Allergie auf Lebensmittel:Die Laktose-Hysterie

Wegen zweifelhafter Tests sind Millionen Deutsche überzeugt, sie seien gegen manche Lebensmittel allergisch. Dabei sind nur fünf Prozent der Deutschen tatsächlich betroffen.

Kathrin Burger

Der Kollege trinkt Cappuccino neuerdings nur noch mit Sojamilch. Kuhmilch bekomme ihm nicht, sagt er, sein Körper vertrage keine Laktose. Die Nachbarin reagiert auf weißes Brot mit Bauchschmerzen. Und die Cousine meidet Weizen wie Milch, seitdem ihr der Arzt eine Unverträglichkeit gegen beides bescheinigt hat. Manchmal wirkt es, als sei es gerade in Mode, dieses oder jenes Lebensmittel nicht zu vertragen.

Tatsächlich ist jeder fünfte Deutsche überzeugt, dass sein Körper gegen gewisse Nahrungsmittel rebelliert. Kann das sein? Nein, tatsächlich reagieren maximal fünf Prozent der Deutschen mit Juckreiz im Rachen, Quaddeln, Übelkeit, Durchfall oder Atemnot auf Haselnüsse, Obstsorten, Weizen, Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Fisch oder andere Lebensmittel.

Ein wesentlicher Grund für diese Diskrepanz sind Tests, die auf den Immunglobulinen der Klasse G (IgG) basieren. Diese IgG-Tests mit Nahrungsmitteln gelten laut einer Leitlinie europäischer und deutscher Allergiegesellschaften als sinnlos. Trotzdem werden sie von vielen Ärzten und Heilpraktikern offensiv beworben. "Die Test-Anbieter tun gerne so, als befände man sich noch in der wissenschaftlichen Diskussion", sagt Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe vom Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin und Schriftführer der aktuellen Leitlinie. Deren Verfasser haben nun sämtliche Studien dazu überprüft. Demnach mangele es an überzeugenden Hinweisen dafür, dass IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel einen diagnostischen Wert haben.

Auch der Verband der Ökotrophologen warnte jüngst davor, aufgrund dieser Tests eine Ernährungstherapie zu beginnen. Dies könne die Lebensqualität stark einschränken. "Zu mir kommen häufig verzweifelte Menschen, die aufgrund eines solchen Tests 40 bis 50 Lebensmittel weglassen sollen und gar nicht mehr wissen, von was sie sich noch ernähren können", sagt Imke Reese, Ernährungsberaterin in München und Mitautorin der Leitlinie. Diäten seien vor allem für Kinder gefährlich. Sie könnten zu einer Mangelernährung führen, etwa wenn ohne Grund Milchprodukte gemieden werden.

Bis es Klarheit gibt, können Wochen vergehen

Es ist ein normaler Vorgang und kein Krankheitszeichen, dass der Körper auf Nahrungsmittel-Eiweiße mit der Produktion von IgG-Antikörpern reagiert. "Die IgG-Werte zeigen lediglich, welche Lebensmittel häufig gegessen werden", sagt Kleine-Tebbe. "Sie sind auch bei Menschen erhöht, die keine Symptome zeigen." Hohe IgG-Werte sind laut Wissenschaftlern sogar eher günstig zu beurteilen, weil sie häufig mit einer Toleranz von Lebensmitteln einhergehen. Sie zeigen also, was der Körper gut verträgt.

Von einer Lebensmittelallergie sprechen Fachleute nur, wenn das Immunsystem überschießend auf Harmloses reagiert. Betroffene bilden dann Antikörper der Klasse E (IgE). Diese stufen Substanzen wie Pollenproteine oder Kuhmilcheiweiß als gefährlich ein und provozieren die Mastzellen, Histamin und andere Entzündungsstoffe freizusetzen.

Allergologen können einer Nahrungsmittelallergie mit gezielten Blut- oder Hauttests auf die Spur kommen. Klarheit bringt im Zweifelsfall jedoch erst eine Eliminationsdiät und anschließende Provokation, die aus Sicherheitsgründen im Krankhaus durchgeführt wird. Es kann Wochen dauern, bis ein Lebensmittel zweifelsfrei als Verursacher entlarvt wird. Manchmal findet der Allergologe auch gar keine Erklärung für die Beschwerden.

Ärzte verdienen an den Tests

Zahlreiche Heilpraktiker und manche Ärzte veranlassen trotzdem die wertlosen IgG-Tests. Laut Hersteller können damit nicht nur Beschwerden einer Nahrungsmittelunverträglichkeit aufgedeckt werden; sie sollen auch beim Reizdarmsyndrom, bei entzündlichen Darmerkrankungen sowie Akne, Neurodermitis, Psoriasis, Migräne, chronischer Müdigkeit und Übergewicht weiterhelfen. Teilweise bestellen die Ärzte die Tests aus Unwissenheit - schließlich werden sie von Firmen wie Imupro, Evomed, Pulsamed, Cyto Laborgesellschaft oder York-Test als zuverlässiges diagnostisches Mittel beworben.

Und: Heilpraktiker und Ärzte verdienen auch nicht schlecht an den Tests. "Eine Bestimmung der IgG-Antikörper gegen mehrere hundert Nahrungsmittel kostet zwischen 300 und 800 Euro", sagt Kleine-Tebbe. Die meisten Kassen übernehmen die Kosten nicht, manche doch - was die Verwirrung, ob die Tests brauchbare Ergebnisse liefern, nur erhöht.

"Gerade beim Thema Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln kursiert eine Fülle an Halbwahrheiten im Internet; daneben ist es häufig schwierig, die Ursache für diffuse Symptome wie Migräne oder Übelkeit zu finden", sagt Kleine-Tebbe. Deshalb setzen viele Therapeuten auf einen IgG-Test. Häufig bestehen auch Patienten auf den Test, weil sie sich eine klare Diagnose wünschen.

Viele erleben aber nach einer Diät, die aufgrund des IgG-Tests eingehalten wird, tatsächlich eine kurzfristige Besserung ihrer Symptome. Für Walter Dorsch, Allergologe und Spezialist für Alternativmedizin in München, ist dies dennoch kein Argument für die IgG-Tests:"Wenn jemand von einer Therapie überzeugt ist, fühlt er sich auch gleich besser. Leider liegt es auch wegen der hohen Rechnung nahe, an einen Heilungserfolg zu glauben."

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