Alltag mit Kindern:Auf dem Kriegsspielplatz

Wenn sie nicht kämpfen, schmeißen sie mit Sand oder sie spucken oder essen den Erwachsenen die Apfelringe weg. Ein Besuch auf einem Berliner Spielplatz.

Jochen Schmidt

Am Rand von unserem Spielplatz im Prenzlauer Berg sitzen die Eltern und beobachten den Wettkampf ihrer Kinder; jeder hofft, dass seines gewinnt. Aber wer ist der Sieger? Wer am Ende die meisten Freunde hat? Wer am meisten erbt? Wer am schnellsten erwachsen ist?

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Glückliches Kinderspiel? Kleine Könige proben, wer der Stärkste ist

(Foto: Foto: AP)

Wenn zwei Kinder kämpfen, und eines liegt am Boden, sieht das andere zu den Eltern und wartet auf die Entscheidung, ob das Kind weiterkämpfen darf oder aussortiert wird. Es muss dann auf einen Spielplatz für schwächere Kinder, wo es weniger Spielzeug gibt.

Auf unserem Spielplatz bleiben nur die Besten. Sie lernen früh, stolz auf ihre Wunden zu sein. Jeder Kratzer wird von den Eltern bestaunt. In den Kampfpausen backen die Kinder den Eltern Kuchen aus Sand. Die Eltern müssen alles aufessen, vorher dürfen sie nicht weitertelefonieren.

Manche Eltern langweilen sich auf dem Spielplatz. Ein Vater hat mit seinem Kind eine Sandburg angefangen, mit Burggraben, Hängebrücke und einem Ahornblatt als Fahne. Aber das Kind ist längst weggerannt, und der Vater baut die Sandburg alleine zu Ende. Er muss immer wieder von vorn anfangen, weil die Kinder kurz vor der Vollendung einen Abgeordneten vorbeischicken, der alles zerstampft.

Wenn ein Kind sich auszieht, reißen sich auch die anderen die Kleider vom Leib, sie wollen unbedingt nackt sein. Ein Vater möchte nach Hause. Er hält das Hemd von seinem Kind in der Hand, wie eine Falle, in die das Kind tappen soll. Aber das Kind ist nicht dumm und meidet die Gefahr. Der Vater hat heute kein Glück.

Alle wollen nackt sein

Da schreitet die Mutter ein und gibt dem Jungen Befehle. Der Junge wirft sich auf den Rücken und schlägt mit den Fäusten auf den Planeten Erde ein, weil er sich nicht wieder anziehen will. Er kann es nicht erwarten, groß zu sein, dann wird ihm niemand mehr Vorschriften machen, und er wird, so oft er will, nackt auf den Spielplatz gehen.

Ich sitze am Rand vom Sandkasten und lese. Manchmal stellen sich Eltern neben mich und warten, dass ich zu ihnen hochgucke, damit sie ein Gespräch mit mir beginnen können. Aber ich rede nicht mit anderen Eltern, sie können sich auch etwas zum Lesen mitbringen.

Essen darf man auch nichts, denn die Kinder wittern die Nahrung wie Haie das Blut. Sofort stürzen sie sich auf mich und stecken ihre schmutzigen Finger in meine Tüte mit getrockneten Apfelringen. Ein Vater steht an der Schaukel und schubst sein Kind verzweifelt von sich weg, aber das Kind kommt immer wieder zurückgeschnellt.

Ein anderer Vater versucht es mit dem Karussell, er dreht daran, als würde er einen Flugzeugpropeller anwerfen. Wenn es sich nur schnell genug dreht, wird das Kind unsichtbar, scheint er zu denken.

Ein anderer Vater ruft: "Komm mal her" und klatscht in die Hände, wie ein Impresario, wenn der König erscheint. Hilflos wie ein Großwildjäger, der versucht, ein Rudel Leoparden mit Händeklatschen in die Falle zu locken.

Ein anderer Vater buddelt sein Kind ein, erst die Füße, dann den Bauch, schließlich bleibt nur noch der Kopf an der Luft, und der Vater muss kurz überlegen, ob er ein schlechter Mensch ist, weil ihm ein schrecklicher Gedanke gekommen ist. Genau wie die Väter, die ihre Kinder beim Versteckspielen sich selbst überlassen haben. Ich hab überall gesucht! sagen sie am Abend zur Mutter.

Trotzdem werden es nicht weniger Kinder, denn die große Rutsche, die in der Mitte des Sandkastens thront wie eine Insektenkönigin, spuckt ständig neue aus, ein Gebärautomat. Man hört einen spitzen Schrei, dann kommt ein Kind angerauscht, plumpst in den Sand und probiert, noch etwas ungeschickt, seine Arme und Beine aus. Kaum kann das neue Kind laufen, sucht es sich etwas zum Kaputtmachen, eine Sandburg oder eine Murmelbahn, oder es wirft mit Dreck. Der Überlebenskampf hat begonnen.

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