"Und was machen Sie mit Ihrer Tochter?", fragt der Chef. "Wenn die mal krank ist? Dann kommen Sie nicht zur Arbeit, oder was?" 1965, Bewerbungsgespräch in einer Münchner Brauerei. Irmgard Tietje, heute 76 Jahre alt, erinnert sich noch genau daran. "Meine Tochter?", entgegnete sie damals, "die ist natürlich bei meiner Mutter. Die kümmert sich um sie." Und damit der Satz seine Leichtigkeit behielt, schob sie gleich noch hinterher. "Das ist gar kein Problem."
Auch Manar Aid ist alleinerziehende Mutter, knapp 50 Jahre nach Irmgard Tietje. Die gebürtige Syrerin mit dem fröhlichen Lachen hat eigentlich Germanistik und Soziologie studiert. Jetzt arbeitet die 40-Jährige in einer Bäckerei, jeden Tag, von Montag bis Sonntag. "Das Leben muss ja weitergehen", sagt Aid. Sie müsse stark sein, Geld verdienen. Auf einem Foto hält sie zwei junge Mädchen in den Armen, die gleichen krausen Haare, die gleichen dunklen Augen. Ihre Töchter sind 14 und neun Jahre alt.
Manar Aid, 40, und Irmgard Tietje, 76, sind zwei Frauen mit zwei unterschiedlichen Geschichten. Sie stammen aus zwei verschiedenen Generationen und leben in zwei verschiedenen deutschen Städten. Beide kennen die Probleme alleinerziehender Frauen aus eigener Erfahrung. Und sie sind damit nicht allein.
90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen
"Single Moms - Alleinerziehende Mütter und ihre Lebenswelt" - unter diesem Titel widmet das Bonner Frauenmuseum Müttern wie Manar Aid und Irmgard Tietje jetzt eine Ausstellung. Die Schau, die am Wochenende eröffnet, soll die Situation alleinerziehender Frauen zeigen - aus historischer, internationaler und künstlerischer Perspektive. Sie gewährt nicht nur erfreuliche Einblicke in das Leben dieser Frauen, vielmehr stellt sie die Frage: Hat sich eigentlich überhaupt etwas geändert an der Situation der Mütter?
Alleinerziehende gehören inzwischen zur deutschen Gesellschaft wie einst die heile wohlgeordnete Familie. Etwa 1,6 Millionen Alleinerziehende leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in der Bundesrepublik. Mehr als 90 Prozent von ihnen sind Frauen - und ihre Zahl steigt kontinuierlich, von 1996 bis 2012 um 23 Prozent. Wo so viele alleinerziehende Mütter leben, da muss es doch auch ein System geben, das sie auffängt?
Thomas Bahle ist Soziologe am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Er sagt: "Die Alleinerziehenden sind in Deutschland in einer sehr schlechten Situation." Wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wenig Kinderbetreuungsplätze und ein geringes Einkommen - das seien die Probleme, mit denen Alleinerziehende heute zu kämpfen hätten.
In Europa hat es zu jeder Zeit alleinerziehende Frauen gegeben. Nur war ihre Zahl nie so hoch wie jetzt; weil Frauen heute selbständiger und unabhängiger sind als früher. "Es gibt heute wesentlich mehr geschiedene und unverheiratete Frauen als früher", sagt Bahle. Selbst den Wunsch, ein Kind ohne Partner zu haben, können sich Frauen erfüllen. Früher war das anders.
Bürgerliche Frauen, die im 19. Jahrhundert schwanger wurden, aber nicht verheiratet waren, galten in der damaligen Gesellschaft als "verführte und gefallene Unschuld". Noch schlimmer war das Image unverheirateter Mütter aus der Unterschicht: Sie wurden als liederliche Frauenzimmer abgestempelt, mit einem zügellosen Sexualleben assoziiert. Fast jede ledige Mutter galt als unnatürlich, unsittlich - und sogar als unfähig, ihre Kinder zu erziehen. Oft gaben diese Frauen ihr Kind deshalb zur Adoption frei; manche brachten ihr Neugeborenes sogar um, weil sie Angst hatten, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden.
Das ist heute nicht mehr so: "Die Akzeptanz alleinerziehender Frauen ist inzwischen deutlich besser", sagt Soziologe Bahle. Im Laufe der Jahrhunderte habe diese Stigmatisierung abgenommen. Dafür fände sie seit Jahrzehnten auf anderer Ebene statt - der beruflichen und finanziellen.
200 Mark im Monat, so viel verdiente Irmgard Tietje damals in den sechziger Jahren. Sie arbeitete als Bürofachangestellte, erst in einer Werbeagentur, dann in einer Brauerei. Wohnen konnte sie bei der Mutter. "Ich nehme die Kleine und du gehst arbeiten", so lautete die Abmachung. In den ersten drei Jahren zahlte der Vater ihrer Tochter im Monat 90 Mark Unterhalt, dann hörte er damit auf. 86 Mark kostete damals allein der Kindergarten. Neue Kleider konnte sie sich nicht leisten. "Ich habe immer selbst genäht und gestrickt, oft bis zwölf Uhr nachts", erzählt sie. Urlaub kam für die kleine Familie ohnehin nie in Frage.
Manar Aid bekommt jetzt Unterstützung von der Stadt
1500 Euro im Monat hat Manar Aid für sich und ihre beiden Töchter zur Verfügung. Ihr Mann zahlt keinen Unterhalt. Sie bekommt Unterstützung aus der Unterhaltsvorschusskasse der Stadt, außerdem Kindergeld - und dann ist da noch ihr Verdienst aus der Bäckerei. Es sei schwierig, sagt sie.
"Der Arbeitsmarkt ist speziell für alleinerziehende Frauen ein Problem", sagt Soziologe Thomas Bahle. Natürlich, es gibt auch die Vorstandsvorsitzende, die so gut verdient, dass sie sich eine private Ganztragsbetreuung leisten kann. Doch nur ein Drittel der alleinerziehenden Frauen könne sich mit ihrem Job ohne weitere Hilfe über Wasser halten oder gar gut finanzieren, sagt Bahle. "Das sind wirklich nur die, die einen sehr guten Hochschulabschluss im richtigen Fach haben." Die anderen Zahlen, die der Soziologe nennt, zeichnen ein düsteres Bild - das einer Mehrheit in prekären Verhältnissen: Etwa ein Drittel der Frauen empfange Hartz VI, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, ein weiteres Drittel sei zwar beschäftigt, doch reiche das Einkommen nicht für den Lebensunterhalt.
Viele bekämen aufgrund ihrer Situation überhaupt keinen Job, und wenn doch, verdienten sie meist aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses nur sehr wenig, erklärt der Soziologe. Die meisten - genau wie Manar Aid - könnten nur in Teilzeit arbeiten, weil sie ihr Kind beaufsichtigen müssen. "Die alleinerziehenden Männer sind da besser gestellt", sagt Bahle, "die meisten arbeiten in Vollzeitjobs." Eine Minderheit zwar im Vergleich zu den 90 Prozent Frauen - dennoch scheinen viele Arbeitgeber ihnen etwas zuzutrauen, was sie den Frauen absprechen: fachliche Kompetenz und die Fähigkeit, Job und Kind unter einen Hut zu bekommen.
"Nicht die Qualifikation der Alleinerziehenden, sondern das System ist das Problem, die Strukturen auf dem Arbeitsmarkt." Das ändere sich auch nicht so schnell. Zwar sei der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ein richtiger Schritt, aber zu wenig, um die Lage nachhaltig zu entschärfen. "Die Arbeitszeiten und eine gerechte Entlohnung", das sind nach Bahles Ansicht die Knackpunkte. "Wir bräuchten mehr gut bezahlte Teilzeitjobs, wie beispielsweise in den Niederlanden", fordert der Experte.
Auch Irmgard Tietje glaubt, dass sich für die Alleinerziehenden nicht viel geändert habe seit damals. "Das sind doch immer noch die gleichen Probleme", sagt sie. Sie hat damals viel Glück gehabt, den Job in der Brauerei bekommen und später einen Platz für ihre Tochter in einer Tagesheimschule. Heute ist sie in Rente, ihre Tochter ist längst erwachsen. Jedes Jahr fährt sie in den Urlaub - Teneriffa, zehn Wochen am Stück. Das gönnt sie sich jetzt.
Soweit ist Manar Aid noch nicht. Vor einiger Zeit hatte sie Depressionen, es war einfach alles zu viel. Heute sagt sie: "Das Wichtigste ist, dass man den Willen nicht verliert." Das versucht sie jetzt.