sie muss zwischen Kindern und Karriere jonglieren - und dann sind da auch noch die angejahrten Eltern, die Hilfe brauchen. Das nagt an den Kräften der Stärksten. Manche Arbeitgeber in Kanada wollten aber nicht abwarten, bis ihre Angestellten erschöpft die Stelle aufgeben. Sie wandten sich an ein Kindergarten-Unternehmen, um eine Lösung zu finden: einen Betreuungsdienst für Senioren.

Kein Problem, fand Victoria Sopik, die Chefin von Kids and Company, einer Firma, die sonst in ganz Kanada Tagesstätten für Kinder betreibt. Sie gründete die erste Seniorenkrippe in Kanada. "Die Firmen kamen auf mich zu und sagten: Wir brauchen Unterstützung für die hilfsbedürftigen Eltern unserer Angestellten", sagt Sopik. Die bekommen sie seit Januar in Calgary, Kanadas drittgrößter Stadt.

Wer zum Beispiel die gebrechliche Mutter nicht allein lassen, aber in den Urlaub fahren möchte, kann sie für diese Zeit in der Senioren-Tagesstätte abgeben. Dort können sich Oma und Opa vergnügen "wie auf einer Kreuzfahrt", sagt Sopik: "Es gibt einen Friseursalon, ein Schwimmbad, Gymnastikunterricht, ein Internet-Café, ein Kino und eine Kegelbahn." Rund 1,7 Millionen Kanadier zwischen 45 und 64 Jahren, die bereits Kinder haben, kümmern sich auch um ihre betagten Eltern. Die meisten sind aber berufstätig, und die Last der Betreuung fällt hauptsächlich auf die Frauen.

Manager denken um

So war es auch bei Gail Watson in Vancouver, die einen anspruchsvollen Job im Verkauf, zwei kleine Kinder und einen Haushalt zu bewältigen hatte. Als ihre Mutter an Alzheimer erkrankte, war das selbst für die robuste Frau zuviel. Während der Arbeit bekam sie Anrufe mit Klagen über das Verhalten ihrer Mutter. Gail Watsons Firma bot keine Hilfe für Angestellte mit kranken Eltern an. Als die Situation immer prekärer wurde, wusste sie nicht, an wen sie sich wenden sollte. "Mein Arbeitgeber schaute nur auf meine Verkaufszahlen. Die verschlechterten sich und er entließ mich", berichtet die Unternehmerin, die heute eine Internetfirma von ihrem Haus aus betreibt.

Aber jetzt, da kanadische Firmen ihre guten Arbeitskräfte behalten möchten und der Arbeitsmarkt vor allem in Kanadas Westen ziemlich ausgetrocknet ist, denken die Manager um. Kanadas größte Bank, die Royal Bank of Canada (RBC), bietet ihren Angestellten in Calgary das Senioren-Betreuungsprogramm von Kids and Company an. "Wir tun das, um den Mitarbeitern Stress zu ersparen", sagt Diana Ward, RBC-Sprecherin in der Erdölprovinz Alberta.

Sie glaubt, dass die Angestellten eine Firma bevorzugen, die ihre Bedürfnisse versteht. Natürlich erhofft sich die Bank auch eine bessere Arbeitsleistung und weniger Krankheitstage. Die Royal Bank übernimmt die Kosten für den Senioren-Betreuungsdienst bis zu einer gewissen Höhe, den Rest müssen die Angestellten selbst bezahlen. Es sei noch zu früh, den Erfolg dieses neuen Dienstes zu beurteilen, sagt Diana Ward. "Aber wir erhalten viel positives Feedback von den Angestellten." Paul Saulnier, Vizepräsident der Personalberatungsfirma Toombs KWA in Vancouver, glaubt, dass die Arbeitgeber sich künftig noch viel mehr mit Hilfsprogrammen für die alten Eltern ihrer Angestellten befassen werden: "Man muss bedenken, dass mehr Leute heute Eltern haben als Kinder."

Allerdings wird der Seniorengarten in Calgary noch nicht häufig aufgesucht, wie Victoria Sopik, eine Mutter von acht Kindern, einräumt. "Die Kunden sind aber froh, dass sie diese Möglichkeit haben, wenn sie sie im Notfall brauchen sollten."

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Quelle:
SZ vom 18./19.8.2007
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